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 Eine Frau am Juneteenth (der 19. Juni), der als Erinnerungstag an die Befreiung der afroamerikanischen Bevölkerung der USA aus der Sklaverei gilt

© dpa

Die Denker und ihr Kaffee: Warum den großen Menschheitsphilosophen die Sklaverei egal war

Sklaverei wirkte weit über den Handel mit Menschen aus Afrika hinaus. Begründet wurde sie mit Theorie - abgelehnt von Weltreisenden. Ein Gastbeitrag.

Michael Zeuske ist Historiker am Center for Dependency and Slavery Studies an der Universität Bonn. Zuletzt veröffentlichte er „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte. Von der Steinzeit bis heute“, Stuttgart, Reclam, 2018.

Die Black Lives Matter-Proteste gegen Rassismus, ausgelöst vom Tod des Schwarzen Amerikaners George Floyd durch Polizeigewalt, haben die Debatte über Sklaverei und ihre Folgen angeheizt und verändert.

Sklaverei war und ist ein globales Phänomen. Ihre Hochzeit in Bezug auf Wirtschaft und Institutionen des Westens hatte sie in der atlantischen Sklaverei 1450-1888 gefunden. In dieser Zeitspanne wurden etwa 11 Millionen Menschen aus verschiedenen Teilen Afrikas verschleppt.

Allein im 18. Jahrhundert waren es etwa sechs Millionen Menschen aus Afrika, im 19.Jahrhundert nochmals rund zwei bis drei Millionen.

Sie wurden durch europäische oder amerikanische Sklavenhändler, Kapitäne und Schiffe in die Karibik, nach Brasilien, in das Spanische Amerika (heute Lateinamerika) und nach Nordamerika transportiert und mit meist hohen Profiten für Sklavenhändler und Kapitäne verkauft.

Auch Preußen versuchte sich im Sklavenhandel

Die Erforschung dieses atlantischen Sklavenhandels – so wird er in Afrika genannt - ist nicht ganz einfach. Die beste Darstellung der Schiffe, Sklavenhandelsfahrten und Zahlen von Versklavten findet sich auf www.slavevoyages.org. Die nationalen Hauptprofiteure waren Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande, zeitweilig auch Dänemark, Schweden sowie Brandenburg-Preußen.

Es gab Versuche Preußens, Kolonien in Afrika und in der Karibik zu halten und zwischen ihnen Sklavenhandel zu treiben. Da diese Versuche letztendlich gescheitert sind, herrscht in deutschsprachigen Gebieten heute die Meinung vor, man habe mit Sklaverei und Sklavenhandel nichts zu tun gehabt.

Groß-Friedrichsburg, der Hauptort der brandenburgischen Kolonie an der Guinea-Küste. Zeichnung, 1688.
Groß-Friedrichsburg, der Hauptort der brandenburgischen Kolonie an der Guinea-Küste. Zeichnung, 1688.

© akg-images

Das ist allerdings nicht richtig. Zum einen konnte man schon 1774 informiert sein, in dem Jahr lagen die Werke des Rassisten und Sklavenhalters Edward Long (History of Jamaica in drei Bänden) vor.

Zweitens gab es im Heiligen Römischen Reich und in den deutschen Staaten, aber auch sonst in Europa, viele Kindersklaven aus Afrika. Aus Gebieten mit muslimischer Bevölkerung gab es viele Kriegsgefangene, die versklavt wurden, insbesondere aus dem Osmanischen Reich.

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Und nicht zuletzt profitierten vor allem Hafenstädte und Produktionsgebiete von Leinen, bedruckter Baumwolle oder Kleineisenwaren in Europa als eine Art Sklaverei-Peripherie von der atlantischen Sklaverei-Wirtschaft. Dies traf auch auf den Handel mit tropischen Luxuswaren zu – wie Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak, Zigarren, Tee, Farbstoffen oder Kakao –, die oft von Versklavten hergestellt worden waren.

Kein deutscher Philosoph des 18. oder 19. Jahrhunderts ist ohne eines dieser von Sklaven hergestellten Luxusgüter, auf Neudeutsch „commodities“, ausgekommen. Und es gab auch Investitionen in Sklavenhandel und Versicherungen von Sklavenschiffen sowie direkte Beteiligungen am Sklavenhandel durch den Kauf von Plantagen. So besaß beispielsweise ein Mitglied der Schweizer Familie Escher eine Kaffeeplantage auf Kuba, zu der auch mehr als 80 Sklaven gehörten.

Das Thema Sklaverei interessierte viele Universalgelehrte nicht

Sklaverei wirkte also weit über ihr direktes Einzugsgebiet hinaus – räumlich wie zeitlich. Die Gelehrten der deutschen Gebiete, wie Immanuel Kant in Königsberg und andere in Weimar oder Jena, aber auch Weltreisende wie der Schriftsteller und Naturforscher Georg Forster beschäftigten sich in den Jahren vor der französischen Revolution 1789-1795 und der Sklaven-Revolution von Saint-Domingue/ Haiti (1791-1803) eher selten direkt mit dem Thema Sklaverei oder dem Schicksal Versklavter.

Vielmehr geschah dies über den Umweg der Beschäftigung mit den sogenannten Entdeckungsreisen, der Genese „des Menschen“ sowie dem Universalismus ihrer jeweiligen Denkansätze und Beobachtungen. Sie benutzten dabei die gleiche Sprache und oft auch ähnliche Worte – zogen aber unterschiedliche Schlüsse.

Kant, der erste unter den Aufklärungs-Philosophen, entwarf in seinen Schriften zur Anthropologie, aber auch in denen über Ästhetik sowie zur physischen Geographie, eine Systematik der unterschiedlichen Menschen, die auf der Erde zu finden waren. In dieser Systematik werden Menschen aufgrund von Differenzmarkern klar in „Menschenracen“, wie es bei ihm heißt, eingeteilt.

Kant und die Rassen

Bei Kant sind es meist vier „Racen“: "…1) die Rasse der Weißen, 2) die Negerrasse, 3) die hunnische (mungalische oder kalmukische) Rasse, 4) die hinduische oder hindistanische Rasse. Zu der erstern, die ihren vornehmsten Sitz in Europa hat, rechne ich noch die Mohren (Mauren von Afrika), die Araber …, den türkisch-tatarischen Völkerstamm, und die Perser, imgleichen alle übrigen Völker von Asien, die nicht durch die übrigen Abteilungen namentlich davon ausgenommen sind... Endlich scheinen die Amerikaner eine noch nicht völlig eingeartete hunnische Rasse zu sein.“

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Für Kant spielten Klima, Anpassung und physische Geografie, aber auch die Frage, ob die Menschen Staaten oder Imperien gebildet und Kolonien hatten, visuelle Körpermerkmale, geistige Fähigkeiten, Faulheit oder Fleiß sowie Hautfarben eine Rolle. Im Grunde ist das eine frühe, aber sehr systematische Diskriminierung durch Differenzmarker.

Kant hat den „Racen“-Begriff und die „Racen“-Ordnung im Rahmen seines Gesamtwerkes zwar relativiert: Sie waren für Kant, wie Jürgen Goldstein in seinem Buch über den Schriftsteller und Naturforscher Georg Forster schreibt, „nicht von zentraler Bedeutung“. Vielmehr blieb Kants „universale, auf dem Vermögen der praktischen Vernunft beruhende Moralphilosophie von der Rassendifferenzierung gänzlich unberührt".

Kants Schriften zu Rassenunterschieden wurden viel diskutiert

Ich darf hinzufügen, dass auf Kants Schultern alle stehen, die sich mit Erkenntnissen, Vernunft, Wahrheit, Globalgeschichte und Wissen beschäftigen, auch wenn sie, wie ich, keine Kantianer oder Neo-Kantianer sind. Und Kants Schriften, auch seine kleineren, in denen er Rasse als Konzept begründete, waren damals in der Welt. Die Schriften wurden Grundlage einer intensiven Debatte zwischen Georg Forster und Immanuel Kant.

Forster war ein mobiler Intellektueller und empirischer Forscher. Im Gegensatz zu Kant, der Philosophie im Lehnstuhl betrieb, hatte Forster die Welt mit eigenen Augen gesehen – unter anderem auf der Weltumseglung mit James Cook 1772-1775. Es war ein sehr heftiger Streit, der oft auf gleichen Worten und Ideen – etwa von der Genese des Menschen beruhte.

Aber eines war klar, wie Jürgen Goldstein nachwies: „Forsters auf Erfahrung beruhende Anthropologie betont immer wieder und unermüdlich die Einheit der verschiedenen Völker und Menschengruppen, trotz aller Unterschiede und der durchscheinenden Skala von Zivilisationsstufen.“

Alexander von Humboldt lehnt Hierarchie von Menschenrassen ab

Alexander von Humboldt, der Freund und Bewunderer Forsters, hat diese Haltung – nach vielen Jahren der Reisen und empirischen Forschungen sowie von Publikationen gegen Sklaverei und Sklavenhandel – in seinem Werk „Kosmos“ auf den Nenner gebracht: „Indem wir die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen“. Humboldt war gegen Rassen – sowohl als Begriff wie auch in der Realität.

Kant hätte, bevor er sich für die scharfen Differenzmarker entschied, auch auf Latein die Schriften des schwarzen Deutschen Anton Wilhelm Amo lesen können, er hätte den Anatomen und Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach zur Kenntnis nehmen können, der sich gegen scharfe Differenzgrenzen und gegen höhere und niedere „Racen“ aussprach.

Oder er hätte sich mit dem Buch des ehemaligen Sklaven und Abolitionisten Olaudah Euquinao beschäftigen können, das allerdings erst 1789 und auf Englisch erschien (Merkwürdige Lebensgeschichte des Sklaven Olaudah Equiano, von ihm selbst veröffentlicht im Jahre 1789. Insel Verlag, 1990).

Muss ein Berg nach einem Rassisten benannt bleiben?

Was die Denkmäler oder besser Denkmale als Orte der Erinnerung und öffentliche Fixpunkte eines herrschenden Geschichtsbildes angeht, so bin ich als Historiker natürlich gegen das gewaltsame Zerstören, Niederreißen oder Beschmieren. Auch historische Texte und ihr Vokabular sowie historische Bilder müssen als Quellen erhalten bleiben.

Die Statue des Konföderierten-Generals Albert Pike wurde von Demonstranten gestürzt.
Die Statue des Konföderierten-Generals Albert Pike wurde von Demonstranten gestürzt.

© dpa

Ich bin grundsätzlich für eine Debatte, für die Offenlegung des dahinterstehenden Geschichtsbildes, für Gegendenkmäler und natürlich für neue Denkmäler, die ein neues Geschichtsbild repräsentieren. Aber muss ein Berg nach einem Rassisten benannt werden? In der Schweiz bemühen sich Historiker, Intellektuelle und Aktivisten beispielsweise schon lange darum, dass das Agassizhorn, ein 3946 Meter hoher Berg der Berner Alpen umbenannt wird.

Er trägt den Namen des wohl bedeutendsten „wissenschaftlichen“ Rassisten des 19.Jahrhunderts, der damals modernste Darstellungsmethoden für seine Thesen benutzte, und er soll umbenannt werden in Rentyhorn – nach einem Sklaven aus dem Kongo, den Agassiz fotografieren ließ, um die von ihm behauptete Minderwertigkeit der Schwarzen visuell „zu beweisen“.

Michael Zeuske

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