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„Bräuchten Massen an Abwehrdrohnen“: Die deutsche Luftverteidigung soll besser werden – doch das kann dauern
Die Vorfälle mit mutmaßlich von Russland gesteuerten Drohnen lösen in Europa Besorgnis aus. Der Schutz gegen die Objekte soll schnell und effektiv gesteigert werden. Wie realistisch ist das?
Stand:
Immer häufiger dringen Drohnen auf EU- und Nato-Gebiet ein. Sie wurden in der Nähe von Flughäfen gesichtet und legten dort wie in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen den Flugverkehr lahm oder sie überflogen im Schwarm kritische Infrastruktur, wie jüngst in Schleswig-Holstein geschehen. Dort wurden, das gilt als sicher, unter anderem ein Kraftwerk, das Uni-Klinikum in Kiel, aber auch das Thyssen-Werk für die Bundesmarine ausgespäht.
Die Politik ist alarmiert.
Noch handelt es sich mutmaßlich nur um Spionageaktionen für den russischen Machthaber Wladimir Putin – und gleichzeitig um psychologische Kriegsführung. Daniel Günther, Ministerpräsident im nördlichsten Bundesland, sagte dem „Spiegel“: „Es ist klar, dass die Drohnenüberflüge in verschiedenen EU-Staaten, Deutschland und bei uns in Schleswig-Holstein in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem der Verunsicherung und Destabilisierung dienen soll.“
Die scharfen und deutlichen Reaktionen des Nachbarlands Dänemark in den vergangenen Tagen seien genau richtig. Auf die Angriffe müsse man in Europa entschieden und mit Stärke antworten. „Deshalb brauchen wir auch in Deutschland so schnell wie möglich eine effektive und funktionierende Drohnenabwehr, zum Schutz unserer kritischen Infrastruktur und der Bevölkerung“, fügte der CDU-Politiker hinzu.
Wir brauchen eine bessere Koordination der Drohnenabwehr in Deutschland.
Marie-Christine von Hahn, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Luft- und Raumfahrtindustrie
EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen kündigte einen Drohnenwall an. Das System zur Abwehr unbemannter Flugobjekte müsse „ein Schutzschild für unseren gesamten Kontinent“ sein, sagte sie. Die Ostflanke sei zwar „derzeit am meisten exponiert“, die Vision müsse aber „sehr, sehr viel umfassender“ sein.
Nahezu täglich gibt es inzwischen solche Appelle, der Schutz gegen die mutmaßlich von Russland gesteuerten Flugobjekte müsse verbessert werden – und zwar schnell.
Deutschland hat die Entwicklung vertrödelt
Fakt ist allerdings, es geht darum, effektive Abwehrmechanismen überhaupt erstmal aufzubauen. Lange galten Drohnen für viele Verteidigungsexperten in Deutschland – egal welcher politischen Couleur – als verpönt, Entwicklungen wurden vertrödelt oder gar blockiert, wie Branchenvertreter monieren. Dementsprechend fehlen Grundlagen.
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In Deutschland bemängelt einer Umfrage der Agentur dpa zufolge eine große Mehrheit von Fachleuten der Luftfahrtindustrie fehlende Gesetze für das Aufspüren und die Abwehr von Drohnen. „Es ist 5 nach 12: Die illegalen Drohnenüberflüge bedrohen zunehmend unsere nationale Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität“, warnte Marie-Christine von Hahn, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI).
„Wir brauchen eine bessere Koordination der Drohnenabwehr in Deutschland, damit die vielfältigen Technologien, die die Industrie entwickelt, zum Einsatz kommen können“, sagte die BDLI-Chefin.
Experten sehen geringe Wirksamkeit bei Drohnenabwehr
Der Umfrage zufolge haben zwei Drittel der Luftfahrtexperten Zwischenfälle mit illegalen Drohnen in ihren Organisationen gemeldet, ein Großteil innerhalb der vergangenen sechs Monate. Die größte Bedrohung geht demnach von Spionage gegen militärische Liegenschaften und kritische Infrastruktur aus.
Ebenfalls 72 Prozent gaben an, dass ihre Organisationen keine Drohnendetektion betreiben, unter anderem wegen Risiko- und Kostenabwägungen. Und: Den verfügbaren Technologien wird demnach nur eine niedrige bis akzeptable Wirksamkeit attestiert.
Die Ukraine steht hier längst viel besser da und entwickelte eigene Systeme im Kampf gegen die russischen Invasionstruppen. Nach den Vorfällen in Dänemark schickte Kiew sogar Berater nach Kopenhagen. Nun sollen in Europa Flughäfen, Kraftwerke und Grenzen geschützt und ein Drohnenwall an der Ostgrenze errichtet werden.
Abgesehen von der sensiblen Frage des Abschusses von Flugobjekten über bewohnten Gebieten: Können Polizei und Bundeswehr die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland derzeit überhaupt wirksam gegen solche Attacken schützen? „Wir könnten schon, wenn wir genug hätten“, sagt Michael Santo, Rüstungsexperte für Luftfahrt und Verteidigung, der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“). „Aber wir haben nicht einmal ein eigenes Abwehrkonzept, geschweige denn die nötige Anzahl von Abwehrdrohnen.“
Große Hersteller konzentrieren sich auf Aufklärungs- und Kampfdrohnen
Deutschland sei auf dem „Gebiet der Drohnen nahezu blank“, sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen gerade. Die Bundesregierung müsse „schnellstens ein Beschaffungsprogramm auflegen“.
Eine Analyse der „SZ“ zeigt zudem: Die größeren deutschen Hersteller haben sich bisher auf Aufklärungs- und Kampfdrohnen konzentriert. Kleine Unternehmen, die Abfangdrohnen liefern könnten, sind wohl derzeit nicht in der Lage, ausreichende Mengen zu produzieren. „Wir haben derzeit nur eine begrenzte Kapazität“, sagte Rüstungsexperte Santo.
Eigentlich bräuchten wir Massen an Abwehrdrohnen, die preislich auf dem gleichen Niveau liegen wie die Drohnen, die wir abschießen wollen.
Michael Santo, Rüstungsexperte für Luftfahrt und Verteidigung
Und die Alternativen? Die sind teuer. Deutschland verfügt zum Beispiel über das hochwirksame, aber sehr teure Luftabwehrsystem Patriot – noch dazu in begrenzter Zahl. Und damit sollen Flugzeuge, taktische ballistische Raketen und Marschflugkörper eines Angreifers bekämpft werden. Dem US-Thinktank Center for Strategic and International Studies zufolge kosten allein die Abwehrraketen etwa vier Millionen Dollar pro Stück.
Man könne eine Drohne auch von einem F-35-Kampfjet aus abschießen, sagte Santo. Da koste eine Rakete dann „einige Hunderttausend Euro, plus der Stundeneinsatz des Fliegers“ – kaum sinnvoll, um eine Drohne auszuschalten, die nur mehrere 10.000 Euro kostet.
Zudem gibt es das Luftverteidigungssystem Skyranger. Das sei als ein klassischer Flugabwehrpanzer „zwar günstiger als die F-35-Lösung“, sagte Santo. Er sei aber „eigentlich auch noch zu teuer angesichts der Stückzahlen, die wir brauchen werden“.
Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sagte gerade: „Eines ist für mich klar: Am Ende wird es vermutlich darauf hinauslaufen müssen, dass wir Drohnen gegen Drohnen einsetzen.“
Deutschland benötigt also billigere Alternativen. „Eigentlich bräuchten wir Massen an Abwehrdrohnen, die preislich auf dem gleichen Niveau liegen wie die Drohnen, die wir abschießen wollen“, sagte Santo.
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