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Die Ampel überzieht mit ihrem Asylkurs, finden die Autoren des Gastbeitrags.

© imago images/Hans Lucas

Es reicht!: In den Chor der Rechten einzustimmen, ist moralisch und strategisch falsch

Seit der islamistischen Messerattacke von Solingen lässt sich die Ampel von den Rechten treiben. Dabei braucht es mehr Menschlichkeit, fordern die Vorsitzenden von Jusos und Grüner Jugend. 

Ein Gastbeitrag von
  • Svenja Appuhn
  • Philipp Türmer

Stand:

Sanktionieren, abschieben, inhaftieren: Die aktuelle Debatte darüber, wie wir als Gesellschaft mit Menschen umgehen, die bei uns Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, ist schwer auszuhalten. Nach der schrecklichen Gewalttat von Solingen nutzen Rechtsextreme und radikalisierte Konservative wie Friedrich Merz die Gunst der Stunde, um in schwindelerregender Frequenz neue Verschärfungen des Asylrechts zu erzwingen.

Vor rechtswidrigen Forderungen schrecken sie nicht zurück. Ihr einziges Kalkül: Stimmung machen und politisches Kapital schlagen – und das auf dem Rücken einer Gruppe, die sich kaum wehren kann. Und die Ampel? Lässt sich treiben.

Das ist er, der Rechtsruck. Wer sich vor wenigen Monaten noch mit den Tausenden Menschen auf den Großdemos gegen rechts hat ablichten lassen, müsste jetzt eigentlich alles daransetzen, die rechte Hegemonie mit eigenen Narrativen zu kontern. Aber das Gegenteil passiert. Ampel-Politiker*innen lassen sich von rechts außen zu immer neuen Abschottungsentscheidungen treiben. Doch wer nach ihren Regeln spielt, der stärkt die Rechten. In ihren Chor einzustimmen, ist falsch, moralisch ebenso wie strategisch. Es reicht!

Nicht mal zwei Wochen sind seit dem islamistischen Anschlag in Solingen vergangen. Was seitdem kaum geschah: eine Debatte darüber, wie wir islamistische Netzwerke zerschlagen und verhindern können, dass junge Menschen sich überhaupt erst radikalisieren und bewaffnen. Was seitdem stattdessen geschah: ein Überbietungswettbewerb über weitere Einschränkungen des Asylrechts. 

Die bislang absurdeste und tragischste Volte dieser Irrfahrt: ein Abschiebeflug nach Afghanistan zu den Terroristen der Taliban. Kampf gegen Islamismus durch eine De-facto-Zusammenarbeit mit einer islamistischen Terrorgruppe, die ein Kalifat errichten will, Krieg über die eigene Bevölkerung bringt und Unschuldige foltert? Fehler, die in der Vergangenheit gegenüber dem Iran gemacht wurden, werden gegenüber den Taliban wiederholt: internationale Anerkennung durch Zusammenarbeit und damit Stabilisierung eines islamistischen Regimes. Ach, und was ist mit den abgeschobenen Schwerkriminellen passiert? Gegen fadenscheinige Erklärungen wurden sie von den Taliban unmittelbar freigelassen. Ein Sieg für den Islamismus und gleichzeitig eine Niederlage für den Rechtsstaat. Was soll das alles, liebe Bundesregierung?

Die aktuelle Asyldebatte ist reflexhaft und falsch. Jede Überlegung, das Thema Migration von der gesellschaftlichen Agenda zu nehmen, indem man rechte Forderungen übernimmt, geht fehl. Es dauerte nur wenige Stunden, bis der rechte Mob im Internet nach dem Abschiebeflug nach Afghanistan fragte, weshalb die Abgeschobenen überhaupt noch ein kleines Handgeld bekommen hatten und weshalb nicht gleich noch viel mehr Menschen abgeschoben würden.

Ampel und Union veranstalten ein Theater

Wenige Tage später diskutiert Deutschland über Zusammenarbeit mit dem Diktator Assad, um nach Syrien abschieben zu können. Friedrich Merz gibt in Brandreden Migrant*innen die Schuld an jedem erdenklichen Problem in diesem Land und Markus Söder kündigt den Rechtsstaat auf, wenn er fordert, dass Ausländerbehörden nicht mehr von Gerichten kontrolliert werden sollten. Der neurechte Vordenker Martin Sellner antwortet auf „X“ auf die Anordnung von Grenzkontrollen mit „Nächster Schritt: #Remigration“ und der rechte Influencer Neverforgetniki twittert „Bei 30% AfD geben sie uns Grenzkontrollen. Bei 35% AfD werden dann keine neuen Flüchtlingsheime mehr gebaut? (...)”

Ähnlich dramatisch gestaltete sich das gemeinsame Theater der Ampel mit der Union, dessen Finale vorbestimmt war: Die Ampel präsentiert der Union einen Vorschlag, der im Prinzip von Horst Seehofer stammt, nämlich die Inhaftierung von Geflüchteten unmittelbar nach Grenzübertritt. Ein Vorschlag, gegen den sich Grüne und SPD 2018 noch vehement gewehrt hatten. Natürlich lehnt die Union trotzdem ab.

Im Ergebnis macht die selbst ernannte Fortschrittskoalition rechtskonservative Politik. Die eigenen Ansprüche an eine menschliche Asylpolitik werden geopfert und der Rechtsruck weiter befeuert, denn natürlich geht der Überbietungswettbewerb vonseiten der Union munter weiter. Lachender Dritter ist die AfD, die eigentlich gar nichts mehr selbst machen muss, weil ihr Spiel von den demokratischen Parteien selbst gespielt wird. Dass die Union das billigend in Kauf nimmt, ist schlimm genug, die anderen Parteien dürfen sich daran nicht beteiligen.

Familien, die vor islamistischen Terrorregimen fliehen und in Europa der Verfolgung entgehen wollen, wird bald kein Schutz oder gar ein menschenwürdiges Leben in Freiheit zugestanden, sondern sie müssen befürchten, unmittelbar nach Grenzübertritt inhaftiert zu werden. Es droht eine gefährliche Kaskade, in der sich in Europa ein Land nach dem anderen abschottet, in der sich die Situation an den Grenzen immer weiter verschärft und jedes Jahr mehr Menschen auf dem Mittelmeer sterben, wenn sie versuchen, die immer höher werdenden Mauern der Festung Europa zu überwinden.

Wenn wir jetzt keinen Halt einlegen, werden wir aus dem Strudel der Entmenschlichung nicht mehr ausbrechen können.

Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Svenja Appuhn, und Juso-Chef Philipp Türmer fordern mehr Menschlichkeit.

Das alles geschieht absurderweise im Namen des Kampfs gegen den Islamismus und es stellt sich nur die Frage: Was kommt als Nächstes? Welche Gruppe wird angegriffen, wenn das Recht auf Asyl vollständig ausgehöhlt ist? Rechte Politik lebt von der Abgrenzung, dem „Wir gegen Die“. Wo man den Nachbarn oder die Freundin sehen könnte, sehen sie den Feind. Und wenn dieser Feind bekämpft ist, wird sich das nächste Opfer gesucht. 

Es ist unpopulär, in einer Debatte, die um Verschärfungen kreist, Menschlichkeit einzufordern. Aber wenn wir jetzt keinen Halt einlegen, werden wir aus dem Strudel der Entmenschlichung nicht mehr ausbrechen können.

Das Dublin-System ist gescheitert. GEAS ist gescheitert. Statt den Weg gescheiterter rechter Asylpolitik fortzusetzen, wäre die Bundesregierung dringend beraten, gemeinsam einen neuen Ansatz einer menschlichen und gerechten europäischen Asylpolitik zu verfolgen. Das fordern wir ein.

Zur Lösung des Problems des Islamismus in Deutschland wird Abschottung nichts beitragen. Stattdessen müssen wir soziale Verhältnisse in den Blick nehmen, es braucht Prävention und Aufklärung. Es braucht Sicherheitsbehörden, die eine wirksame Handhabe gegen Radikalisierung im Internet haben, und die Unterstützung demokratischer Bildungsprojekte mit dem dringend überfälligen Demokratiefördergesetz, das seit mehr als 500 Tagen von der FDP im Ausschuss blockiert wird.

Als Vorsitzende von Jusos und Grüne Jugend blicken wir in diesem Moment über Parteigrenzen hinweg und fordern eine Rückbesinnung auf die gemeinsame Tradition des Einsatzes für Menschenrechte, eine weltoffene Gesellschaft und Solidarität in unseren Parteien. Die Regierung und die Fraktionen im Deutschen Bundestag sind jetzt gefragt, Verantwortung dafür zu übernehmen, das Grundrecht auf Asyl, europäische Werte und unsere Menschlichkeit an den deutschen Grenzen zu verteidigen. Gemeinsam appellieren wir an unsere Parteien, aber auch darüber hinaus an alle demokratischen Kräfte der Gesellschaft:

Lasst euch nicht von Rechten treiben. Auf deren Spielfeld gibt es nichts zu gewinnen. Verteidigt das Menschenrecht auf Asyl und stellt euch gegen Inhaftierungen an deutschen Grenzen! Wir brauchen nicht mehr rechte Politik, sondern mehr Mut zu Solidarität. Deswegen: Seid mutig. 

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