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Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

© Foto: Reuters/Lisi Niesner

Flüchtlingsgipfel mit Kommunen: Faeser verlängert Kontrollen an der Grenze zu Österreich

Innenministerin Faeser hat mit Ländern und Kommunen zur Frage der Flüchtlinge getagt. Bayerns Innenminister Herrmann sagte, die Unterkünfte würden nicht mehr lange reichen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte „noch kein Scheckbuch“ dabei, als sie am Dienstag zum Spitzentreffen in ihr Ministerium lud. So formulierte es Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Anschluss. Das Scheckbuch nämlich wird erst im November gezückt, wenn die Bundesregierung Länder und Kommunen zum Gipfel bittet und darüber gestritten wird, wer für die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter wie viel zu zahlen hat. Länder und Kommunen sind mehr als ungeduldig, lieber heute als morgen würden sie das Finanzielle klären. Doch auch, wenn am Dienstag noch kein Geld zu verteilen war, gab es genug zu besprechen.

Die Not ist bundesweit da. Länder und Kommunen haben immer größere Schwierigkeiten, alle Geflüchteten zu versorgen, die aus der Ukraine und anderen Regionen der Welt in Deutschland eintreffen. Und auch in der Gesellschaft ist das Konfliktpotential groß. Für Empörung und Bestürzung sorgte am Dienstag ein Video, das in den sozialen Netzwerken die Runde machte. Es zeigt, wie am Montagabend in Leipzig mutmaßlich Geflüchtete aus der Ukraine angepöbelt wurden, unter anderem mit der Schmähung „Ihr Schweine, verpisst euch“. Die Szene spielte sich am Rande der so genannten Montagsdemonstration in Leipzig ab. Eine Gruppe von Menschen trat dort als Gegendemonstration auf und trug Fahnen der Ukraine bei sich.

Gemeinsam auf dem Podium: Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig und Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Innenministerin Nancy Faeser und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (v.l.n.r.)
Gemeinsam auf dem Podium: Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig und Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Innenministerin Nancy Faeser und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (v.l.n.r.)

© Foto: Reuters/LISI NIESNER

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die verbalen Angriffe verurteilt, am Dienstag äußerte sich in Berlin auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Da er Vizepräsident des Deutschen Städtetags ist, nahm er am Treffen in Faesers Ministerium teil. Es handele sich bei dem Vorfall um ein seltsames Gemisch aus „Rechtsradikalität, Feinden der Demokratie, seltsamer freundschaftlicher Anmutung, Putin zu verstehen, und Reichsbürgern“. Es entlade sich eine Wut auf Geflüchtete, die er „unmissverständlich“ verurteile und „unerträglich“ finde.

Verlässliche Prognosen sind kaum möglich

In Berlin war Jung als einer der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, geladen waren außerdem die Innenminister aus Niedersachsen, Hessen und Bayern. Ministerin Faeser sagte nach dem Treffen, die „brutalen russischen Raketenangriffe“ vom Montag hätten „noch einmal dramatisch vor Augen geführt, was wir gerade mitten in Europa erleben: einen russischen Angriffskrieg und entsetzliche Kriegsverbrechen, die wir uns in Europa so hätten nicht mehr vorstellen können“. Es brauche einen engen Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen und einen großen Kraftakt.

Konkret hat der Bund nun 56 weitere Bundesimmobilien neu angeboten, in denen um die 4000 Plätze für die dauerhafte Unterbringung geschaffen werden könnten. Faeser sagte auch, die 300 Immobilien, die die Bundesebene ursprünglich den Ländern und Kommunen angeboten hatte, seien erst zu 68 Prozent ausgelastet. Außerdem will die Ministerin Länder und Kommunen künftig besser informieren und sich regelmäßiger austauschen, auch wenn es kaum möglich sei, die Zahl der Eintreffenden verlässlich zu prognostizieren.

Zudem soll eine digitale Plattform für Bund, Länder und Kommunen eingerichtet werden, um die Bereitstellung neuer Immobilien besser zu koordinieren. Der Bedarf könnte rasch sehr groß werden. Bayerns Innenminister Herrmann sagte, die Kapazitäten für die Unterbringungen würden nur noch bis November oder Dezember reichen. Deutschland müsse bei der Akquirierung neuer Unterkünfte „sehr hohes Tempo entfalten“.

Verlängerung der Kontrollen an der Grenze zu Österreich

Der Konservative Herrmann und die Sozialdemokratin Faeser waren sich einig, dass es notwendig sei, die Zuwanderung über das Mittelmeer und die Balkanroute stärker zu begrenzen. Faeser kündigte an, die Kontrollen an der Grenze zu Österreich würden über den November hinaus für ein weiteres halbes Jahr verlängert. Auch kontrolliere die Bundespolizei nun „deutlich verstärkt“ an der Grenze zu Tschechien. Außerdem hätten Österreich und Tschechien Kontrollen an ihren Grenzen zur Slowakei aufgenommen. Erste Effekte seien schon zu merken.

Faeser sprach auch die Situation in Serbien an, wo Menschen aus Drittstaaten wie zum Beispiel Indien derzeit sehr leicht einreisen können. Viele Menschen reisen von dort in die EU weiter. Faeser nannte die serbische Praxis „inakzeptabel“. Es sei die „klare Erwartung der Bundesregierung“, dass Serbien seine Visa-Regeln an jene der EU anpasse. Sie kündigte an, beim Treffen der EU-Innenminister am Freitag auf klare Worte in Richtung Serbiens zu drängen. Auch ein verstärkter Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex komme infrage.

Anfang Oktober hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić angekündigt, die Visa-Regeln zu verschärfen, allerdings erst zum Jahresende.

Bayerns Innenminister Herrmann sagte, er sei in „großer Sorge“ über die deutlich gestiegenen Asylbewerberzahlen. Für einen echten Gipfel unter Federführung des Kanzleramtes im November sei es „höchste Zeit“. Außer für die Menschen aus der Ukraine gebe es keine Vereinbarung über die Aufteilung der entstehenden Kosten, die Lage sei für die Gemeinden „extrem schwierig“. Burkhard Jung sagte nach dem Treffen, die Kommunen seien „überlastet und überfordert“. Es brauche für dieses Jahr „rückwirkend Entlastungen“.

Von einem „Gipfel der Ohnmacht“ sprach am Dienstag Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es gebe weiterhin keine Klarheit über finanzielle Hilfe des Bundes, die angebotenen 4000 Unterbringungsplätze seien „bei der aktuellen illegalen Zuwanderung innerhalb von einer Woche belegt“. Der zugesagte intensivere Austausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen sei eine Selbstverständlichkeit. Es brauche nun zügig einen echten Gipfel unter Federführung des Kanzleramts.

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