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Raketenschild-Pläne: Die Abwehr der Europäer

Europa reagiert mit Ablehnung auf die amerikanischen Raketenabwehr-Pläne - und schadet damit den eigenen Interessen. Präsident Putin spielt derweil munter "test the west". Ein Kommentar von Clemens Wergin

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Berlin - Mancher erinnert sich vielleicht noch an den Krieg um die Befreiung Kuwaits 1990/91. Damals hatte eine breite internationale Koalition unter Führung der USA, autorisiert vom UN-Sicherheitsrat, die irakische Armee aus dem von ihr vorher besetzten Land vertrieben. Israel war nicht Teil der Anti-Irak-Koalition. Und dennoch wurde es von Saddam Hussein mit Mittelstreckenraketen beschossen. Die Israelis verbrachten Wochen damit, bei Raketenalarm in Bunker und abgedichtete Zimmer zu flüchten, weil man nicht sicher sein konnte, ob der Irak biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen auf seine Flugkörper montiert hatte. 39 Raketen wurden damals auf Israel abgeschossen. Es zeigte sich, dass selbst die technisch hoch entwickelten Patriot-Abwehrraketen, die die Amerikaner installiert hatten, kaum etwas gegen die tödlichen Geschosse ausrichten konnten: Nur eine wurde abgeschossen, bevor sie israelischen Boden erreichte.

Es ist diese Erfahrung der Verwundbarkeit trotz militärisch-technischer Überlegenheit, die sowohl in Israel als auch in den USA zu erneuten Anstrengungen geführt hat, effektivere Raketenabwehrsysteme zu entwickeln. Die nun von den Amerikanern geplante Radarstation in Tschechien und die zehn Abfangraketen in Polen haben in Europa für einigen Wirbel gesorgt - nicht zuletzt deshalb, weil die russische Seite suggeriert, das amerikanische System sei gegen das eigene Abschreckungspotenzial gerichtet. Es ist zwar eine seltsame Vorstellung, zehn Abfangraketen in Europa könnten etwas ausrichten gegen tausende russischer Atomraketen. Aber da Fragen des strategischen Gleichgewichts immer an europäische Urängste aus dem Kalten Krieg rühren, Hauptschlachtfeld der beiden Großmächte in einem atomaren Krieg zu sein, treffen die amerikanischen Pläne in Europa auf große Skepsis. Die aggressiven Drohungen Russlands, Polen und Tschechien würden so zu Zielobjekten von Raketen sowie die Ankündigung, man werde möglicherweise den Vertrag von 1987 über die Reduzierung von Mittelstreckenwaffen in Europa aufkündigen, haben den Kontinent eingeschüchtert.

Der Trumpf des armen Mannes

Dabei sind die Installationen in Europa defensiver Natur. Sie sollen Teil eines Mehrstufensystems werden, mit dem feindliche Raketen in drei verschiedenen Phasen - Start, Flugphase oder Anflug - abgefangen werden. Ziel ist es letztlich, durch "Schurkenstaaten" nicht erpressbar zu werden. Schließlich sind raketengestützte Massenvernichtungswaffen der Trumpf des armen Mannes: Auch Länder, die sich keine technisch hochgerüstete und umfangreiche stehende Armee leisten können, halten damit nicht nur große Abschreckungswirkung sondern auch ein riesiges Zerstörungspotenzial in ihren Händen. So lange es gegen solche Bedrohungen gerichtet ist, ist das amerikanische Programm nur zu begrüßen, weil es die Verwundbarkeit gegenüber Ländern wie etwa Iran oder Nordkorea verringert. Eigentlich wäre es wünschenswert, einen solchen Schutz auch für ganz Europa zu erreichen - schon allein deshalb, weil es bisher nicht danach aussieht, als könnte man die Iraner von der Atombombe abbringen. Teheran besitzt aber heute schon Raketen, die bis in die Randgebiete der EU reichen. Da sich die Mullahs weiter um die Ausdehnung ihrer Raketenreichweiten bemühen, ist es wahrscheinlich, dass sie in wenigen Jahren auch das Herz Europas erreichen könnten.

Eine solche Entwicklung würde den Kontinent aber erpress- und verwundbar machen. Und es sollte Europa mehr Kopfzerbrechen bereiten, als es das im Moment offenbar tut. Schließlich kann man durchaus Zweifel daran haben, ob Abschreckung und Eindämmung (die übrigens auch vor allem von den Amerikanern besorgt werden müssten) gegen ein religiöses Regime helfen würde, das sich einer radikal antiwestlichen Ideologie verschrieben hat.

Putins "test the west"

Es ist sicher richtig, dass die Amerikaner ihr seit 2002 geplantes Vorhaben geschickter hätten an die Nato-Partner und an Russland verkaufen können - selbst wenn nicht zutrifft, was Frank-Walter Steinmeier anfangs suggerierte, als er beklagte, Russland sei nicht konsultiert worden. Wladimir Putin spielt jetzt "test the west" und versucht, ob er mit der Angst vor einem neuen Kalten Krieg nicht einen Keil in die Nato treiben kann. Es ist bezeichnend für den Zustand der strategischen Debatte in Europa, dass viele diesem durchsichtigen Manöver auf den Leim gehen. Denn eigentlich sollte es nicht so schwer sein, beides zu erreichen: Einen Schutzschirm gegen Schurkenstaaten, die über eine kleine Zahl von Raketen mit unkonventionellen Sprengköpfen verfügen und ein Inspektionsregime für die Russen, damit die sicher sein können, dass das neue System nicht Stück für Stück umgebaut wird, um die russische Abschreckung zu schwächen. Denn Europa hat sowohl ein Interesse daran, dass das Abschreckungsgleichgewicht - das es ja trotz der Abrüstungsbemühungen beider Seiten weiter gibt - nicht aus den Fugen gerät wie auch daran, von Schurkenstaaten nicht erpresst oder gar angegriffen zu werden. (Tsp)

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