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Hohe Erwartungen richten sich in Taiwan auf den Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Und auf das Schutzversprechen der USA.

© Chiang Ying-Ying/AP/dpa

US-Parlamentspräsidentin besucht Taiwan: Gefährlich – aber auch gefährlich nötig

Taiwan braucht mehr Unterstützung der Demokratien. Denn China stellt den vereinbarten Status quo in Frage und verschiebt die roten Linien. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Sie hat es getan. Trotz aller Drohungen Chinas, trotz der Manöver mit scharfer Munition ist Madame Speaker Nancy Pelosi in Taiwan gelandet. Nun schlagen die Wogen der Erregung hoch.

Freilich auf beiden Seiten. Die Kritiker werfen der 82-jährigen US-Demokratin eine gemeingefährliche Sturheit vor. Sie riskiere eine Konfrontation mit China ausgerechnet jetzt, wo die volle Aufmerksamkeit des Westens in der Ukraine gebraucht wird. Ein Nutzen der Reise, der das rechtfertigt, ist nicht zu erkennen.

Ihre Verteidiger sehen es umgekehrt. China agiert gemeingefährlich. Für sie ist der wahre Skandal nicht Pelosis Reise, sondern Pekings Überreaktion bis hin zur Drohung, das Flugzeug der US-Parlamentspräsidentin abzuschießen.

Wenn China als Weltmacht akzeptiert werden möchte, aber so verantwortungslos vorgeht, beweist das umso mehr: Die Demokratien in Amerika, Asien und Europa müssen Taiwan beistehen und dem Regime in Peking Grenzen aufzeigen. Gut also, dass Pelosi nicht nachgegeben hat.

Streit um den Auslöser der Eskalation

Wenn Meinungen so hart aufeinanderprallen, neigen moderate Stimmen zur Vermittlung: Die Wahrheit liege in der Mitte. Mit dem Kunstgriff lässt sich dieser Konflikt jedoch nicht befrieden.

Einigen können sich die Lager nur darauf, dass der Reisetermin ungeschickt ist: direkt nach dem Gründungstag der chinesischen Armee und wenige Wochen vor dem Parteitag, der dem nationalistischen Präsidenten Xi Jinping eine dritte Amtszeit gewährt.

Mehr zum Taiwan-Konflikt bei Tagesspiegel Plus:

In der Kernfrage gibt es keinen Mittelweg, die Positionen schließen sich gegenseitig aus. Nimmt der Westen zu wenig Rücksicht auf China und hat so die Zuspitzung provoziert? Oder veranlasst zu viel Entgegenkommen Peking zu dem Kalkül, je härter es vorgehe, desto näher rücke die Kontrolle über Taiwan? Ziemlich eindeutig ist: Der Westen hält sich an den den vereinbarten Status quo, China stellt ihn in Frage. Die USA und Europa folgen der „Ein China“-Politik und schließen eine Anerkennung Taiwans als unabhängiger Staat aus.

Peking verhängt Sanktionen, weil Litauen ein Taiwan-Büro eröffnet

Peking hingegen verschiebt kontinuierlich die „roten Linien“, was als erlaubt gilt und was nicht. 1997 hat der damalige US-Parlamentspräsident Newt Gingrich Taiwan besucht. Damals war das kein Skandal, heute doch?

Das Krisenmanagement funktioniert. Die Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping - hier auf einem Archivfoto bei einem früheren Treffen - telefonierten vor wenigen Tagen mehr als zwei Stunden lang, um eine Eskalation zu verhindern.
Das Krisenmanagement funktioniert. Die Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping - hier auf einem Archivfoto bei einem früheren Treffen - telefonierten vor wenigen Tagen mehr als zwei Stunden lang, um eine Eskalation zu verhindern.

© Lintao Zhang/GETTY IMAGES POOL via epa/dpa

Viele EU-Staaten betreiben regen Handel mit Taiwan und haben inoffizielle Vertretungen. Als Litauen, ein junges EU-Mitglied, 2021 ein Taiwan-Büro eröffnete, reagierte Peking mit harten Sanktionen. China übt nackten Druck auf die EU aus, damit sie Kritik an der Corona-Strategie, der Klimapolitik und dem Umgang mit Minderheiten wie den Tibetern und den muslimischen Uiguren unterlässt. Auch im Wirtschaftsaustausch mit Deutschland agiert China robust.

Die Kehrseite – und Rechtfertigung – westlicher „Ein China“-Politik war die Formel „Ein Land, zwei Systeme“. Peking sagte zu, nach der Eingliederung Hongkongs und eines Tages Taiwans werde es die demokratischen Freiheiten dort respektieren.

Wer mag das noch hoffen, nachdem China die Zusage in Hongkong gebrochen hat? Zumal wenn Peking Taiwan mit militärischer Gewalt zum Teil der Volksrepublik machen möchte.

Taiwan als Gegenmodell zu China ist gut für die Welt

Ein demokratisches, prosperierendes Taiwan als Gegenmodell zur Volksrepublik ist gut für die Welt. China gibt sich nicht mehr mit dem Status quo zufrieden.

Darauf reagiert der Westen. Präsident Joe Biden lässt es anders als seine Vorgänger nicht mehr im Unklaren, dass die USA Taiwan bei einem Angriff verteidigen.

Die EU lässt sich nicht mehr so leicht von Peking einschüchtern. Der Handelsausschuss des Europäischen Parlaments wird demnächst Taiwan besuchen und Verhandlungen über ein Investitionsabkommen beginnen.
Die gute Nachricht nach dem Eklat um Pelosi: Das Krisenmanagement funktioniert. Krieg droht so schnell nicht, weil die Präsidenten Xi und Biden und ihre Militärführungen miteinander sprechen.

Die nicht so gute Nachricht: China hat erst begonnen, die Standfestigkeit der Demokratien in Asien, Europa und Amerika zu testen. Entschiedenes Gegenhalten ist der beste Weg, um einen Krieg um Taiwan auf Dauer zu verhindern.

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