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Hohes Haus - aber nicht fehlerfrei: der Deutsche Bundestag im Reichstagsgebäude.

© dpa

Für eine neue Fehlerkultur in der Politik: „Entschuldigung, das lief leider schlecht“

Es braucht in der Politik eine moderne Fehlerkultur – zum Wohl der ganzen Demokratie. Ein Gastbeitrag.

Es ist eine Binsenwahrheit, dass Politikerinnen und Politiker Fehler machen. Die Herausforderungen werden schließlich immer komplexer. Entscheidungen müssen immer schneller gefällt werden. Angesichts der Krisen der vergangenen beiden Jahrzehnte – von Afghanistan bis Syrien, von Weltfinanzen bis zu den Flüchtlingen, von der Dürre bis zum Hochwasser – ist der politische Ausnahmezustand zudem mittlerweile eher die Regel als die Ausnahmen.

[Christoph Seils ist Politikwissenschaftler und Projektleiter im Bereich „Demokratie stärken“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Um eine moderne Fehlerkulturin der Politik zu befördern, initiierte die Hertie-Stiftung bei Twitter kürzlich eine #FehlerkulturChallenge.]

Trotzdem trauen sich die wenigsten Politikerinnen und Politiker, Fehlentscheidungen einzugestehen. Dabei hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie verdeutlicht, wie dringend die Politik einen anderen Umgang mit Fehlern braucht sowie die ehrliche Bereitschaft, daraus zu lernen. Ohne eine moderne Fehlerkultur wird vor allem das größte gesellschaftlich-ökonomische Umbauprojekt in der Geschichte dieses Landes scheitern: die Energiewende. Mehr als bei jedem anderen Reformprojekt wird deren Gelingen davon abhängen, dass die Politik während der Transformation quasi permanent nachjustiert oder umsteuert, Fehlentwicklungen korrigiert, Fehlanreize stoppt.

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Dass es Politikern so schwerfällt, über Fehler und Scheitern zu sprechen, hat Gründe. So sind Opposition und Medien einerseits geradezu inflationär mit dem Fehler-Vorwurf zur Stelle. Immer droht gleich eine „Katastrophe“. Von Institutionen der repräsentativen Demokratie, „die sich regelhaft der überzogenen Rhetorik universellen ,Staatsversagens‘ bedienen“, schreiben die Politikwissenschaftlerin Petra Dobner und der Politikwissenschaftler Torben Fischer in einem Aufsatz für die Zeitschrift für Parlamentsfragen.

Die neue Bundesregierung ist mit dem Anspruch angetreten, anders mit Fehlern umzugehen

Andererseits gilt das Eingestehen von Fehlern in der Politik noch immer als Zeichen von Schwäche. Es drohen Reputationsverlust und das schnelle Ende der Karriere. Nicht nur die Opposition versucht daraus Kapital zu schlagen. Auch in innerparteilichen Machtkämpfen lauern die Konkurrenten.

Die neue Bundesregierung ist mit dem Anspruch angetreten, anders mit Fehlern umzugehen. Ein „lernendes Deutschland, eine lernende Politik“, versprach Robert Habeck bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages im Namen von SPD, Grünen und FDP. Auch unter Journalisten ist es populär geworden, Politikerinnen und Politikern ein Recht auf Scheitern zuzugestehen. Zuletzt schrieb etwa Cornelius Pollmer in der Süddeutschen Zeitung, „fast immer ist nicht ein Irrtum oder ein Fehler das Problem, fast immer wird zum Problem der Umgang damit“. Helene Bubrowski empfahl Politikern in der FAZ „auch mal zuzugeben, wenn etwas schlecht gelaufen ist“. Gibt es also Hoffnung?

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Der Weg zu einer modernen Fehlerkultur ist weit. Das liegt auch daran, dass Fehler in der Politik doch etwas anderes sind als Fehler zum Beispiel bei einer medizinischen Behandlung, in der Entwicklung neuer Produkte oder in der Wissenschaft. Solche Fehler lassen sich in der Regel identifizieren und in einem Qualitätsmanagement aufarbeiten. Für viele Start-up-Unternehmen gilt: Der Weg zu Innovationen ist mit Fehlern gepflastert.

Christoph Seils ist Politikwissenschaftler und Projektleiter im Bereich „Demokratie stärken“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.
Christoph Seils ist Politikwissenschaftler und Projektleiter im Bereich „Demokratie stärken“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.

© Hertie-Stiftung/Stefan Maria Rother

In der Politik hingegen ist es gar nicht so einfach, zu einem selbstverständlichen Reflektieren über gemachte Fehler zu kommen. Das Problem fängt schon bei der Frage an, was eigentlich ein politischer Fehler ist? Schließlich werden politische Entscheidungen begleitet von intensivem Meinungsstreit. In einer heterogenen liberalen Gesellschaft gibt es die unterschiedlichsten Interessen und sozialen Lagen, Meinungen und Weltanschauungen. Ob Steuersenkungen oder Subventionen, das Abschalten von Atomkraftwerken oder der Bau von Autobahnen richtig oder falsch sind, hängt deshalb zunächst einmal vom Standpunkt des Betrachters ab. Die Auseinandersetzung darüber, was als politischer Fehler gilt, ist somit selbst ein Teil des Meinungsstreits.

Die Politik kann zu einem lernenden System werden

Das soll allerdings nicht heißen, dass das Ringen um eine moderne Fehlerkultur in der Politik von vorneherein zum Scheitern verurteilt wäre, weil auch dies nur eine zusätzliche Volte im Ringen um gesellschaftliche Hegemonie, parlamentarische Mehrheiten oder politische Macht wäre. Das soll nicht heißen, dass in der Politik alles subjektiv ist und es keine objektiven Fehlentscheidungen oder Fehlsteuerungen gibt.

Es gibt allerdings ein paar Fragen, die sich zunächst stellen: Wie lässt sich zum Beispiel die Reflektion über politische Fehler jenseits des Meinungsstreits organisieren? Wann lässt sich objektiviert und unvoreingenommen von politischen Fehlern sprechen – wenn proklamierte Ziele nicht erreicht werden oder wenn die Wähler die Gefolgschaft verweigern? Wann ist eine Politikerin oder ein Politiker, eine Partei oder eine Regierung gescheitert – wenn die Politik Anhängern nicht gefällt oder wenn sie nicht zu dem versprochenen Ergebnis führt? Und was ist, wenn politische Ziele von einer Regierung erreicht werden, aber die Wähler trotzdem die Gefolgschaft verweigern?

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Ein Fehler- und Qualitätsmanagement könnte trotzdem helfen, politische Debatten zu versachlichen und bessere politische Entscheidungen zu fällen. Die Politik kann zu einem lernenden System werden. Dafür bräuchte sie allerdings erstens geschützte Räume, in denen sie parteiübergreifend darüber reflektieren könnte. Es bräuchte zweitens den Mut von Politikerinnen und Politikern, öffentlich über die eigenen politischen Fehler zu sprechen statt über die Fehler der anderen. Es bräuchte den Mut, politische Kurskorrekturen einzugestehen und zu erklären, statt ängstlich an dem als falsch erkannten Weg festzuhalten. Es bräuchte drittens Journalisten, die rhetorisch abrüsten. Aus Sicht der Politikwissenschaftlerin Petra Dobner und des Politikwissenschaftlers Torben Fischer könnte zudem der Bundestag „idealerweise als permanentes politisches Qualitäts- und Fehlermanagement“ fungieren, und so zu einer „Versachlichung von Debatten“ beitragen. Schließlich genießt das Parlament als Kontrollorgan der Regierung Verfassungsrang. Allerdings müsste sich das Parlament dafür von den Ritualen von Anklage und Verteidigung, die in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen üblich sind, verabschieden.

Einen Versuch wäre es wert. Mit einer modernen Fehlerkultur in den Parteien sowie mit einem parlamentarischen Verfahren zum Erkennen und Korrigieren politischer Fehler ließe sich Vertrauen der Wähler zurückgewinnen. Die Politikverachtung und der Hass gegen Politikerinnen und Politiker ließen sich zurückdrängen, wenn Politikerinnen und Politiker offen über ihre Fehler und ihre Irrtümer reden und von anderen darin parteiübergreifend bestärkt würden. Die repräsentative Demokratie würde profitieren. Für einen Erfolg der Energiewende wäre eine andere politische Fehlerkultur zudem eine Conditio sine qua non, eine unabdingbare Voraussetzung.

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