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Arbeiter in Schutzkleidung desinfizieren Gehwege in Rom.

© dpa/La Presse/Mauro Scrobogna

Update

Coronavirus-Pandemie: Die Italiener fühlen sich von Europa verlassen

Die Corona-Pandemie scheint in Italien langsam auf dem Rückzug. Das Land wartet auf das Ende des Shutdowns - und mehr Hilfe aus Europa.

Gemeinsame Corona-Titel oder nicht – das hat die Finanzminister der Eurogruppe einen halben Tag und eine Nacht per Video beschäftigt. Ergebnislos.

Ein Thema, das die Liebe Italiens zu Europa weiter abkühlen dürfte. Im Gründerland der Gemeinschaft war sie einst mit am stärksten. Doch die letzten Daten zeigen, das Corona der alten Liebe gerade schwer zusetzt. Die Italienerinnen und Italiener fühlen sich von Europa verlassen.

Die Daten, die die Tageszeitung „La Repubblica“ Mitte März erheben ließ und in dieser Woche veröffentlichte, würden zur Beschreibung einer Gewohnheitsehe passen. Zwei Drittel der Befragten wollen zwar weiter, dass ihr Land EU-Mitglied, ja sogar in der Euro-Zone bleibt. Aber nicht einmal mehr ein Drittel vertraut der Union noch. Schon zwischen den Jahren 2000 und 2010 rutschten die Werte der Vertrauensfrage um 20 Prozentpunkte ab, von 57 auf 37 Prozent, wie das Blatt aus seinen regelmäßigen Untersuchungen zitiert.

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Conte warnt vor Scheitern Europas

Unter Corona fiel der Wert auf 30 Prozent. Ein Bericht von „Il fatto quotidiano“, rechtzeitig zum Nord-Süd-Streit der Euro-Finanzminister dürfte den Wert nicht gerade heben: Darin standen die Namen der italienischen Firmen, die sich vom „holländischen Steuerparadies“ anziehen ließen – mit Fiat-Chrysler, Luxottica, Campari, Ferrero, Barilla, Segafredo eine beeindruckende Liste des „Made in Italy“. Letzte Woche hatten die Bürgermeister mehrerer großer italienischer Städte in einem offenen Brief an die „lieben deutschen Freunde“ den Niederlanden vorgeworfen, ausgerechnet sie kämpften am wütendsten gegen Corona-Bonds, entzögen aber mit ihrem Fiskalmodell Italien gute Steuerzahler. Diesem „Beispiel kompletten Mangels an Moral und Solidarität“ dürfe Deutschland nicht folgen.

Ministerpräsident Giuseppe Conte mahnte eine Lockerung der fiskalpolitischen Regeln in der Europäischen Union an. Conte warnte am Mittwoch für den Fall, dass es keine Einigung beim Thema Euro-Bonds gäbe: „Sonst müssen wir Europa abschreiben und jeder macht sein Ding.“ Man dürfe am Ende nicht sagen: "Operation gelungen – Patient Europa ist tot.

Italien fordere nicht, dass Deutschland und die Niederlande dessen Schulden zahlen solle. „Unsere Schulden haben wir immer selbst gezahlt“, sagte Conte. Deutschland habe keine Vorteile, wenn Europa in der Rezession versinke. Conte fordert alle europäischen Nationen auf, sich gegenseitig zu helfen.

Zahlen deuten Entspannung in der Pandemie an

Die Zahlen zu Corona in Italien haben sich indes verbessert – mit der traurigen Ausnahme der offiziell festgestellten Toten. Sie lag nach der täglichen Statistik der Zivilschutzbehörde am Dienstag bei 604 neuen Covid-19-Todesfällen in einem Tag. Am Montag waren es 636, am Sonntag 525. Aber alle anderen Indikatoren – Neuinfektionen, Geheilte und Belegung der Intensivstationen – zeigen seit Anfang April Richtung Entspannung.

Am Dienstag rutschte die Zahl der neuen Infektionsfälle erstmals unter die Marke tausend, auf 880. In der zweiten Märzhälfte bewegte sich diese Zahl noch täglich zwischen 3.600 und 4.800. Und die Zahl der Neuzugänge in den Krankenhäusern, die weiterer Covid-19-Kranker, die intensivmedizinische Therapie brauchen, soll seit Anfang April sogar um 90 Prozent zurückgegangen sein.

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Die Toten von Mailand und der Untergang der Ersten Republik

Während die anhaltend hohe Zahl der Verstorbenen von italienischen Medien inzwischen mit einer Art Resignation vermeldet werden, hat der Covid-19-Tod einiger alter Menschen in Mailand in den letzten Tagen doch noch Aufmerksamkeit erregt – und, ausgerechnet jetzt, den Untergang der Ersten Republik in den Tangentopoli-Skandalen vor fast 30 Jahren wieder ins allgemeine Bewusstsein gerückt.

Im Altersheim Pio Albergo Trivulzio, dem größten Italiens, wird aktuell der Tod von 70 der 1300 Bewohner untersucht.  Die Leitung des 250 Jahre alten Hauses soll nichts zu ihrem Schutz getan und sogar ihre Einlieferung in Krankenhäuser verhindert haben, um zu vertuschen, wie stark das Virus bereits dort wütete.

Untersuchen wird den Fall nun der pensionierte Jurist Gherardo Colombo, der das „Trivulzio“ nur zu gut kennt: Er war prominentes Mitglied im Staatsanwälte-Pool „Mani pulite“, der in den frühen 1990er Jahren das System politischer Korruption in Italien aufdeckte. Der damalige Chef des Altersheims, der sozialistische Politiker Mario Chiesa, war 1992 der erste, den die Untersuchungen ins Gefängnis brachten. Die Ermittler hatten ihn in flagranti bei der Annahme von Bestechungsgeld erwischt.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Hoffnungszeichen der Covid-Krise heizen Spekulationen über das Ende der harten Ausgangssperre nach Ostern wieder an. Der "Corriere della sera" berichtete aus dem Beraterstab der Regierung, dass die Produktion in einigen Firmen bald wieder anfahren könne, auch Geschäfte könnten wieder öffnen – freilich nur, wenn der Abstand aller dort gewahrt sei.

Sogar von einem Enddatum der Beschränkungen ist die Rede: Am 4. Mai könne alles wieder sein wie früher. Fast wie früher: „Das Verbot von Menschenansammlungen wird noch lange in Kraft bleiben.“ Sicher ist bisher, was in Deutschland noch diskutiert wird: In diesem Katastrophenjahr wird in Italiens - bis auf weiteres geschlossenen - Schulen niemand sitzenbleiben.

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