Neonazis: Fanatismus und Finanzkraft
Neonazis besetzen Hotel im niedersächsischen Faßberg. Auf dem Areal sollen Schüsse gefallen sein. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Waffengesetz.
Berlin - Wo der Mann auftaucht, gibt es reichlich Ärger. Der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger ist Vizechef der NPD und Landesvorsitzender in der Hansestadt, doch das allein würde für den üblen Ruf nicht reichen, den er bundesweit genießt. Rieger sticht aus dem braunen Milieu hervor, weil er Fanatismus mit einer szeneuntypischen, ererbten Finanzkraft kombiniert. So zieht der Mann übers Land und erschreckt reihenweise Kommunen. Es geht um Immobilienkäufe oder andere Projekte, jedenfalls sehen sich die betroffenen Städte und Gemeinden regelmäßig mit der Gefahr konfrontiert, in ihren Mauern könnte sich ein Stützpunkt von Neonazis etablieren. Besonders betroffen ist Niedersachsen. In der Gemeinde Faßberg (bei Celle) haben Rechtsextremisten jetzt ein früheres Hotel besetzt, das Rieger interessiert. Und in Wolfsburg provoziert er mit der Gründung eines Vereins, der ein „KdF-Museum“ betreiben will – um die Errichtung des VW-Werks durch das NS-Regime zu glorifizieren.
Der Fall Faßberg ist vergangene Woche eskaliert. Nach monatelangem Streit hat sich am Freitag eine Handvoll Neonazis im leer stehenden Landgasthaus Gerhus eingenistet. Zuvor hatte Rieger dem Zwangsverwalter der Immobilie, einem Anwalt in Hannover, per Fax mitgeteilt, „ich habe die Türschlösser aufgebohrt“. Die Gemeinde sei „in heller Aufregung“, sagt der Celler Landrat Klaus Wiswe (CDU). Auf dem Areal sollen auch Schüsse gefallen sein. Ein Sprecher der Polizei sagt, es werde ermittelt wegen des Verdachts auf Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Waffengesetz.
Rieger sieht sich im Recht. Er meint, über einen gültigen Mietvertrag zu verfügen und pochte im Fax auf ein „Selbsthilferecht“. Der Fall ist allerdings kompliziert, klar erscheint nur, wie schon in früheren Fällen, dass Rieger unerbittlich agiert.
Unklar bleibt, was der 63-jährige Altneonazi in Faßberg will. Vermutlich wolle Rieger im Sinne der Familie des verstorbenen Hotelbesitzers, die das finanziell belastete Anwesen an den Zwangsverwalter übergeben musste, den Kaufpreis in die Höhe treiben, vermutet Landrat Wiswe. Doch Bürgermeister Hans- Werner Schlitte (parteilos) befürchtet, Rieger plane in der 7000 Einwohner zählenden Gemeinde ein Schulungszentrum. Landkreis und Ort hoffen, die Familie werde sich doch noch von Rieger trennen und mit dem bereitstehenden Investor, einer sozialen Einrichtung, einig. Sie bietet, mit staatlicher Hilfe, ungefähr 800 000 Euro für das einstige Hotel auf 8000 Quadratmetern. „Wir zahlen wegen Rieger nicht drauf“, verkündet Wiswe, „der Rechtsstaat lässt sich nicht erpressen.“ Und er glaubt, der Konflikt wäre bis zum Jahresende zu lösen.
Bis dahin wird einiges auszuhalten sein. Schon mehrere niedersächsische Kommunen hat Rieger hart bedrängt – der braune Szenetreff in Hetendorf, das Hotel in Delmenhorst, der Heisenhof in Dörverden, das Kino in Hameln und das Bahnhofsgebäude in Melle sind markante Beispiele, die meisten dieser Projekte scheiterten jedoch. Rieger macht unverdrossen weiter, inzwischen sucht er auch Wolfburg heim. Die Stadt wehrt sich massiv gegen das von Rieger geplante „Museum“ , das gegenüber vom Volkswagenwerk an die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ erinnern soll. Die Nazis hatten 1938 Wolfsburg als „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ gegründet. Ob Rieger die Museumsidee realisieren darf, müssen nun Gerichte klären.