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Dramatische Lage. „Beklemmend“ nennt Kanzlerin Angela Merkel die Konfliktsituation in Osteuropa.

© AFP

Krim-Russland-Krise: Die Versöhnung der Welt

Ernste Mienen, Schluss mit dem Gezänk von gestern. Die Ukraine-Russland-Krise lässt alle Parteien im Bundestag zusammenstehen. Und Angela Merkel nimmt ihre zentrale Rolle beim Umgang mit Putin an. Nur Gregor Gysi sagt: „Nato und EU machen alles falsch“.

Von Antje Sirleschtov

Das Plenum im Bundestag ist normalerweise kein Ort, um einer Kanzlerin zu huldigen. Schon gar nicht, wenn Angela Merkel Regierungserklärungen abgibt. Man muss dazu wissen, dass Merkels rhetorische Überzeugungskraft bei solchen Anlässen regelmäßig in umgekehrter Proportionalität zur Zahl der anwesenden Kameras steht. Aber auch ohne diese sind Regierungserklärungen der klassische Anlass für die Opposition, der Regierungschefin in drastischen Worten Schwäche, Fehleinschätzung und allerhand andere schlimme Verfehlungen vorzuwerfen. Was – natürlich in deutlich abgeschwächter Form – meistens auch auf die Reihen der Abgeordneten zutrifft, die mit Merkel gerade in einer Koalition regieren und die mit der Intensität ihres Applauses Zustimmung oder eben Kritik signalisieren. Das Plenum ist eben der wichtigste Ort, um dem Publikum die politischen Verhältnisse auf offener Bühne darzustellen.

An diesem Donnerstag allerdings weicht die Szenerie vom üblichen Ritual ab. Um kurz vor neun steigt Merkel mit ernster Miene die Stufen der Regierungsbank hinauf und wird sofort von ihren Ministern umringt. Langes Händeschütteln mit dem Vizekanzler der SPD, Sigmar Gabriel, ein paar Worte zu Volker Kauder, dem Chef der Unionsfraktion. Auch Thomas Oppermann, SPD-Fraktionsvorsitzender und eigentlich in den Unionsreihen wegen der Edathy-Affäre und dem Rausschmiss des CSU-Agrarministers Friedrich in der Kritik, wird mit einladenden Handbewegungen herangeholt. Das Gezänk von gestern, so darf man den Auftritt der Regierenden deuten, ist von gestern und vergessen.

Am Sonntag holt sich Russland die Krim

Die Lage ist jetzt eine andere: Am Sonntag holt sich Russland die Krim. Und die Welt muss zusehen. Jeder hier weiß, wie überragend diese internationale Krise um die Ukraine ist, und mancher sogar, was sie für verheerende Auswirkungen haben kann. Von der „Rückkehr des kalten Krieges“ ist die Rede, und Merkel hält es sogar für notwendig, den Einsatz von Militär gen Osten kategorisch auszuschließen. „Keine Option“, sagt sie, sei das, der Konflikt mit militärischen Mitteln „nicht zu lösen“. Es ist mit Händen zu greifen an diesem Donnerstag, das Gefühl, das alle (beinahe alle) eint: Jetzt sind Zeiten, da es heißt zusammenzustehen. Nicht nur in der Union und in der SPD. Später am Vormittag werden auch die Grünen dazustoßen. Die bisherigen Reaktionen der Bundesregierung im Konflikt „waren richtig“, wird Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt loben und sich dabei demonstrativ zu Merkel und ihrer Regierung hinwenden. Allein Gregor Gysi wird unter dem tosenden Applaus seiner Linksfraktion aus der Reihe tanzen. Aber dazu später mehr.

Beginnen wir zunächst mit dem, was Merkel in ihrer Regierungserklärung zur Lage in der Ukraine nicht gesagt hat, was aber dennoch wichtig ist, um die Tragweite des Konfliktes zu verstehen. Da wäre zunächst die Anerkennung einer Realität, die die Frau am Pult als „eindeutigen Bruch des Völkerrechts“ bezeichnet und den sie dennoch hinnehmen muss. Am Sonntag wird ein Referendum – man darf das erwarten – den Anschluss der ukrainischen Halbinsel Krim an Russland beschließen.

Für Angela Merkel geht es längst um mehr als um die Halbinsel im Schwarzen Meer

Merkel lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Begründungen des russischen Präsidenten, er unterstütze lediglich den Willen der prorussischen Bevölkerung auf der Krim, nicht gelten lässt. Sie erinnert exakt an die Daten und die Ereignisse der vergangenen Wochen und kommt zu dem Schluss: „Es ist offenkundig“, Putin verletzte die territoriale Eigenständigkeit der Ukraine. Nur zum Abzug von der Krim fordert sie den Mann im Moskauer Kreml nicht auf. Merkel kennt wie kaum ein Staatenlenker der Welt die Russen, und sie weiß, dass Wladimir Putin einen Verzicht auf die Krim innenpolitisch nicht überleben würde. Kenne deine Möglichkeiten, lautet einer der wichtigsten Leitsätze im internationalen Krisenmanagement.

Der Kanzlerin geht es ohnehin längst um mehr als um die Halbinsel im Schwarzen Meer. In einer Welt, die so eng miteinander verwoben ist, sagt sie, könne keine Macht ohne die anderen dauerhaft Frieden, Freiheit und Wohlstand erreichen. Das gelte für Europa genauso wie für Amerika, China und auch Russland. Weshalb Konflikte mit den Mitteln des globalisierten 21. Jahrhunderts gelöst werden müssten und nicht mit den Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts, die Krieg und Vernichtung brachten.

Für Merkel steht fest: Sie will Putin ein klares Stopp-Signal zeigen.

Genau dieses alte Verhaltensmuster allerdings erkenne sie in Putin, sagt Merkel. „Das Recht des Stärkeren wird gegen die Stärke des Rechts gestellt, einseitige geopolitische Interessen über Verständigung und Kooperation.“ Erst am Tag zuvor war die deutsche Kanzlerin in Polen, regelmäßig hat sie Kontakt mit den Regierungen im Baltikum. Überall im Osten Europas spürt sie die Ängste vor dem Prinzip Putins, dem Prinzip der unbedingten und egoistischen Machtdemonstration. Und sie spürt die Reaktionen: Angst und als Folge derer die Bitte um militärische Unterstützung, Kampfjets. Alles Reflexe, die für Merkel nicht mehr in dieses Jahrhundert gehören. Und die sie niemandem durchgehen lassen will. Auch nicht dem Westen.

Es ist keine zwei Wochen her, als ihre und die Bemühungen ihres Außenministers Frank-Walter Steinmeier, trotz lauter Rufe nach Sanktionen gegen Russland erst einmal über den Einsatz einer internationalen Kontaktgruppe zu sprechen, als Schwäche und Lavieren bezeichnet wurden. Dabei konnte man schon zu jener Zeit erkennen, wovor sich die Frau an der deutschen Regierungsspitze am meisten fürchtet, nämlich vor einem Hochschaukeln des Konfliktes. Zum Schaden Europas, zum Schaden der Welt. „Beklemmend“, sagt Merkel an diesem Donnerstag, sei das alles für sie, und warnt, wenn die Konflikte des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts gelöst würden, dann werde das „über kurz oder lang zum Schaden für alle“ gereichen.

Macht Putin nicht genau das, was der Westen auch macht?

Es ist Merkels dritte Amtszeit, die gerade beginnt. In der ersten brach über ihr beinahe das Weltfinanzsystem zusammen. In der zweiten stand Europa am Abgrund. Jetzt, in ihrer dritten, brechen längst beiseitegelegte Weltkonflikte wieder auf, und alle Augen richten sich erneut auf sie. Man konnte es an ihrer Stimme und der Intensität ihrer Worte spüren, als sie an diesem Donnerstag die Arbeit ihres Chefdiplomaten Steinmeier in den zurückliegenden Wochen lobte: Merkel ist froh, dass genau dieser Mann in diesem Moment an ihrer Seite steht.

Hier wäre es nun Zeit, zwischendurch den weiteren Fortgang der Plenardebatte zu beschreiben und auf den Linken-Chef Gysi zu sehen. Denn auch viel weiter unterhalb der großen Weltpolitik brechen längst vergessene alte Konflikte wieder auf. Macht Putin nicht genau das, was der Westen auch macht? Afghanistan, Kosovo, Irak – das sind die Beispiele, die nicht nur in Moskau-freundlichen Zirkeln an deutschen Stammtischen genannt werden. Der Feind scheint klar ausgemacht: Die Sieger des kalten Krieges, denen Moskau nun mit gleicher Münze antwortet.

Nein, Gregor Gysi, der Mann mit der ostdeutschen Vergangenheit, hat nicht den Fehler begangen, sich auf Putins Seite zu schlagen. „Falsch“ sei, was der russische Präsident tue, sagt Gysi. Und doch bricht er eine Lanze für Moskau, wirbt offen für Verständnis. „Alles, was die Nato und die EU im Verhältnis zu Russland falsch machen konnten, haben sie falsch gemacht“, sagt Gysi und erinnert an die Aufnahme osteuropäischer Länder in die Nato und den Verlauf der Assoziierungsverhandlungen Europas mit der Ukraine, die Russland als „Bedrohung“ habe empfinden müssen. Selbst der von den Vereinten Nationen nicht unterstützte militärische Eingriff der Nato in Serbien dient Gysi heute als Entschuldigung für die Krim-Okkupation. „Völkerrechtsbruch ist Völkerrechtsbruch“, erkennt Gysi und spricht von „berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands“. Schließlich gelte es, die russischstämmige Bevölkerung der Ukraine vor den „Faschisten“ zu schützen, die nun an der Spitze der Übergangsregierung stünden.

Nur nebenbei, weil es wirklich nicht zentral ist: Sichtbare Verdunkelung der Mienen in den Reihen der SPD und der Grünen mit fortschreitendem Vortrag Gysis. Drei Jahre noch, dann ist wieder Bundestagswahlkampf. Letzte Gelegenheit wahrscheinlich, endlich mit einer rot-rot-grünen Alternative gegen die Union anzutreten und das Kanzleramt zu ergattern. Aber mit diesen Linken und ihren außen- und sicherheitspolitischen Positionen?

Für Merkel steht fest: Sie will Putin ein klares Stopp-Signal zeigen

Merkel übrigens hatte erwartet, dass Gysi den Militäreinsatz im Jugoslawien-Konflikt als Rechtfertigung für den russischen Krim-Einsatz anführen würde. Sie nannte den Vergleich „beschämend“, schließlich habe die Welt seinerzeit ethnischen Säuberungen des Milosevic-Regimes lange „ohnmächtig zusehen müssen“ und erst nach langer Verhandlungsphase mit Nato-Kräften eingegriffen. Nicht vergleichbar und vor allem für Merkels Weltverständnis wiederum ein Reflex zurückliegender Jahrhunderte, einen Völkerrechtsbruch mit einem anderen entschuldigen zu wollen, nämlich.

Wie soll es nun weitergehen, nach dem Referendum am Sonntag? Für Merkel steht fest: Sie will Putin ein klares Stopp-Signal zeigen. Bis hierhin und nicht weiter. Ihr „politisch-ökonomischer Dreiklang“ ist kurz beschrieben. Aufklärung der Ereignisse auf dem Maidan in Kiew durch internationale Beobachter, Einrichtung einer Kontaktgruppe zur friedlichen Beilegung der Konflikte und ökonomische Hilfen für die Ukraine. Als nicht verhandelbar steht für Merkel fest: „Die territoriale Integrität der Ukraine steht nicht zur Disposition.“ Putin bietet Merkel im Gegenzug für einen Erfolg auf diesem Weg engere politische und ökonomische Zusammenarbeit an. Die Nähe zur Ukraine und anderen Ländern sei „gegen niemanden gerichtet“.

Und wenn sich der Mann im Kreml darauf nicht einlässt? Dann droht ihm Merkel im Zweifelsfall auch mit wirtschaftlichen Sanktionen, „bereit und entschlossen“ sei man dazu, wenn nichts anderes hilft. Schaden werde das vor allem Russland selbst. Es scheint, dass Angela Merkel ihre zentrale Rolle bei der Versöhnung der Welt mit Moskau angenommen hat. „Gespräche, Hilfen, Sanktionen“ – das sind ihre Mittel des 21. Jahrhunderts zur Lösung solcher Konflikte. Und die wird lange dauern.

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