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Er ist noch kein Kanzler, will es aber werden: Friedrich Merz, Parteivorsitzender der CDU.

© REUTERS/LISI NIESNER

Friedrich Merz und das Sondierungspapier: Diese Provokation der Grünen könnte eine zu viel sein

Teure Klientelpolitik, Härte bei Bürgergeld und Migration: Das schwarz-rote Papier macht den Grünen das Ja zu Grundgesetzänderungen deutlich schwerer. Das kann für den Kanzler in spe noch zum gewaltigen Problem werden.

Karin Christmann
Ein Kommentar von Karin Christmann

Stand:

Eigentlich, sagte Friedrich Merz am Sonnabend, „müsste die Zustimmung der Grünen gerade jetzt sicher sein“. Es ging um die Grundgesetzänderungen, die Schwarz-Rot plant. „Eigentlich“: Weil er es will, werden die Grünen schon mitmachen.

Das Sondierungspapier, das Union und SPD am Samstag präsentiert haben, macht es den Grünen aber noch viel schwerer, als es ohnehin schon war, den Milliarden-Plänen für Verteidigung und Infrastruktur zuzustimmen. Die Spitzen von Union und SPD hatten im Bundestag gerade erst zusammengeräumt, da ließen die Grünen-Vorsitzenden vor ihrer Parteizentrale schon die Mikrofone aufbauen.

„Wir sehen, dass es offensichtlich 500 Milliarden nicht für zusätzliche Infrastrukturprojekte geben soll, sondern für Wahlversprechen. Mütterrente, Pendlerpauschale, die Liste ist lang“, sagte Franziska Brantner.

Sie hat Recht. Union und SPD teilen mit vollen Händen aus. Auch die Mehrwertsteuer-Senkung für die Gastronomie und die Rückkehr zur vollen Subvention beim Agrardiesel gehören in die Reihe der fragwürdigen Projekte.

Von Sparideen oder, positiver gedacht, Strukturreformen, die das Land zukunftsfit machen, ist plötzlich hingegen so gar nichts mehr zu hören. So zeichnet sich ab, was Brantner kritisiert: Das Sondervermögen für die Infrastruktur wird zum Verschiebebahnhof, damit im Kernhaushalt Klientelpolitik und Wahlgeschenke finanzierbar sind.

Sie ist die Parteivorsitzende der Grünen: Franziska Brantner.

© AFP/Ralf Hirschberger

Nach wie vor ist möglich, dass sich die Grünen am Ende zu einer Zustimmung bewegen lassen. Es geht um viel, gerade bei der Verteidigung, und das wissen die Grünen.

Das schwarz-rote Papier aber ist aus ihrer Sicht eine Provokation, nicht zuletzt auch wegen der neuen Härte bei den Themen Bürgergeld und Migration.

Brantner sagte: „Das hat uns heute ein Stück weiter weg gebracht von einer Zustimmung.“ Genau das ist das unangenehm große Problem, vor dem Friedrich Merz nun steht und das er kleinzureden versucht.

Spott sollen die Grünen klaglos obendrauf ertragen

Mit Wumms und Karacho trat Merz schon am Dienstag vor die Kameras, als er und seine Mit-Koalitionäre in spe mit großer Geste die Pläne für die Grundgesetzänderungen verkündeten.

In der Begeisterung über die eigene Entschlussfreudigkeit ging schon da die kleingeistige Frage unter, wie’s denn mit den benötigten Mehrheiten für die geplanten Grundgesetzänderungen aussieht. Derben Spott am Aschermittwoch haben die Grünen noch klaglos obendrauf zu ertragen, scheint man bei der Union in atemberaubender strategischer Denkfaulheit anzunehmen.

Erinnert sei auch daran: Seit Monaten war das Szenario bekannt, im neuen Bundestag könne es eine Sperrminorität eines AfD-BSW-Linken-Potpourris in beliebiger konkreter Besetzung geben, und dieses Szenario wurde breit diskutiert. Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist eine Existenzfrage, aber alle dringlichen Bitten, vor der Wahl eine Grundgesetzänderung sauber zu regeln, prallten an Friedrich Merz ab.

Umgekehrt fragt nun bei den Grünen so mancher: Warum nicht im neuen Bundestag mit einer zweifelsfrei legitimierten Mehrheit gemeinsam mit der Linkspartei die Schuldenbremse gleich ganz kegeln, ohne in demokratische Erklärungsnöte zu kommen?

Der Frust der Abgewählten kann noch zum Problem werden

Selbst wenn die Grünen-Führung am Ende der schwarz-roten Hauruck-Aktion zustimmt: In allen Fraktionen wird es Abgeordnete geben, die aus unterschiedlichsten Gründen in echte Gewissensnöte kommen – und außerdem frustrierte Abgewählte, die nicht mehr viel zu verlieren haben.

Das kann bei den Grünen genauso zum Thema werden wie unter traditionspazifistischen SPD-Genossen und vielleicht sogar schuldenskeptischen Christdemokraten. Einen sicheren Pfad hin zu einer Mehrheit im Bundestag gibt es nicht, allen Beteiligten steht eine Woche der Hochspannung bevor.

Dass Linkspartei und AfD Juristinnen und Juristen in Gang setzen, um die Verfassungsänderungen auf dem Rechtsweg zu verhindern, macht die Lage nicht übersichtlicher. Und sollte die Mehrheit im Bundestag stehen, muss noch eine im Bundesrat her. Hier sind die Schwierigkeiten kleiner, aber auch da ist nichts gewiss.

„Eigentlich“, so plant Friedrich Merz wohl auch in Sachen Klagen und Bundesrat. Aber wenn doch die Zukunft des Landes auf dem Spiel steht, wenn es um die Frage geht, ob Deutschland noch verteidigungsfähig ist oder es wieder werden kann, am Ende also um die Sicherheit und Freiheit Europas, und wenn es dafür die Zustimmung der Grünen nun einmal braucht – dann ist „eigentlich“ keine geeignete Planungsgrundlage.

Deutschland steht vor historischen Fragen. Mit dem Kopf durch die Wand, das ist als Strategie des Mannes, der es ins Kanzleramt schaffen will, zu wenig.

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