
© dpa/Michael Kappeler
„Ein fatales Signal in Richtung Ukraine“: Unklarheit bei Ukraine-Hilfe stößt auf breite Kritik
Ein Brief von Finanzminister Lindner löst eine Debatte über den Umfang deutscher Hilfen an die Ukraine aus. Kritik kommt auch aus den eigenen Reihen. Die Regierung bemüht sich um Schadensbegrenzung.
Stand:
Deutschland soll nach dem Willen der Bundesregierung trotz klammer Kassen einer der wichtigsten Unterstützer der von Russland angegriffenen Ukraine bleiben.
„Deutschland ist weiter absolut engagiert, und es gilt weiter das Wort des Kanzlers, dass die Unterstützung der Ukraine so lange fortgesetzt wird, wie das nötig ist, und dass niemand, vor allem auch nicht der russische Präsident, darauf hoffen kann, dass wir darin nachlassen“, betonte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin.
Allerdings soll die bisherige bilaterale Hilfe aus dem Bundeshaushalt teilweise auf multilaterale Unterstützung umgestellt werden. Und das steht auf wackligen Beinen, denn die internationalen Pläne sind noch nicht endgültig gesichert. Wie genau Deutschland die Ukraine im kommenden Jahr unterstützen kann, ist damit völlig ungewiss.
Wie viel Militärhilfe Deutschland zahlt
Die Bundesrepublik ist nach den USA der zweitgrößte Geldgeber der Ukraine. Etwa 7,5 Milliarden Euro hat die Ampel-Regierung in diesem Jahr für „Ertüchtigung“, also Militärhilfe, eingeplant. Doch schon jetzt ist klar, dass das knapp kalkuliert war: Laut Verteidigungsministerium ist fast alles schon ausgegeben oder verplant.
Ob schon in diesem Jahr mehr Geld gebraucht wird, ist umstritten. Einem „Spiegel“-Bericht zufolge bat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schon vor Wochen informell um eine Aufstockung in Höhe von fast vier Milliarden. Ein Sprecher seines Ministeriums kommentierte das aktuell nicht. Laut Finanzministerium liegt keine offizielle Bedarfsmeldung vor.
Für das kommende Jahr sind im Bundeshaushalt derzeit nur vier Milliarden Euro Militärhilfe vorgesehen. Das war beim Haushalt 2024 genauso – der Titel wurde später durch den Bundestag aufgestockt. Diesen Spielraum sehen Haushälter für 2025 wegen des engen Haushaltsplans aber nicht.
Bitte stellen Sie sicher, dass die Obergrenzen eingehalten werden
Christian Lindner, Finanzminister (FDP) in einem Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock.
Finanzministerium: Extra-Geld nur mit gutem Grund
Finanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb deshalb einen warnenden Brief an Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Neue Maßnahmen mit Zahlungsverpflichtungen in den nächsten Jahren, heißt es darin, dürften nur eingegangen werden, wenn in den Haushaltsplänen „eine Finanzierung gesichert ist“. Lindners Erwartung: „Bitte stellen Sie sicher, dass die Obergrenzen eingehalten werden.“
Später ergänzte das Lindner-Ministerium, man könne kurzfristig prüfen, ob zusätzliches Geld möglich sei. Allerdings müsse der Bedarf „konkret gemeldet und nachvollziehbar sein“, damit man den Bundestag um weitere Mittel bitten könne.
Hoffen auf eine unfertige neue Geldquelle
Weniger bilaterale Unterstützung bedeutet nach Rechnung von Kanzleramt und Finanzministerium auch nicht automatisch weniger Hilfe für die Ukraine. Denn die großen westlichen Industriestaaten sind gerade dabei, ein neues Finanzierungskonzept für das angegriffene Land auf die Beine zu stellen.
Im nächsten Jahr soll die Ukraine einen Kredit über 50 Milliarden Dollar bekommen. Zinsen und Tilgung sollen aus den Erträgen eingefrorener russischer Staatsvermögen gestemmt werden.
In westlichen Ländern wurden seit dem russischen Angriff auf die Ukraine nach Angaben der US-Regierung rund 280 Milliarden US-Dollar (rund 260 Milliarden Euro) an russischen Zentralbankgeldern eingefroren. Der weitaus größte Anteil befindet sich innerhalb der Europäischen Union: nach Kommissionsangaben rund 210 Milliarden Euro. Das festgesetzte Geld wirft jährlich Zinserlöse in Milliardenhöhe ab.
Es wird eine neue Finanzierung – ich sage mal wohl und wahrscheinlich – geben
Robert Habeck, Vizekanzler
Das Problem: Die Gespräche für das Kreditprojekt laufen bereits seit Monaten – doch festgezurrt ist noch nichts. „Wir gehen davon aus, dass das bis Ende 2024 gelingt“, heißt es in der Bundesregierung. Verbindlich mit dem Geld planen kann die Ukraine aber eigentlich nicht. Und der Kreml wertet die Nutzung der Erträge als Enteignung.
„Es wird eine neue Finanzierung – ich sage mal wohl und wahrscheinlich – geben“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) bei einem Termin in Hamburg. Die Ukraine bekomme dann nicht Waffen geschenkt, sondern sie bekomme Geld und könne sich damit Waffen kaufen. Das sei völlig in Ordnung, der Übergang dürfe aber nicht zu einer monatelangen Unterbrechung der Unterstützung führen, warnte er.
Welches Signal sendet die Regierung?
Das Vorgehen der Bundesregierung stößt auf heftige Kritik – auch innerhalb der Ampel. „Es ist ein fatales Signal der Bundesregierung in Richtung Ukraine, wenn in den künftigen Haushalten des Bundes keine weiteren Mittel für neue Militärhilfen eingeplant werden“, sagte SPD-Außenpolitiker Michael Roth zu den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der 50-Milliarden-Kredit sei bei Weitem nicht genug. Der SPD-Politiker ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich ungewöhnlich deutlich: Er erwarte, „dass Deutschland ein großer, europäisch größter Unterstützer der Ukraine bleibt“, sagte er am Rande eines Besuchs in Ungarn.
Ich glaube, der Bundeskanzler lebt mittlerweile in einer anderen Welt. Er macht sich die Welt schön. Er redet über Deutschland wie über ein Land, das er nicht kennt.
Friedrich Merz, CDU-Chef, über Bundeskanzler Olaf Scholz
CDU-Chef Friedrich Merz hält Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor, Zusagen an Kiew nicht mehr einhalten zu können. Scholz habe „ja immer wieder gesagt, die Ukraine bekommt das, was sie braucht“, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende in der Sat.1-Sendung „newstime spezial „Wo steht Deutschland?“, die am Abend ausgestrahlt werden sollte.
„Ich glaube, der Bundeskanzler lebt mittlerweile in einer anderen Welt. Er macht sich die Welt schön. Er redet über Deutschland wie über ein Land, das er nicht kennt.“ Scholz habe immer den Streit laufen lassen „und aus dieser Spirale kommt er jetzt nicht mehr heraus“. Damit, dass der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellen werde, rechne er jedoch nicht.
Äußerungen des Grünen-Chefs Omid Nouripour, der am Sonntag im ARD-Sommerinterview gesagt hatte, „diese Koalition ist eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel“, hätten ihn überrascht, sagte Merz. „Das ist das Eingeständnis, dass diese Koalition nichts mehr zu sagen hat, keine Einigung mehr erzielt, im Dauerstreit seit zweieinhalb Jahren ist und jetzt offensichtlich auch das letzte Jahr nichts mehr zu Wege bringt.“
Merz habe den Eindruck, „die FDP legt es streckenweise darauf an, rausgeworfen zu werden.“ Er verstehe die Strategie der Ampel-Beteiligten nicht mehr. „Das, was Nouripour gestern Abend gesagt hat, ist ja das Eingeständnis, dass sie im Grunde genommen jetzt wirklich am Ende sind.“
Es wäre gut für Deutschland, wenn diese Koalition bald endet
Jens Spahn, CDU-Präsidiumsmitglied
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sprach von einem schwierigen Signal für die Ukraine und die Bündnispartner Deutschlands, „dass die Hampel-Ampel, wegen ihres Streits jetzt, den sie hier im Inland hat, unsere Bündnisfähigkeit im Grunde infrage stellt, unzuverlässig ist gegenüber der Ukraine“. Das Land kämpfe einen tapferen Kampf und werde jetzt schwer enttäuscht sein.
Er fügte hinzu: „Es ist schon bemerkenswert: Grüne und FDP wollen beide die Koalition eigentlich verlassen, sehen keine Gemeinsamkeiten mehr. Es wäre gut für Deutschland, wenn diese Koalition bald endet.“
Bundesregierung versucht zu beruhigen
Die Bundesregierung bemühte sich um Beruhigung und aktualisierte ihre Liste mit Lieferungen militärischer Ausrüstung an die Ukraine. Bis Jahresende sollten noch vier Iris-T-Luftverteidigungssysteme mit unterschiedlichen Reichweiten geliefert werden, kündigte Büchner an. Dazu kämen zehn Gepard-Flugabwehrpanzer, 16 Panzerhaubitzen, 10 Leopard-Kampfpanzer, Kampfdrohnen und mehrere Tausend Schuss Artillerie und Panzermunition.
Auch für das kommende Jahr seien der Ukraine mehr als 20 Panzerhaubitzen, 20 Schützenpanzer vom Typ Marder, 37 Leopard-Kampfpanzer, fünf Gepard-Flakpanzer, sechs weiteren IRIS-T-Systeme sowie mehrere tausend Schuss Artillerie- und Panzermunition zugesagt. „Und deshalb gibt es von der Regierung her überhaupt keine Botschaft, die da heißt, die Unterstützung wird reduziert oder sonst wie eingeschränkt.“ (dpa)
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