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Abgerissene Wahlplakate der Grünen mit Robert Habeck liegen neben einer Straße.

© dpa/Kay Nietfeld

Nach dem Rückzug von Habeck und Baerbock: Wer protestieren und gestalten will, ist bei den Grünen richtig

Nach der Bundestagswahl stehen die Grünen ohne Regierungsbeteiligung und ihre führenden Köpfe da. Zeit für einen Kurswechsel, fordert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Badum.

Ein Gastbeitrag von Lisa Badum

Stand:

Über 450.000 Menschen haben eine Petition unterschrieben, in der sie Robert Habeck bitten, weiter in einer führenden Rolle zu bleiben. Sie schreiben, dass er für eine kluge, progressive und verantwortungsvolle Politik steht.

Und hier können wir mit Robert Habeck fragen: Ist eine Politik, die aufs gemeinsame Ringen, auf den demokratischen Diskurs setzt ohne autoritäre Reflexe perdu, weil eine einzelne Person geht? Oder anders gefragt: Wohin geht die grüne Reise nach der Bundestagswahl?

Unsere neuen Mitglieder geben selbst die Antwort: Es sind über 40.000 Menschen, die etwas gegen den Rechtsruck tun wollen, für soziale Gerechtigkeit, für Klimaschutz, für die liberale Demokratie. Die gerade jetzt, in dieser historischen Situation mit dem Begleitlärm von geifernden, antigrünen Populisten, Farbe bekennen wollen.

Wir sind entstanden aus einer Bewegung von Bürgerinnen und Bürgern. Uns hat von Anfang an der Kampf für Werte zusammengeführt und angetrieben. Unsere Wurzeln liegen in Initiativen in ganz Deutschland. Initiativen für eine Welt ohne Atommüll, für Gleichstellung, für eine faire Verteilung von Vermögen, für Frieden, für eine gerechtere Wirtschaftspolitik. Von Anfang an waren wir stark mit der Zivilgesellschaft verbunden und deshalb ein lernendes Bündnis.

Und wir haben zusammen gerungen, nicht um den leichtesten Weg zu finden, sondern den besten – für die Zukunft unseres Landes und der Welt. Das war das große, recht offene Geheimnis, weshalb die Grünen eine der führenden Ideengeberinnen in der Bundesrepublik werden konnten. Und es waren viele große Politiker:innen, die uns bei diesem gemeinsamen Denken und Ringen angeführt haben. Die Spannweite reichte von Petra Kelly bis eben zu Robert Habeck.

In unserer Gesellschaft hat sich vieles geändert. Aber dass bei uns weiterhin Menschen eine politische Heimat finden wollen, die weiter verändern wollen – das nicht. Unser Maßstab: Wir wollten etwas verändern – wir haben etwas verändert. Deshalb war es auch richtig, das Experiment Ampel zu wagen.

Gerade in den ersten zwei Jahren der Ampel wurden riesige Erfolge erzielt – etwa beim Rekordausbau der erneuerbaren Energien, in gesellschaftspolitischen Fragen wie dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz oder dem Selbstbestimmungsgesetz sowie beim größten Durchbruch für die Bewegungsfreiheit, dem Deutschlandticket.

Wir haben uns dann aus staatspolitischer Verantwortung immer mehr vom Vordenker, Ideengeber, Fragensteller ins Reagieren drängen lassen.

Grünen-Politikerin Lisa Badum über das Agieren ihrer Partei in der Ampelkoalition

Doch es wurde vor allem gegen Ende der Regierungsbeteiligung zunehmend schwerer, zwischen allen Stühlen eingeklemmt mit Haltung zu entscheiden. Exemplarisch dafür steht die Debatte um das Sicherheitspaket, aber auch die Änderung des Klimaschutzgesetzes und die Beschleunigung des dritten LNG-Terminals auf Rügen.

Waren beim Klima nicht immer einer Meinung: Lisa Badum (kinks) und Robert Habeck.

© Imago/dts Nachrichtenagentur

Wir haben uns dann aus staatspolitischer Verantwortung immer mehr vom Vordenker, Ideengeber, Fragensteller ins Reagieren drängen lassen. Mit der Zeit entwickelte sich eine erdrückende Verantwortungsfiktion („Wir müssen das Land retten“). In Verantwortung steckt Antwort – wir haben uns so bemüßigt gefühlt, ständig reagierend zu antworten, dass wir es aus den Augen verloren haben, die richtigen Fragen zu stellen.

Rückblickend auf die Jahre VOR der Ampel war ja genau das das Problem: eine zu starke Reaktivität verbunden mit Zukunftsvergessenheit. Auch das ließe sich als Merkel-Lücke bezeichnen. Und wir stehen schon wieder an einem solchen Punkt.

Staatspolitische Verantwortung bedeutet nicht, jeden müden Vorschlag aus der politischen Mitte blind mitzutragen. Stattdessen verpflichtet uns die Weltlage geradezu, wirkliche Reformen einzufordern.

Grünen-Politikerin Lisa Badum will nicht auf Schwarz-Rot zugehen.

Entgegen seinen Wahlversprechen möchte Friedrich Merz Deutschlands brodelndem Schuldendeckel jetzt ein kleines Ventil geben, um die nächsten Jahre zu überstehen. Doch wenn die Union endlich zur haushaltspolitischen Vernunft gekommen ist, warum reformieren wir die Investitionsbremse dann nicht gleich nachhaltig? Alles kurzfristige, kleinliche Denken, alles politische Mikado fällt uns irgendwann wieder auf die Füße.

Staatspolitische Verantwortung bedeutet nicht, jeden müden Vorschlag aus der politischen Mitte blind mitzutragen. Stattdessen verpflichtet uns die Weltlage geradezu, wirkliche Reformen einzufordern: von der Schuldenregel über die Klimapolitik bis hin zur Europäischen Union. Deswegen ist die klare Positionierung der grünen Führung jetzt so richtig.

Gerade beim Klimaschutz stehen in der neuen Legislatur riesige Herausforderungen an. Trump möchte Europa mehr Fracking-Gas aufdrücken, was zu mehr Unsicherheit, mehr Abhängigkeit und explodierenden Preisen führen würde. Dennoch ist die EU-Kommission diesem schmutzigen „Deal“ nicht abgeneigt. Insgesamt droht in Europa ein Zurückdrehen beim Klimaschutz. Schon hat die Kommission die Strafzahlungen für die Autohersteller, die die Flottengrenzwerte nicht erfüllen, ausgesetzt. Weitere Rückschritte müssen verhindert werden.

Sicherheit ist nicht nur Militär

Wer wirkliche Sicherheit und Resilienz will, muss langfristig planen, und das bedeutet faire Verträge für – nicht gegen – den globalen Klimaschutz. Ohnehin müssen wir den Sicherheitsbegriff größer denken. Zumal die aktuell diskutierten Militärausgaben (drei Prozent des BIP) die Investitionen, die für Klimaneutralität nötig sind (0,4-0,7 Prozent des BIP), geradezu zum Schnäppchen machen.

Wir Grüne sind nicht Opposition um der Opposition willen, wie manch andere Partei. Genauso wenig sind wir immer Regierung oder „Regierung im Wartestand“. Gerade die Klimabewegung 2020 hat gezeigt, dass Veränderung nicht nur im Parlament stattfindet. Eine Bewegung braucht kein Zentrum.

Stattdessen bleiben wir Grüne der Ort, wo sich alle treffen, die protestieren und gleichzeitig gestalten wollen. Das sage ich als Abgeordnete aus einem Wahlkreis, in dem ich weiter mit der ganzen breiten Mitte der Gesellschaft im Dialog bleiben will – vom konservativen Brauer bis hin zur linken Studentin.  

Gemeinsam werden wir protestieren gegen den drohenden Ausverkauf der liberalen Demokratie und ihrer Werte. Und wir werden alles dafür tun, den Mehltau der angeblichen Alternativlosigkeit abzustreifen – für eine kluge, progressive und verantwortungsvolle Politik. Dafür lohnt es sich mutig, zu sein, denn unser schlagendes Herz sind unsere Werte.

Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete für die Grünen. Dieser Text erscheint auch als Antwort auf den Gastkommentar von Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky. Seinen Text lesen Sie hier.

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