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Generaldebatte im Bundestag: Bei der Rente zeigen sich die Risse zwischen Union und SPD
AfD-Chefin Weidel wirbt um die Union und bekommt einen Korb. Der Kanzler findet keine Antworten, erhält von seinem Fraktionschef aber ein Versprechen. Eine Analyse der Generaldebatte.
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Kurz vor der Generaldebatte zum Haushalt ist die Stimmung im Bundestag noch gelöst. Bauministerin Verena Hubertz hat Geburtstag und wird auf der Regierungsbank von SPD-Parteichef Lars Klingbeil geherzt. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz gratuliert der schwangeren Ministerin.
Für ein paar Minuten gibt es einen lockeren schwarz-roten Stehkreis. Ein Moment der Ablenkung von den Sorgen um die Ukraine, die Krise der Wirtschaft und der ungelöste Rentenstreit.
Weidels Werben
Doch schon nach wenigen Minuten sinkt die Temperatur im Plenum spürbar. Wie in Generaldebatten üblich, darf die Opposition eröffnen. Und AfD-Chefin Alice Weidel legt sofort los. „Diese Koalition im Endstadium erinnert immer mehr an die Titanic“, sagt sie. Der Tanker habe Schlagseite, der Kapitän nicht mehr das Sagen und es gebe gleich eine ganze Reihe an Eisbergen.
Genüsslich zählt Weidel die hohen Lohnneben-Kosten, eine Migrationskrise und eine Pleitewelle, die durchs Land fege, auf. Mit dem Haushalt hält sich die 46-Jährige nicht lange auf, sondern stellt stattdessen einen Zwölf-Punkte-Plan ihrer Partei vor, der unter anderem die Reaktivierung von Atomkraftwerken, die Abschaffung des Verbrenner-Verbots und das Aus für das Heizungsgesetz vorsieht. „Wir werden die Verbots- und Gängelungspolitik beenden“, sagt Weidel. Ein paar Sätze weiter fordert sie ein Verbot der Antifa und der GEZ-Gebühren.

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Ruhig trägt Weidel ihre Angriffe vor. Nicht schrill, sondern dramatisch ist der Sound der Weidel-Rede, ein Angriff in Moll-Tönen. Es passt zur Strategie Weidels, die ihre Fraktion zu mehr Mäßigung und weniger Radikalität bewegen will.
Am Ende ihrer Rede wirbt sie offen um die Union und bietet an, die „Schäden gemeinsam zu korrigieren“. Die Bürger hätten eine bürgerliche, keine progressiv-linke Politik gewählt. „Sie haben sich eingemauert“, sagte Weidel an die Reihen von CDU und CSU mit Verweis auf die Brandmauer. „Aus Liebe und Verantwortung für Deutschland“ sei die AfD zur Zusammenarbeit bereit.
Ein Kanzler ohne Antworten
Der Kanzler hielt sich nicht lange mit dem Angebot auf. Weidel habe mit keinem Wort die Ukraine oder die Sicherheitspolitik erwähnt, kritisierte Merz und lehnte den Zwölf-Punkte-Plan ab. „Das ist keine Politik, die auch nur im Ansatz für diese Fraktion zustimmungsfähig ist.“
Doch welchen Plan der Bundeskanzler für Deutschland hat, blieb in seiner Rede auch nicht erkennbar. Stattdessen lobte der Kanzler die eigenen Beschlüsse. Etwa die Sonderabschreibungen für die Wirtschaft, strengere Grenzkontrollen, die Senkung der Netzentgelte und die Streichung der Gasumlage. Bei privaten Haushalten und Unternehmen seien die Stromrechnungen bereits um neun Prozent gesunken.
Bei künftigen Vorhaben blieb der Kanzler hingegen unkonkret und warb um Geduld. Man werde die Bürokratie abbauen und die Digitalisierung voranbringen, sagte Merz, während in den Unionsreihen viele Abgeordnete auf ihren Smartphones herumtippten.
Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass es Frieden und Freiheit nicht umsonst gibt.
Friedrich Merz, Bundeskanzler
Zudem versprach Merz vage, einen „neuen Konsens der Generationen“ auszuhandeln. Ausgerechnet in diesem Moment, in dem der Kanzler der Jugend „eine gute Zukunft“ in Aussicht stellte, mussten mehrere Schulklassen auf den Besuchertribünen ihre Plätze räumen und für eine Einheit der Marine Platz machen.
Deutlich wurde der Kanzler nur im außenpolitischen Teil seiner Rede. „Wir wollen keine Friedhofsruhe“, sagte Merz zu den Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg. Ein tragfähiges Abkommen für Frieden in Freiheit in Europa könne nicht allein von den Großmächten USA und Russland ausgehandelt werden.
Was aus den Kanzler-Worten international folgt, bleibt unklar. Im Haushalt sind drei Milliarden mehr für die Ukraine eingeplant. Und Merz schwor die Deutschen auf schwere geopolitische Zeiten ein. „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass es Frieden und Freiheit nicht umsonst gibt.“
Bei der Rente zeigen sich die Risse
Seit Wochen spitzt sich der Rentenstreit in der Koalition zu. 18 junge Abgeordnete von CDU und CSU drohen damit, das umfassende Paket scheitern zu lassen und erhalten dafür viel Zuspruch aus der Wirtschaft, aber auch aus den Reihen der Union. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Wie tief die Risse inzwischen sind, wurde in der Generaldebatte deutlich.
Merz sprach den Rentenstreit nur im Vorbeigehen an. Zum Ende seiner Rede sagte er lediglich, es gehe darum, dass die Menschen in Deutschland „auch im Alter ein gutes Leben führen und nicht in Armut und Bedürftigkeit“ abrutschten. Das sei das Ziel der Koalition. „Und dieses Ziel werden wir auch gemeinsam erreichen.“ Eine Aussage, bei der es in den Reihen der SPD länger Applaus gab als bei den Konservativen.
Noch deutlicher wurden die Differenzen bei der Rede von SPD-Fraktionschef Matthias Miersch. „Dass das soziale Sicherungssystem weiter trägt und zukunftssicher bleibt, ist ganz entscheidend“, sagte Miersch und erhielt dafür nur von den eigenen Leuten Beifall. Er wundere sich, wie „abstrakt über Milliarden“ gesprochen werde, „aber es geht nicht um die Menschen“, sagte Miersch – eine klare Kritik an der Jungen Gruppe.
Der SPD-Fraktionschef forderte einen respektvollen Umgang mit den Menschen, über die man im Rentenstreit spreche. Dazu gehöre auch die Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren. Auch bei dieser Aussage rührte sich in den Reihen der Union keine Hand. Der Rentenstreit dürfte im Koalitionsausschuss am Donnerstag fortgesetzt werden.

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Spahns Versprechen
Es ist Jens Spahn, der an diesem Mittwoch die Koalition wieder in die Offensive bringt. Mit Verve teilt der Unionsfraktionschef in seiner Rede gegen die AfD aus. „Ihr Programm ist Harakiri“, sagt er und verweist auf die Forderung der Rechten, das Rentenniveau auf 70 Prozent zu erhöhen und aus internationalen Freihandelsabkommen auszusteigen.
Was geht eigentlich bei Ihnen im Kopf vor?
Unions-Fraktionschef Jens Spahn in Richtung von AfD-Chef Tino Chrupalla.
Immer wieder betont er die Russlandnähe der AfD, spricht von der „fünften Kolonne Moskaus“. Frontal ging Spahn AfD-Chef Tino Chrupalla an, der zuletzt mit seinen Aussagen irritiert hatte, dass Wladimir Putin ihm nichts getan habe und auch ein Nachbarland wie Polen zur Gefahr für Deutschland werden könnte. „Was geht eigentlich bei Ihnen im Kopf vor?“, sagte Spahn dazu.
Weniger klar blieb jedoch auch Spahn bei der Rente. Man debattiere in der Koalition, räumt er ein und deutete dies als Stärke. „Unterscheidbarkeit gehört zur Glaubwürdigkeit“, sagte Spahn und betonte, man werde jede Debatte zu einer Entscheidung führen.
Der Kanzler halte in diesen Tagen Europa zusammen, sagte Spahn und weitete damit den Fokus. Auf Merz komme es an. „Er kann sich auf die Unterstützung dieser Koalition in diesen Tagen verlassen“, versprach Spahn. Wie er dieses Versprechen einlösen will, muss er jedoch erst noch unter Beweis stellen.
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