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Das Zählwerk in einem Gaszähler dreht sich und zeigt den Verbrauch von Gas in einem Privathaushalt an (Symbolbild).

© dpa/Jens Büttner

Update

29-Euro-Ticket, Heizkostenzuschuss, Mobilitätsgeld: Diese Maßnahmen sollen zielgerichtet den sozial Schwächeren helfen

In einer Studie des DIW Econ werden Gaspreisdeckel und Pendlerpauschale kritisiert. Der Staat soll sich auf zielgerichtete Hilfen konzentrieren, heißt es.

Die Erwartungen sind groß. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) verspricht ein „wuchtiges Entlastungspaket“ für die von steigenden Preisen gebeutelten Bundesbürger, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellt ein „sehr maßgeschneidertes Entlastungspaket“ in Aussicht. Das soll in Kürze stehen, sagte SPD-Parteichefin Saskia Esken am Donnerstag. Wegen der stark gestiegenen Preise für Energie und viele Verbrauchsgüter hat die Ampel-Koalition bereits mehrere Entlastungsschritte beschlossen, zum Teil wurden sie bereits umgesetzt. Derzeit arbeitet die Bundesregierung an einem dritten Maßnahmenbündel.

Nachdem die Regierung bei ihrer Klausur keine Beschlüsse gefasst hat, soll nun der Koalitionsausschuss von SPD, FDP und Grünen am Wochenende den Durchbruch bringen. Diskutiert wird über ein Maßnahmenbündel.

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Doch nicht alle Vorschläge, die derzeit auf dem Markt sind, sind sinnvoll. Das zeigt eine am Donnerstag vorgestellte Studie des Beratungsunternehmens DIW Econ, einer Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland. Hinter dem Bündnis stehen mehr als 140 Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Kirche, Entwicklung, Verbraucherschutz, Soziales und Gewerkschaften.

Studie kritisiert Gaspreisdeckel

Heftige Kritik übt der Autor der Studie, Maximilian Priem, vor allem an dem von der SPD favorisierten Gaspreisdeckel. Danach soll der Gaspreis für einen Grundbedarf von 8000 Kilowattstunden (kWh) auf 7,5 Cent pro kWh gedeckelt werden. Von einer solchen Maßnahme, warnt Priem, würden vor allem besser gestellte Haushalte profitieren, die in wärmegedämmten Immobilien leben und daher weniger Gas zum Heizen brauchen. Ein Eingriff in den Preis sende zudem ein falsches Signal aus, kritisiert er. Hohe Preise fordern nämlich zum Energiesparen und einem Ausstieg aus fossilen Energieträgern auf, ein Preisdeckel konterkariert das. Nach neuen Berechnungen des Vergleichsportals Check24 sind die Preise fürs Heizen im August verglichen mit dem Vorjahresmonat um 165 Prozent gestiegen. Gas kostete an der Börse durchschnittlich 235 Euro pro MWH, vor einem Jahr waren es nur 44 Euro.

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte ein „maßgeschneidertes Entlastungspaket“ an.
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte ein „maßgeschneidertes Entlastungspaket“ an.

© IMAGO/Political-Moments

„Die akuten politischen Antworten auf die Energiekrise müssen so gestaltet sein, dass Klimaschutz, Versorgungssicherheit und soziale Gerechtigkeit ausgewogen berücksichtigt sind“, erklärte der stellvertretende Geschäftsführer der Klima-Allianz, Malte Hentschke-Kemper. Gebraucht werde eine „zukunftsweisende Gesamtlösung“.

Alle Bundesbürger seien durch die Energiekrise ärmer geworden, betonte Priem. Der Staat könne aber nicht allen helfen, sondern solle sich auf zielgerechtete Maßnahmen konzentrieren, die vor allem sozial Schwachen zugute kommen.

Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger

Statt des Gaspreisdeckels empfiehlt die Studie daher einen erneuten Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. Bereits im vorherigen Entlastungspaket waren 270 Euro gezahlt worden. Im neuen Paket müssten es nach Schätzung Priems rund 550 Euro sein. Derzeit beziehen in Deutschland rund 700.000 Haushalte Wohngeld, darunter auch Rentner und Studenten.

[Wo kann man noch sparen? Lesen Sie dazu die Spartipps des Chefs von Check24 (T+)]

Die Hilfe erhalten Menschen mit kleinen Einkommen, die jedoch über der Hartz-IV-Grenze liegen. Bei Hartz IV und der Grundsicherung werden die Heizkosten vom Staat übernommen. Kanzler Scholz hat bereits angekündigt, dass das Wohngeld reformiert und der Kreis der Empfänger ausgeweitet werden soll. Selbst dann, so Priem, koste der Heizkostenzuschuss den Staat wahrscheinlich nur eine Milliarde Euro und damit neun Milliarden weniger als der Gaspreisdeckel..

Das Neun-Euro-Ticket ist Vergangenheit. Wie geht es jetzt weiter?
Das Neun-Euro-Ticket ist Vergangenheit. Wie geht es jetzt weiter?

© dpa/Martin Schutt

Nach dem Neun-Euro-Ticket das 29-Euro-Ticket

Um Bundesbürgern mit schmalem Geldbeutel weiterhin Reisen zu ermöglichen, plädiert die Studie für ein bundesweit gültiges 29-Euro-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr als Nachfolgerin des Neun-Euro-Tickets. Allerdings müsste dann auch Geld in neue Züge investiert werden, fordert Viviane Raddatz vom WWF Deutschland.

Obst soll nicht mehr mit der Mehrwertsteuer belastet werden, schlägt die Studie vor.
Obst soll nicht mehr mit der Mehrwertsteuer belastet werden, schlägt die Studie vor.

© dpa-tmn/Catherine Weibel

Die Studie ist zudem dafür, die Pendlerpauschale, die Fernpendlern höhere Steuerentlastungen bringt als Menschen mit kurzen Arbeitswegen, durch ein Mobilitätsgeld zu ersetzen. Das soll zehn Cent pro Kilometer betragen – unabhängig davon, ob man mit dem Rad, dem Bus oder dem Auto fährt. Davon, so Priem, würden vor allem Geringverdiener profitieren, die von der bisherigen Steuerersparnis nicht viel hätten.

60 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen

Finanziert werden könnten ein 29-Euro-Ticket und andere Maßnahmen „durch die Reform klimaschädlicher Subventionen wie beispielsweise des Dienstwagenprivilegs und der Pendlerpauschale“, erklärte Carolin Schenuit vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. In Deutschland summierten sich die Ausgaben für klimaschädliche Subventionen auf 60 Milliarden Euro, allein die Abschaffung des Dienstwagen- und des Dieselprivilegs würden dem Staat eine Ersparnis von zehn bis elf Milliarden Euro bringen.

Keine Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse

Was den Preisanstieg bei Lebensmittel betrifft, hält die Studie eine Reform der Mehrwertsteuer grundsätzlich für sinnvoll. Während man die Mehrwertsteuer für tierische Produkte von sieben auf 19 Prozent erhöhen sollte, sollten Obst, Gemüse und Getreideerzeugnisse von der Steuer befreit werden. Angesichts der aktuellen Preissteigerungen bezweifelt Priem jedoch, dass eine solche Entlastung bei den Verbrauchern derzeit ankommt.

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Kurzarbeit könnte wiederkommen

Über die Energiepolitik und die steigenden Preise beraten auch die Fraktionen mehrerer Parteien im Bundestag. Während die Grünen-Fraktionen am Donnerstag ihre Klausur in Potsdam beendet, kommen die SPD-Fraktion und die Spitze der Unionsfraktion jeweils zu Klausurtagungen zusammen.

Was die ersten Pakete gebracht haben

Die ersten zwei Entlastungspakete, die ein Volumen von 30 Milliarden Euro hatten, haben alle Bürger entlastet, betont Priem. Allerdings sei die Entlastung der einkommensschwächsten Haushalte deutlich geringer ausgefallen als die der finanziell besser gestellten. Arme Menschen seien „deutlich stärker von der fossilen Inflation betroffen“, betonte die Präsidentin des Deutschen Caritas-Verbands, Eva Maria Welskop-Deffaa. Sie forderte für diesen Winter ein Moratorium für Strom- und Gassperren, „damit überschuldete Haushalte nicht im Dunkeln und Kalten sitzen müssen“.

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Wird die Kurzarbeit wieder ausgeweitet?

Die SPD-Fraktionsspitze hatte vorgeschlagen, Bürgerinnen und Bürger unter anderem mit Direktzahlungen, einer Preisbremse für den Grundbedarf an Energie und einem bundesweiten 49-Euro-Ticket für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr zu entlasten. Die Unionsabgeordneten haben für Donnerstag vor dem Hintergrund der drastisch gestiegenen Energiepreise den Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands größtem Energieversorger Eon, Leonhard Birnbaum, zu den Beratungen eingeladen.

[Lesen Sie auch: Gehen in Deutschland die Lichter aus?: Wie die Bürger jetzt noch entlastet werden können (T+)]

„Dieser Krieg hat wirtschaftliche und soziale Folgen, die uns länger beschäftigen“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der Nacht auf Donnerstag in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. „Der Staat (...) kann nicht alles abfedern für alle, aber muss das gezielt machen.“

Mit seinen Ressourcen müsse der Staat auch noch „andere Dinge machen“: Man müsse sich darauf einstellen, dass wie in der Corona-Pandemie die Kurzarbeit wieder ausgerollt werden müsse, „wenn das ganze wirtschaftlich eskalieren sollte“, sagte Heil. „Die Aufgaben werden noch riesig groß sein.“ (mit dpa)

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