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„Ein klares Zeichen an Straftäter“: Scholz kündigt bei Bürgerdialog weitere Maßnahmen für mehr Sicherheit an
Es ist sein erster großer Auftritt seit dem Wahldebakel im Osten. Beim Kanzlergespräch in Berlin stellte sich Olaf Scholz den Fragen der Menschen – und stellt selbst Fragen.
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Eigentlich ist der Kanzler gekommen, um Fragen zu beantworten statt zu stellen. Doch, wenn es um einen geeinten und harmonischen Umgang ohne Streit innerhalb der Bundesregierung geht, erkundigt sich Olaf Scholz beim Fragesteller, einem Erzieher. „Welches Patentrezept haben Sie, ich frage für einen Freund“, sagt Scholz und erntet dafür zahlreiche Lacher aus dem Publikum.
Der Pädagoge rät, mehr intern zu sprechen und Ergebnisse erst später nach außen zu kommunizieren. Scholz muss gestehen: „Die Wahrheit ist, Sie haben Recht.“
Erstmals seit dem Wahldebakel für die Ampelparteien am Sonntag in Thüringen und Sachsen hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in Berlin Fragen aus der Bevölkerung gestellt: etwa zu Migration und Sicherheit, aber auch Klimawandel oder Bildung. Beim „Kanzlergespräch“ haben Bürgerinnen und Bürger 90 Minuten lang Zeit, ihre Fragen an den Bundeskanzler zu richten. Eine Vorgabe gibt es nicht, sie werden live gestellt und beantwortet, alle Themen dürfen und sollen angesprochen werden. Wie sich Scholz schlug, konnten Sie auch hier im Livestream mitverfolgen.
Gleich die erste Frage treibt aktuell wahrscheinlich alle Menschen in Deutschland um: Es geht um das Versprechen des Staates nach Sicherheit. Angesichts der Messerattacken wie zuletzt in Solingen will eine Lehrerin vom Bundeskanzler wissen, was er in den letzten Wochen konkret gemacht habe, dass Bürger in Deutschland ohne Furcht leben können.
„Eine ganze Menge“, sagt der Kanzler und verweist auf die Ankündigung, jetzt auch Straftäter nach Afghanistan und Syrien abschieben zu können. „Wir haben das geschafft“, sagt er. Nach wochenlanger Arbeit und obwohl es schwierig gewesen sein. „Das ist ein klares Zeichen an Straftäter, dass sie nicht damit rechnen können, hierbleiben zu können“. Auch verwies Scholz auf ein heute im Bundeskabinett verabschiedetes Gesetz, das härte Strafen für Angriffe auf Polizisten vorsieht. „Hier kommt jetzt noch mehr“, sagte der Kanzler mit Blick auf die aktuellen Gespräche zwischen Bundesregierung, Ländern und Union.
Die Sorge um die öffentliche Sicherheit betrifft allerdings längst nicht nur den Besitz von Waffen oder was eine wenige damit tun. Eine junge Frau offenbart dem Kanzler, dass sie angesichts des sichtbaren Drogenkonsums – vor allem von Crack – besorgt sei, durch Berlin oder andere Großstädte zu laufen. „Sind Sie sich dessen bewusst und was tun Sie dagegen?“, will die Frau wissen.
„Drogen können furchtbare Zerstörungen anrichten, auch für andere“, entgegnet der Kanzler. Trotzdem sei die Lage in anderen Teilen der Welt, etwa in San Francisco, aus seiner Sicht viel herausfordernder. Allerdings gesteht Scholz ein, dass man Menschen noch stärker beraten müsse, wie man sich aus der Drogensucht befreien oder zumindest ein vertretbares Leben damit führen könne. Gleichzeitig gehe es auch um die Bekämpfung von Kriminalität. Man überprüfe konstant, ob es genug Gesetz dafür gebe und die internationale Zusammenarbeit funktioniere.
Scholz: „Ohne zusätzlichen Wohnraum gibt es keine Entlastung“
Ein weiterer Bürger sorgt sich um den fehlenden Wohnraum und macht dafür den starken Zustrom an Geflüchteten aus. Das habe dazu geführt, dass die Mieten immer stärker steigen würden und bereits hier lebende Menschen keine Wohnung mehr finden würden.
„Wir müssen als Nachbarn akzeptieren, dass auch nebenan noch gebaut wird.
Olaf Scholz, Bundeskanzler
„Ich muss sie in einer Hinsicht enttäuschen“, sagt der Kanzler und verweist darauf, dass die Frage nach bezahlbaren Wohnraum nichts mit der Migrationsthematik zu tun habe. „Die großen Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt sind schon länger da“, sagt Scholz: „Das Problem ist viel größer“. Dann zählt der Kanzler auf, weshalb es zuletzt so schwer gewesen sei, mehr zu bauen. Die Kosten etwa bei den Baustoffen seien explodiert und die Zinsen hoch. „Dadurch sei zu wenig gebaut worden und es ist riesiger Bauüberhang entstanden“, sagt Scholz. Dafür habe er zusammen mit der Bauindustrie nun verschiedene Maßnahmen erarbeitet, um den abzubauen.
„Ohne zusätzlichen Wohnraum gibt es keine Entlastung“, sagt der Kanzler. Seine Regierung hatte sich einst vorgenommen, jedes Jahr 400.000 neuen Wohnungen zu errichten. Dieses Ziel verfehlt die Ampelkoalition allerdings seit Jahren deutlich. Eine Lösung aus seiner Sicht ist, künftig noch stärker zu verdichten. Scholz verweist dabei auf Singapur und Seoul, wo viel dichter gewohnt würde als hierzulande. „Wir müssen als Nachbarn akzeptieren, dass auch nebenan noch gebaut wird“, sagt er.
Scholz: „Wir brauchen mehr Ganztagsangebote für Kinder“
Eine weitere Frau macht sich Gedanken um die Zukunft ihrer Kinder. Während der Coronapandemie sei vieles liegengeblieben. Auch würde sich aktuell so viel ändern, zum Beispiel durch Künstliche Intelligenz. „Wie bringen denen das alles bei?“, lautet die Frage an den Bundeskanzler.
„Corona war eine schwere Zeit für junge Menschen und ihre Eltern“, antwortet Scholz. Das habe auch an der unzureichenden Digitalisierung gelegen. „Das ist schon ein bisschen peinlich“, sagt er und beschreibt beispielhaft, wie ukrainische Kinder hierzulande von der Ukraine aus geschult werden könnten. „Und wir?“, fragt der Kanzler, ohne selbst eine Antwort zu geben.
Gleichzeitig brauche es mehr Ganztagsangebote. In der Koalition habe man durchgesetzt, dass es die ab 2026 in allen Teilen des Landes verpflichtend geben müsse. „Das war mühselig“, sagt Scholz. Doch es sei schwer, dafür sowie für Krippen und Kitas das notwendige Personal zu bekommen. „Das wird eine große Nummer“, so der Kanzler und rechnet vor, dass sich theoretisch zehn bis fünfzehn Prozent eines Abiturjahrgangs für ein Lehramtsstudium entscheiden müssten, um den Personalbedarf zu decken. „Sonst haben wir nicht genug“. Da das nicht realistisch sei, brauche es auch weiter Quereinsteiger.
Zum Abschluss des exakt 90-minütigen Formats will ein junger Mann vom Kanzler wissen, was einmal über ihn in den Geschichtsbüchern stehen sollte. Woran sich die Menschen erinnern sollten. „Leute, die das vor ihrer Amtszeit wissen, sind solche, von denen man sich fürchten sollte“, sagt Scholz. Der SPD-Politiker verweist auf das Thema Gerechtigkeit, das für ihn ein großes sein. „Ich mag es nicht, wenn sich einige für etwas Besseres halten“, sagt er. Am Ende müsse man sich in seiner Vielfalt besser zu schätzen wissen.
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