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Kandidat Gauck: Die Koalition stand vor dem Abgrund

Die Suche nach einem Präsidentenkandidaten wurde zwischen Union und FDP als Kräftemessen ausgetragen, bei dem die Kanzlerin ihr Spiel verloren hat - entsprechend groß war die Wut. Ist die Koalition beschädigt?

Von Robert Birnbaum

Die Kanzlerin war stinksauer. Am Sonntagmittag waren die Spitzen der Koalition wieder im Kanzleramt zusammengekommen, um über den nächsten Bundespräsidenten zu beraten. Einer Lösung näher kamen Angela Merkel, Philipp Rösler, Horst Seehofer und die Fraktionsspitzen von CDU, CSU und FDP nicht. Gegen die bis dahin bekannten Namen – Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, Altbischof Wolfgang Huber und den rot-grünen Favoriten Joachim Gauck – gab es die bekannten Bedenken; den von der FDP zwischendurch genannten Sozialdemokraten Henning Voscherau mochte die CDU auch nicht.

Die FDP-Führung zog sich zu einer vorher auf drei Uhr vereinbarten Telefon-Präsidiumskonferenz zurück. Um 15:43 Uhr schickte die Deutsche Presse-Agentur eine Eilmeldung: „Die FDP-Spitze hat sich einstimmig für den SPD-Favoriten Joachim Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt ausgesprochen.“

Wie nah war das Scheitern der Koalition?

Der Agentursatz brachte die Koalition an den Rand des Scheiterns. Sie war nämlich schneller bei Merkel als Rösler und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Als die beiden Freidemokraten zurück ins Kanzleramt kamen, hielt ihnen die CDU-Chefin empört die Eilmeldung vor. Das folgende Vier- Augen-Gespräch mit Rösler war entsprechend heftig: Ob die Freidemokraten etwa die Koalition sprengen wollten!? „Von der Heftigkeit der Reaktionen“, sagt einer aus der FDP-Spitze, „waren wir überrascht.“ Für eine Viertelstunde, ergänzt ein Christdemokrat, war in der CDU-Runde sogar vom Rausschmiss der FDP die Rede. „Die haben einen feindlichen Akt abgezogen!“ empört sich ein CDU-Mann noch am Tag danach.

Befeuert wurde diese Stimmung dadurch, dass der Schwenk der FDP für die CDU überraschend kam. Bis dahin, sagt ein Christdemokrat, hätten die Liberalen sich intern nie für Gauck stark gemacht. Auf FDP-Seite wird dem nicht direkt widersprochen: Man habe bei jedem Vorschlag der Unionsseite gesagt, dass er „besser als Gauck“ geeignet sei, mit SPD und Grünen zum Konsens zu kommen. Überdies hatten die Freidemokraten – mit gutem Grund – den Eindruck, dass CSU-Chef Seehofer am Sonntag auch zu dem Schluss gekommen war, dass es mangels Alternativen auf Gauck hinauslaufe.

Doch nach der ersten Empörung, heißt es auf beiden Seiten, war von Koalitionsbruch nicht mehr die Rede. Rösler versicherte Merkel, das mit dem FDP-„Beschluss“ sei so nicht richtig; es habe sich nur um ein „Meinungsbild“ gehandelt. Dass das „Meinungsbild“ zumindest von denen, die es maßgeblich mit herbei geführt hatten, als genau der Affront gemeint war, verschwieg der FDP-Chef wohlweislich. Denn im FDP-Präsidium gab es neben solchen wie dem Sachsen-Chef Holger Zastrow, die Gauck immer schon den Richtigen fanden, eine starke Taktiker-Fraktion. Die FDP, fanden diese Freidemokraten, habe sich bei den letzten beiden Präsidentenküren von Merkel den Kandidaten aufdrängen lassen. Diesmal müsse es umgekehrt gehen.

Mit welchem Kalkül ging die FDP vor?

Zweifellos gab es in der FDP die Sorge, Merkel könnte den kleinen Partner wieder in die Ecke quetschen, womöglich gemeinsam mit Grünen und SPD. „Die FDP wollte keine Situation, in der Merkel sagt: Ihr habt die Wahl zwischen Töpfer und Huber“, sagt ein FDP-Spitzenmann.

Denn Gauck, das war den Liberalen auch klar, war für die CDU-Chefin nachgerade eine Drohung. Sie hatte vor zwei Jahren Christian Wulff ausgesucht, sie hatte den Niedersachsen mit einiger Mühe ins Schloss Bellevue gepeitscht; fast wäre der damalige CDU-Vize an der eigenen Fraktion gescheitert. Merkel wusste, dass die Partei es als Zumutung empfinden musste, jetzt den Gegenkandidaten von damals zu wählen.

Wie verhielt sich Merkel zum Thema Gauck?

In der Telefonkonferenz des CDU-Präsidiums argumentierte sie gegen Gauck. Auf die Frage, ob jemand für Gauck spreche, blieb es in der Leitung still. Ganz ausgeschlossen, versichern mehrere Teilnehmer, hat ihn die vorsichtige Taktikerin dort trotzdem nicht. Und ihre Andeutung, vielleicht finde sich ja noch ein neuer Name, versah sie nach Auskunft von Mithörern mit dem Hinweis, sehr wahrscheinlich sei das aber nicht. Später schickte sie trotzdem noch einmal ausgerechnet Rösler mit dem Angebot zur SPD, einen Sozialdemokraten zu benennen. Doch zu dem Zeitpunkt hatte die SPD- Spitze längst erkannt, was los war. Sie legte sich jetzt auch auf Gauck fest. Bis kurz vor 20 Uhr brauchte Merkel, um einzugestehen, dass das Spiel für sie verloren war. Als Sozialdemokraten und Grüne eine halbe Stunde später zum verschobenen Parteien-Gipfel im Kanzleramt eintrafen, schlug Merkel offiziell den Bürgerrechtler vor.

Ist die Koalition brüchig geworden?

Am Tag danach sind beide koalitionären Seiten bemüht, den Eklat herunter zu spielen. CDU-General Hermann Gröhe bat im Namen der Würde des Amtes schon frühmorgens im Fernsehen alle Parteifreunde, jetzt nicht nachzukarten: „Wir haben als Koalition gemeinsam einen Auftrag.“ Bei der FDP herrscht erleichterte Freude darüber, dass der Coup nicht nach hinten los gegangen ist: „Wir haben bewiesen, dass wir Risiko gehen, wenn wir überzeugt sind von einer Sache.“ Aber auch die Freidemokraten versichern, es solle jetzt nicht neuer Stil in der Koalition werden, den Partner vor vollendete Tatsachen zu stellen: Bei Sachfragen sei so etwas nicht angebracht.

Da klingt die Sorge an, dass die Union eben doch nachkartet, und zwar genau bei Sachfragen. Aus der zweiten Reihe der CDU macht sich schließlich schon Empörung Luft: „Man sieht sich immer zwei Mal“, droht der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach.

Geht die FDP gestärkt aus der Kandidatenfindung hervor?

In der FDP-Führung überwiegt der Triumph. Ob der Vorgang das Ansehen bei den Wählern stärkt, ist zwar nicht so sicher. Aber der Parteivorsitzende Rösler kann ab jetzt mit breiterer Brust vor die eigenen Leute treten. Er hat etwas getan, was sein Vorgänger Guido Westerwelle bei Merkels Kandidat Horst Köhler so wenig versucht hat wie bei Merkels Kandidat Wulff: der großen Partnerin zu widersprechen – und sich damit auch noch durchzusetzen. Das könnte ihm helfen, drohende Niederlagen bei den Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein politisch zu überleben. Bei der Union aber dürfte die weitere Zusammenarbeit jetzt sehr aufmerksam verfolgt werden. Nicht genug damit, dass Rösler der Kanzlerin eine üble Niederlage beigebracht hat – die gemeinsame Sache mit SPD und Grünen hat ja zugleich etwas Ampelhaftes.

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