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Der türkische Präsident Erdogan reklamiert die Vakzin-Entwicklung als Erfolg für sich.

© dpa/ Burhan Ozbilici

Corona-Impfstoff Turkovac: Erdogan feiert türkische Vakzin-Entwicklung als Triumph

Der türkische Präsident steht innenpolitisch mächtig unter Druck. Er braucht dringend Erfolge. Doch die Ärztekammer weigert sich, Turkovac zu empfehlen.

„National und lokal“ ist eine Lieblingsformel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Wann immer die Türkei ein Produkt in Eigenregie entwickelt und herstellt, ist das für ihn ein Beweis der Leistungsfähigkeit seines Landes, ob es nun um Kampfdrohnen geht oder um Autos.

Jetzt verkündete Erdogan den Erfolg eines „nationalen und lokalen“ Corona-Impfstoffes: Turkovac wird in der Türkei nach Erhalt einer Notfallzulassung seit Jahresbeginn verimpft. Erdogan feiert den Impfstart als Triumph, doch führende Experten im eigenen Land haben erhebliche Zweifel an dem neuen Vakzin. Die türkische Ärztekammer weigert sich deshalb, eine Impfung mit Turkovac zu empfehlen.

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Wie das chinesische Präparat Sinovac gehört Turkovac zu den traditionellen Totimpfstoffen, bei denen inaktive Virus-Bestandteile genutzt werden. Entwickelt wurde Turkovac von Wissenschaftlern im zentralanatolischen Kayseri, die den Wirkstoff im November 2020 erstmals an Freiwilligen testeten.

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Die abschließenden Phase-3-Untersuchungen begannen im vergangenen Sommer; kurz vor Weihnachten gab Erdogan den Start der Massenproduktion bekannt. Gesundheitsminister Fahrettin Koca ließ sich öffentlich mit Turkovac impfen.

Bisher haben 61 Prozent der 84 Millionen Türken mindestens zwei Impfdosen erhalten

Turkovac sei „komplett von unseren Wissenschaftlern und Forschern entwickelt“ worden, lobte Erdogan. Die Türkei sei damit in den exklusiven Club der Länder mit einem eigenen Corona-Vakzin aufgestiegen.

Manche Türken hätten bisher auf einen nationalen Impfstoff gewartet, betonte der Präsident: Sie könnten sich jetzt zur Impfung anmelden. Außerdem sei die Türkei bereit, das Medikament auch an andere Staaten zu liefern. Die Zulassung bei der Weltgesundheitsorganisation ist beantragt.

Zu Beginn der türkischen Impfkampagne vor einem Jahr wurde Sinovac eingesetzt, seit dem Frühjahr steht den Türken auch der mRNA-Impfstoff Biontech zur Verfügung. Weil Sinovac als wenig wirksam gilt, können sich Empfänger des chinesischen Medikaments in der Türkei zusätzlich mit BionTech impfen und jetzt auch boostern lassen.

Viele Türken werden deshalb jetzt schon zum fünften Mal geimpft. Bisher haben 61 Prozent der 84 Millionen Türken mindestens zwei Impfdosen erhalten, doch die Kampagne ist ins Stocken geraten.

Turkovac soll jetzt neuen Schwung bringen. Der Mediziner Ates Kara, Mitglied im Corona-Beirat der Regierung, versichert den Türken, das Medikament schütze auch vor der Omikron-Variante. Wenn Turkovac als Booster-Impfung zur Auffrischung gespritzt werde, steige die Zahl der Antikörper innerhalb kürzester Zeit sprunghaft an.

Experten bemängeln fehlende Daten

Viele Experten teilen Karas Optimismus nicht. Mehmet Ceyhan, einer der angesehensten Virologen des Landes, weist daraufhin, dass wichtige Daten zur Wirksamkeit von Turkovac nicht vorlägen. So seien die Ergebnisse der Phase-3-Untersuchungen nicht veröffentlicht, sagte Ceyhan der Zeitung „Sözcü“.

Von optimistischen Aussagen wie über die sprunghafte Zunahme von Antikörpern könne sich niemand etwas kaufen, weil sie unwissenschaftlich seien. Er wisse nur, dass Turkovac dieselbe Struktur habe wie Sinovac: „Warum sollte es besser sein?“

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Ceyhan spricht dem Turkovac-Anhänger Kara außerdem die wissenschaftliche Kompetenz ab. Sein Kollege habe sich lediglich wegen guter Verbindungen zur Regierung eine führende Position beim Turkovac-Projekt sichern können, sagte er. Ceyhan wirft der Regierung außerdem vor, schon bei der Einführung von Sinovac den Menschen eine hohe Wirksamkeit vorgegaukelt zu haben. Anschließend sei dann doch eine Auffrischung mit Biontech empfohlen worden.

Die türkische Ärztekammer schloss sich der Kritik an. Von der Regierung seien im Verlauf der Pandemie widersprüchliche Aussagen zu den Impfstoffen gekommen, sagte Kammervorsitzende Sebnem Korur Financi ebenfalls in einem Interview mit „Sözcü“. Jetzt werde behauptet, Turkovac sei als Booster wirksam.

„Können wir dem vertrauen? Nein, können wir leider nicht.“ Wie Ceyhan sagte Financi, ohne die wissenschaftlichen Daten zu kennen, könne sie niemandem Turkovac empfehlen. Ihre Kammer habe das Gesundheitsministeriums vergeblich um die Daten gebeten.

Der Immunologe Vedat Bulut, Generalsekretär der Ärztekammer, fasste seine Warnung vor Turkovac der Nachrichtenagentur Anka noch drastischer zusammen: „Das ist kein Impfstoff, das ist nur eine Flüssigkeit, die als Impfstoff ausgegeben wird.“

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