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Entscheidung nach langer Debatte: Pistorius macht Weg für Kanzlerkandidatur von Scholz frei
Boris Pistorius wird nicht Kanzlerkandidat der SPD. Trotz miserabler Umfragewerte schickt die SPD Scholz gegen Merz ins Rennen. Am Montag soll der Kanzler vom Vorstand nominiert werden.
Stand:
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sich aus dem Rennen um die SPD-Kanzlerkandidatur genommen. Damit schickt die SPD, trotz miserabler Umfragewerte, Bundeskanzler Olaf Scholz ins Rennen gegen Friedrich Merz.
„Soeben habe ich unserer Parteispitze mitgeteilt, dass ich nicht zur Verfügung stehe für die Kandidatur um das Amt des Bundeskanzlers“, erklärte Pistorius am Donnerstagabend in einer Video-Botschaft an die Parteimitglieder.
Es sei seine souveräne, persönliche und ganz eigene Entscheidung. „Wir haben mit Olaf Scholz einen hervorragenden Bundeskanzler“, sagte Pistorius. Dieser stehe für Vernunft und Besonnenheit. Das sei gerade in Zeiten globaler Unsicherheit von besonderer Bedeutung. „Er ist der richtige Kanzlerkandidat“, so Pistorius.
In einer Telefonschaltkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion und des Parteivorstands am Abend bedankte sich Scholz nach Angaben von Teilnehmern für die ihm entgegengebrachte Solidarität. Mehrfach habe der Kanzler in seiner kurzen Ansprache erklärt, dass die Ampel nicht an der SPD gescheitert sei.
Mit Blick auf die Diskussion über seine Kanzlerkandidatur machte er deutlich, dass dies für ihn zu einer Demokratie dazugehöre. Für Vorschläge an ihn in der Zukunft sei er dankbar.
Keine Diskussion über die Nominierung
Zuvor hatte Pistorius noch einmal seinen Verzicht begründet. Teilnehmer zitierten den Verteidigungsminister mit den Worten, er treffe seine Entscheidungen „als Parteisoldat“.
Pistorius erinnert auch an den Tod seiner Ehefrau im Jahre 2015, während der Flüchtlingskrise. Das sei für ihn und seine Töchter eine schwere Zeit gewesen. Nun sei er wieder glücklich verheiratet und eine Kanzlerschaft passe nicht recht in seine Lebensplanung.
Eine Diskussion über die Nominierung von Scholz gab es in der Schalte nicht. Auch ließ SPD-Chef Lars Klingbeil keinerlei Selbstkritik erkennen. In der SPD wird ihm vorgeworfen, nicht für eine zügige Nominierung von Scholz gesorgt zu haben.
Die Fraktionssitzung der SPD dauerte eine gute halbe Stunde, viele Abgeordnete waren unterwegs, teilweise in Autos, zugeschaltet. Einmal war Musik eines Weihnachtsmarktes zu hören. Das Wort ergriffen neben Scholz und Pistorius auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil, wie der Tagesspiegel aus Teilnehmerkreisen erfuhr.
Mützenich leitete die Fraktionssitzung, kritisierte parteiinterne kritische Wortmeldungen und ließ sich seinen Unmut anmerken, hieß es. Klingbeil sei sehr zurückhaltend aufgetreten. Er erklärte das Procedere der vergangenen Tage. Man habe die Sache wegen des G-20-Gipfels nicht eher klären können.
Esken beklagte, wie schlecht mit Scholz umgegangen worden sei. Der Kanzler redete am Ende, zeigte sich dankbar, rechtfertigte Bildung und Beendigung der Ampel-Koalition. Er sei sich seiner Verantwortung bewusst, und er arbeite bestens mit Pistorius zusammen.
Der SPD-Bundesvorstand soll Scholz am Montag nominieren, offizielle gewählt werden soll Scholz auf dem Parteitag am 11. Januar 2025 in Berlin. Bei einer „Wahlsieg“-Konferenz der SPD am 30. November in Berlin soll Scholz bereits auftreten.
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Die SPD ist mit 14 Prozent laut aktuellem „ARD-Deutschlandtrend“ nicht einmal halb so stark wie die Union, die mit CDU-Chef Friedrich Merz in die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 zieht. Die AfD tritt mit Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel an, die Grünen mit Vizekanzler Robert Habeck. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die SPD 25,7 Prozent erzielt.
Scholz-Skeptiker in der SPD fürchten, die Partei werde bei der Bundestagswahl so schlecht wie derzeit in den Umfragen oder gar noch schlechter abschneiden. Schon in den letzten Wochen hieß es in der SPD, viele aktive Mitglieder seien nicht bereit, Wahlkampf für Scholz zu machen.
Scholz selbst verbreitet seit Jahren das Narrativ, schon im Wahlkampf 2021 sei ihm eine Aufholjagd gelungen. Dies wolle er 2025 wiederholen. Die SPD solle und werde stärkste politische Kraft werden. Freilich trug Scholz 2021 nicht den Mühlstein, unbeliebtester Politiker zu sein, um den Hals.
Große Koalition derzeit am wahrscheinlichsten
Auf Basis der gegenwärtigen Umfragen spricht einiges für eine Bildung einer CDU/CSU-SPD Koalition. Die CSU favorisiert eine solche sogenannte große Koalition, während sie ein gemeinsames Regieren mit den Grünen ausschließt.
In der SPD, wo bisher mit einer heftigen Wahlniederlage gerechnet wird, dürfte es Debatten über den Eintritt in eine Koalition mit der Union geben.
Nach der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur könnte sich in der SPD nun Unmut über die Nominierung von Scholz Bahn brechen. Ärger über die SPD-Chefs Esken und Klingbeil könnte ebenso laut werden. Interne Kritiker werfen ihnen, bisher hinter vorgehaltener Hand, Führungsversagen vor.
Die tagelange Kanzlerkandidaten-Debatte habe diverse Personen beschädigt und der SPD geschadet, heißt es in der Partei. Esken und Klingbeil seien für den als quälend empfundene Phase der vergangenen Tage und Woche verantwortlich. Generalsekretär Matthias Miersch wird von dieser Kritik weitgehend ausgenommen. Er ist erst seit Oktober im Amt.
Auch Pistorius räumte in seiner Video-Botschaft ein, dass die Diskussionen um die K-Frage innerhalb der Partei für „Verunsicherung“ und bei Wählerinnen und Wählern für „Irritationen“ gesorgt habe. Er selbst habe diese Debatte weder angestoßen noch gewollt. Dies schade der Partei, der er seit 48 Jahren angehöre.
„Ich habe diese Debatte nicht angestoßen, ich habe sie nicht gewollt und ich hab“ mich für nichts ins Gespräch gebracht“, betonte Pistorius, der sich in den vergangenen Tagen zwar hinter Scholz gestellt, aber eine eigene Kandidatur zunächst nicht ausdrücklich ausgeschlossen hatte.
„Das Amt des Verteidigungsministers ist für mich kein Karrieresprungbrett“, sagte Pistorius weiter. Er habe sich „das Vertrauen der Truppe erarbeitet. Und das ist mir sehr wichtig“. Die Arbeit sei „noch nicht erledigt, ich will sie fortsetzen, es gibt noch viel zu tun“. Er freue sich deshalb „auf eine zweite Amtszeit“ als Verteidigungsminister.
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