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Politik: „Einige in Warschau neigen zu Tricks“

Die Regierungsbeauftragte für Polen, Gesine Schwan, über das schwierige Verhältnis zum Nachbarland

Stand:

Frau Schwan, Polens Premier Jaroslaw Kaczynski hat Deutschland kürzlich vorgeworfen, es wolle „die Geschichte umschreiben, um einen Teil der Verantwortung von den Tätern auf die Opfer abzuwälzen“. Hat er recht?

Nein, ganz sicher nicht. Das ist nicht nur von der Bundesregierung klargestellt worden, sondern auch von weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit. Es gibt allerdings einen Teil in unserer Gesellschaft, der unterstreicht, dass nicht der Nationalsozialismus die Ursache für die Vertreibung der Deutschen gewesen sei, sondern lediglich ein willkommener Anlass, bereits bestehende Wünsche nach Vertreibung umzusetzen.

Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, hat das kürzlich behauptet.

Ja. Ich halte diese These für absurd und gefährlich. Und ich sehe mit Sorge, dass auch Teile der Medien in Deutschland diesen irrwitzigen Geschichtsrevisionismus hoffähig machen, wie in jüngster Zeit einige Beiträge in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gezeigt haben. Derartige Geschichtsbilder spielten schon im Historikerstreit der 1980er Jahre eine Rolle und sind in konservativen Kreisen nach wie vor anzutreffen. Für das vorherrschende Geschichtsverständnis sind sie aber randständig.

Steinbach hat in der vergangenen Woche die polnischen Regierungsparteien mit deutschen Rechtsextremen gleichgesetzt. Stimmt der Vergleich?

Nein. Mit solchen Vereinfachungen schadet Steinbach dem Ansehen Deutschlands im Ausland. Es gibt Rechtsextreme in der polnischen Regierung, vor allem in der Liga polnischer Familien, die zum Teil faschistische Ansichten vertreten. Doch die Regierungspartei PiS der Kaczynski-Brüder in diese Ecke zu stellen, ist schlicht falsch. Dass die PiS allerdings mit Rechtsradikalen koaliert und damit deren Positionen toleriert, ist misslich und sicher auch für das Verhältnis Polens zu Europa und zu Deutschland nicht günstig.

Die Zusammenarbeit mit der polnischen Regierung ist alles andere als gut …

Ja, leider. Vor allem Bildungsminister Giertych, der monatelang Gelder für das deutsch-polnische Jugendwerk gesperrt hat, bleibt ein Problemfall. Auch die Tatsache, dass es auf polnischer Seite derzeit keinen Koordinator für das deutsch-polnische Forum gibt, betrübt mich. Polen muss hier eindeutig mehr tun. Mit Sorge betrachte ich auch, dass einige Politiker in Warschau zu kleinen Tricksereien neigen

Tricksereien?

Ja. Polnische Politiker versuchen gerne, die deutsche Regierung auf Schritte festzulegen, die sie nicht machen kann und nicht machen sollte.

Polens Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski will von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Unterschrift unter eine gemeinsame Erklärung, in der die Entschädigungsforderungen der „Preußischen Treuhand“ vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof für gegenstandslos erklärt werden.

Dabei war die bisherige Position Deutschlands ganz deutlich. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat am 1. August 2004 in Warschau erklärt, dass Deutschland derartige Klagen nicht unterstützen wird. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das kürzlich noch einmal bekräftigt, und Juristen auf beiden Seiten sind sich einig darin, dass die Klage dieser Gruppe keine Erfolgsaussichten hat. Eine erneute, schriftliche Erklärung erwarte ich deshalb nicht, und sie erscheint mir überflüssig.

Ministerpräsident Kaczynski will nach eigenen Worten „das schlechte Gewissen Deutschlands gegenüber Polen besser ausnutzen“.

Ich halte diese Äußerung für unüberlegt und für eine Form moralischer Erpressung. Wer so handelt, fördert nur Ressentiments – auf beiden Seiten.

Polens Außenministerin Anna Fotyga beklagt eine deutsche Assimilierungspolitik gegenüber in Deutschland lebenden Polen und fordert, Polen in Deutschland als Minderheit anzuerkennen.

Auch das scheint mir überzogen. Es gibt Einzelfälle, in denen deutsche Jugendämter polnischen Ehepartnern nach Ehescheidungen den Gebrauch ihrer Muttersprache im Umgang mit ihren Kindern verboten haben. Eine allgemeine Germanisierungspolitik daraus abzuleiten, ist aus meiner Sicht völlig überzogen. Und Polen in Deutschland als Minderheit anzuerkennen, entspricht schlicht nicht europäischen Standards. Die Polen in unserem Land haben ihre Heimat verlassen und sind freiwillig zu uns gekommen, um hier zu leben. Allerdings sollte Deutschland mehr tun, um die polnische Sprache zu fördern.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Ihrem neuen Pendant auf polnischer Seite, Mariusz Muszynski?

Ich bin froh, dass die polnische Regierung endlich einen Regierungsbeauftragten für deutsch-polnische Beziehungen benannt hat, und ich schätze Herrn Muszynski sehr. Zu meiner Überraschung musste ich allerdings kürzlich erfahren, dass ein geplantes Treffen mit ihm nicht stattfinden konnte. Da war ich bereits in Warschau gelandet. Seitdem habe ich von ihm nichts mehr gehört. Im Umgang miteinander sehe ich also noch Verbesserungspotenzial.

Polen und Tschechien sind gegen eine neue EU-Verfassung. Wie kann Angela Merkel Warschau davon überzeugen, dass ein Verfassungswerk sinnvoll ist?

Mein Eindruck ist, dass in Polen zwei Richtungen miteinander ringen: Die eine baut darauf, polnische Interessen gemeinsam mit Deutschland in Europa durchzusetzen. Die andere ist der Meinung, man müsse Deutschland kleinhalten und die nationalen Interessen in Europa mit Blockaden und Vetos durchsetzen. Wir müssen alles dafür tun, um der weltoffeneren Sichtweise zum Erfolg zu verhelfen.

Wie?

Wir sollten uns weiter als ernsthafte Partner Polens verstehen und auch so handeln. Etwa indem Deutschland Druck auf Russland ausübt, das Fleischembargo gegen Polen aufzuheben. Auch die deutsche Zusicherung, im Falle einer Energieerpressung Russlands Polen mit Gas zu versorgen, halte ich für sehr wichtig.

Das Gespräch führte Sebastian Bickerich.

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