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Aufruhr in Chemnitz.

© REUTERS

Gesichter einer tragischen Woche: Die Menschen hinter den Ereignissen von Chemnitz

Ein junger Mann wurde getötet, Rechtsextreme marschierten auf, der Staat zeigte sich in Chemnitz schwach. Wer sind die Menschen hinter der Geschichte?

Das Opfer

Der Mann, dessen Tod Chemnitz erschüttert hat, heißt Daniel Hillig. Ein 35-jähriger Tischler, der sich eine Vereinnahmung durch Rechtsextreme nicht gewünscht haben kann. Hillig – kurzgeschorene Haare, dunkle Haut – war Deutscher, sein Vater stammte aus Kuba. Auf Facebook klickte der Familienvater bei Sprüchen wie „Die Nationalität ist völlig egal! Arschloch ist Arschloch“ auf „Gefällt mir“. Die „Zeit“ zitiert aus dem Facebook-Beitrag eines Freundes von Hillig, der schrieb, es sei unerträglich, dass die, die Hillig das Leben schwergemacht hätten, seinen Tod nun benutzen, „um Bürgerkrieg ähnliche Zustände zu erzeugen“. Hillig habe Nationalismus, Rassismus und Faschismus immer bekämpft. Er wird als freundlicher und fröhlicher Mensch beschrieben, auf Facebook teilte er Lebensweisheiten. Zum Beispiel: „Gut bist du nicht, weil du auffällst. Du bist gut, wenn auffällt, dass du fehlst.“ Und fehlen tut er offenbar vielen in Chemnitz. Hillig soll sich auch in der Fanszene des „Chemnitzer FC“ engagiert haben. Er selbst sei kein Hooligan gewesen, hieß es. Es kann aber sein, dass seine Nähe zur Szene es den Drahtziehern der Ausschreitungen leicht gemacht hat, ihre Leute zu mobilisieren.

Die Tatverdächtigen

Blumen und Kerzen erinnern am Tatort an Daniel Hillig.
Blumen und Kerzen erinnern am Tatort an Daniel Hillig.

© imago/Michael Trammer

In Untersuchungshaft sitzen derzeit der 22-jährige Iraker Yousif A. und der 23-Jährigen Syrer Alaa S. Sie stehen im Verdacht, am vergangenen Sonntag um drei Uhr morgens in der Nähe des Karl-Marx-Monuments in Chemnitz mit dem Messer auf Hillig losgegangen zu sein. Der Vorwurf: gemeinschaftlicher Totschlag. Wie es zu der Auseinandersetzung kam ist noch unklar – für die Gerüchte, Hillig hätte einer Frau helfen wollen, die belästigt wurde, gibt es offenbar keine Belege. Bemerkenswert ist vor allem der Hintergrund des Irakers, der seit 2015 in Sachsen lebte. Er hatte vor seiner Einreise nach Deutschland bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. Eine Abschiebung dahin wäre 2016 möglich gewesen, auch Bulgarien selbst hatte dem zugestimmt. Die Abschiebung ist aber nicht in der vorgegebenen Frist vollzogen worden, was – wie die Landesdirektion Sachsen erklärte – zum Teil an einem Kommunikationsfehler zwischen den Behörden lag. Die Zuständigkeit für Yousif A. ging anschließend wieder auf Deutschland über. „Bild“ zitiert aus dem Vorstrafenregister des Irakers: Drogenbesitz, Sachbeschädigung, Betrug, Eingriff in den Straßenverkehr und gefährliche Körperverletzung. Er sei zu einer Haftstrafe verurteilt worden, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der „Spiegel“ berichtet zudem, Yousif A. habe im Asylverfahren gefälschte Papiere vorgelegt.

Der Ministerpräsident

Zwei Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft, einer stammt aus Syrien, einer aus dem Irak.
Zwei Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft, einer stammt aus Syrien, einer aus dem Irak.

© Fabian Bartel

Er kam erst vor acht Monaten ins Amt und kann seiner Verantwortung doch nicht entkommen: Michael Kretschmer, Ministerpräsident des Freistaats, hat sich in der CDU nach oben gedient, war lange Generalsekretär. Davon, dass Sachsen ein Nazi-Problem haben könnte, wollten er und sein Landesverband lange nichts wissen. Jetzt aber muss der 43-Jährige klare Grenzen ziehen gegenüber Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Am Donnerstag stellte er sich aufgewühlten Chemnitzern. Tenor der Kritik: Der Staat schützt uns nicht, und wir werden auch noch als Nazis abgestempelt. Kretschmer zeigte Verständnis für die Wut über das Verbrechen, forderte aber Distanz gegenüber Extremisten ein – eine Doppelstrategie. Klar ist: Die traurige Woche von Chemnitz hat Auswirkungen auf Kretschmers Wahlchancen 2019. Schon jetzt ist die AfD der CDU hart auf den Fersen. Im Freistaat könnten Rechtspopulisten erstmals stärkste Partei in einem Bundesland werden.

Die Polizeichefin

Der Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer (CDU) spricht im Stadion des Chemnitzer FC mit Bürgern.
Der Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer (CDU) spricht im Stadion des Chemnitzer FC mit Bürgern.

© Ralf Hirschberger/dpa

Sie kam erst Anfang August ins Amt und trägt doch die volle Verantwortung: Sonja Penzel, erste Polizeipräsidentin in Sachsen, Leiterin der Direktion Chemnitz. Ihre unerwartet harte Bewährungsprobe hat die 46-Jährige nicht mit Bravour bestanden – im Gegenteil. Krawalle, Hetzjagden, Demonstrationen, bei denen Neonazis ungehindert den Hitlergruß zeigten, – in Chemnitz präsentierten sich der Rechtsstaat und seine Hüter heillos überfordert. Obwohl das Landesamt für Verfassungsschutz vor einem massiven Aufmarsch gewarnt haben soll, war die Chemnitzer Polizei nicht auf die Randale vorbereitet. Schon in der Nacht zum Montag, und dann auch am darauffolgenden Abend schickte Polizeichefin Penzel zu wenige Beamte in den Einsatz. „Führungsversagen“, „Armutszeugnis“ – das Urteil der Experten fiel verheerend aus. Ob die aus Westdeutschland stammende Spitzenbeamtin in Chemnitz noch eine große Zukunft hat, ist deshalb fraglich.

Der radikale Rechte

Macht keine gute Figur: Sonja Penzel, Polizeichefin von Chemnitz.
Macht keine gute Figur: Sonja Penzel, Polizeichefin von Chemnitz.

© RubyImages/F. Boillot

Schlüsselfigur bei den rechten Protesten ist der Anwalt Martin Kohlmann, Fraktionsvorsitzender des radikal rechten Bündnisses „Pro Chemnitz“ im Chemnitzer Stadtparlament. Er verteidigte einen der Angeklagten im Prozess gegen die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ und ist in der rechten Szene gut vernetzt. Sein Bündnis „Pro Chemnitz“ meldete den Aufmarsch am Montagabend an, bei dem es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Zum Besuch des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer veranstaltete „Pro Chemnitz“ ebenfalls eine Kundgebung. Auch bei dem „Schweigemarsch“ der AfD und des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses an diesem Samstag wird Kohlmanns Truppe dabei sein. Der erste Demonstrationsaufruf am Sonntagabend allerdings, also kurz nach der Tötung von Daniel Hillig, war nicht von ihm, sondern von „Kaotic“ ausgegangen, einer rechtsradikalen Fangruppe des „Chemnitzer FC“. Aus diesem Umfeld kamen offenbar auch die brüllenden Hooligans, die auf Migranten in der Chemnitzer Innenstadt losgingen.

Der Musiker

Martin Kohlmann von Pro Chemnitz spricht während des Kretschmann-Besuchs bei einer Demonstration vor dem Stadion.
Martin Kohlmann von Pro Chemnitz spricht während des Kretschmann-Besuchs bei einer Demonstration vor dem Stadion.

© Sebastian Willnow/dpa

„Chemnitz ist nicht das, was gestern passiert ist, sondern das was heute passiert“, schrieb Till Brummer, Bassist der bekannten Chemnitzer Rockband Kraftklub am Montagfrüh auf Twitter. Er teilte damit den Demoaufruf des Bündnisses „Chemnitz Nazifrei“, das in Chemnitz am Montag zur Demo gegen den rechten Protest mobilisierte. 1500 Menschen kamen. Der Protest gegen die rechten Ausschreitungen ist groß in Chemnitz und könnte noch größer werden. Das Bündnis „Chemnitz Nazifrei“ kündigte auf Facebook für den heutigen Samstag eine Protestveranstaltung gegen die geplante Demonstration von AfD und Pegida an. Für Montag dann haben mehrere bekannte deutsche Bands zu einem kostenlosen Konzert in die sächsische Stadt eingeladen – darunter Kraftklub, Die Toten Hosen, Casper, K.I.Z. und Marteria. In den sozialen Netzwerken wird unter dem Motto #wirsindmehr zum Protest aufgerufen.

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