zum Hauptinhalt
Sieger an der Elbe: Mit Olaf Scholz wird Hamburg wieder rot.

© dapd

Wahl-Reportage: Hamburg: Am roten Mehr

In Hamburg haben öfter Trends begonnen, aus denen nichts wurde: Schill-Partei und Statt-Partei. Nun steigt die SPD mit Olaf Scholz wieder zur stärksten politischen Kraft auf. Was sagt das über die Stimmung im Land?

Von

Wenn dieser Tage von Olaf Scholz die Rede war, hat selten das Beiwort „Politprofi“ gefehlt. Profis sind aber auch nur Menschen. Am Sonntag wirft der Profi Scholz in Hamburg-Altona im Klassenraum der 2b der Staatlichen Gewerbeschule Energietechnik seinen Wahlzettel in die Urne. Es war nicht ganz einfach, das Wahlgeheimnis förmlich zu wahren, weil jeder von den Kameraleute und Fotografen es darauf angelegt hat, dem historischen Moment nahe zu sein. Die Wahlleiterin muss auf ihren Tisch steigen und den Zeigefinger heben und rufen: „Hallo, da dürfen Sie aber nicht reingucken!“ Dabei kann sich eh jeder denken, dass der SPD-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl in Hamburg mit seinen 20 Stimmen überwiegend seine Frau wählt, weil Britta Ernst SPD-Abgeordnete in der Bürgerschaft ist. Bis dahin ist das alles also völlig professionell. Bis einer wissen will, wie er sich fühlt. Das sei, entschlüpft es Scholz, „ein sehr emotionaler Moment, in dieser Stadt, in der ich aufgewachsen bin, Bürgermeister zu werden“.

Andererseits – wenn etwas an diesem Wahltag tatsächlich schon um kurz nach elf Uhr fest steht, dann das. Ob er sogar alleine wird regieren können oder einen Partner braucht, kann Olaf Scholz erst später wissen – die ersten Prognosen lassen eine absolute Mehrheit möglich scheinen, aber das neue Wahlsystem mit den besagten 20 Stimmen verzögert die Auszählung. An der Kernbotschaft zum Auftakt des Superwahljahrs ändert das nichts: Die SPD ist mal wieder da, und sie trägt dabei das rundlich zerknautschte Gesicht eines Mannes, der trotz einer imposanten Reihe politischer Ämter vom größeren Publikum bisher eher als Apparatschik der zweiten Reihe wahrgenommen worden ist. Auch das will er ändern. Der Erste Bürgermeister gedenkt sich in die Bundespolitik einzumischen. Die Sozialdemokratie, hat er schon im Wahlkampf gesagt, müsse wieder „Machtperspektive“ ausstrahlen.

Was die Perspektive speziell des Olaf Scholz angeht, wird darüber noch zu reden sein. Was die Macht angeht – nun ja. Man muss nicht Christoph Ahlhaus heißen oder Angela Merkel, muss also nicht qua Parteibuch zu den brutal gedemütigten Verlierern dieses Sonntags gehören, um die Bedeutung der Freien und Hansestadt Hamburg für den Rest der Republik für normalerweise eher überschätzt zu halten. An der Elbe haben schon öfter Trends angefangen, aus denen dann doch nichts wurde. Schill-Partei, Statt-Partei, all diese Klübchen aus der Frühgeschichte des Wutbürgers – als Menetekel einer neuen rechten Partei gelesen, längst wieder verschwunden.

Oder nehmen wir zum Beispiel Schwarz-Grün. Als es Ole von Beust 2008 gelang, mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) eine Regierung zu bilden, lief das Bündnis gleich als „erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene“. Formal war das richtig. Aber gerade die ernsthaften Schwarz-Grün- Freunde in der CDU warnten damals schon davor, den norddeutschen Bund als Vorboten zu verklären. Sie kannten ihren Ole. Als der Mann von heute auf morgen die Politik aufkündigte und sich endgültig nur noch dem Privatleben widmete, war keiner wirklich überrascht.

Die Folgen sind bekannt. Nachfolger Ahlhaus, ein umgänglicher Konservativer aus Heidelberg und also für die hanseatische Gesellschaft dreifach unmöglich, war dem komplizierten Balanceakt nicht gewachsen. Außerdem hatte der Wutbürger gerade per Volksentscheid die Schulreform gekippt, wichtigstes, aber auch letztes großes Gemeinschaftsprojekt. Dazu kamen bundesweite Umfragerekorde für Grün – die GAL fand den Zeitpunkt richtig, ihrerseits zu kündigen. Ob sich das ausgezahlt hat, gehört zu den Fragen, für die die künftigen Hamburger Verhältnisse dann doch eine gewisse bundesweite Signalwirkung haben. Das Hoch für die SPD wie das Tief für die CDU sind lokale Ereignisse. Sie werden nicht zum Trend dadurch, dass im Berliner Willy-Brandt-Haus vielleicht einige „Jetzt gehts lo-os“ rufen werden, sobald die ersten Prognosen auf den Bildschirmen erscheinen. Sie werden auch nicht zum Vorboten einer Katastrophenserie, wenn ein paar Kilometer weiter im Konrad-Adenauer-Haus alle murmeln werden, das sei furchtbar, doch los gehe es erst in Baden-Württemberg Ende März.

Aber ob und wie eine grüne Partei den ersten Realitätstest besteht – das bleibt politisch-psychologisch nicht ganz folgenlos. Anja Hajduk wird das klar gewesen sein, als sie sich am Morgen vor einer Turnhalle in Winterhude in der Wählerschlange bescheiden hinten anstellt. Fast wäre die GAL-Spitzenkandidatin in ihrem schwarzen Mantel in der Winterkälte unbemerkt geblieben. Mit knapp unter zehn Prozent ist Hajduk 2008 das Bündnis mit von Beust eingegangen. Bis zu 15 Prozent haben die Demoskopen der GAL vorher eingeräumt, was zwar Rekord wäre, aber nicht so viel mehr als die fast 14 Prozent von 1997. Die ersten Trends am Sonntag sind unklar, teils drüber, teils drunter. Wenn Scholz’ SPD einen Partner braucht, wäre die bescheidene Wählerin Hajduk wohl wieder mit von der Partie, diesmal Rot-Grün. Aber es geht auch um ein Signal ins Land hinaus. Der Traum der Grünen von der dritten Volkspartei braucht Nahrung, wenn er nicht enden soll.

Bei der FDP sind sie, was das angeht, seit der Bundestagswahl sehr viel bescheidener geworden. In Hamburg heißt die Frage, noch bescheidener: rein oder raus. Neu ist die weiß Gott nicht. Die Freien Hanse-Demokraten schwanken seit Jahrzehnten zwischen Rein und Raus. Den Bedarf an Liberalität decken an Elbe und Alster traditionell die drei anderen Parteien ab, den Bedarf an Protest die Schillernden. Und so hat es seine innere Logik, dass die FDP diesmal schlicht auf das Modell Lena setzt: Jung, unverbraucht bis hin zum leicht Unprofessionellen – Katja Suding.

Schafft sie es, und das wird man wohl sicher erst spät am Abend wissen, dann wird außer Scholz noch einer eine Machtperspektive aus dem Wahltag ziehen. Guido Westerwelle braucht dringend einen Erfolg – ach was: einen, zwei, viele! Jeder halbe Prozentpunkt über der Fünf reicht dem FDP-Chef, um jene tiefste Krise seiner Partei für überwunden zu erklären, an der ihm die eigenen Truppen nach wie vor die Hauptschuld zuschieben. Er wäre nicht gerettet; auch für Westerwelle liegt die Nagelprobe in der Hand der Schwaben, Badener und Württemberger. Aber er wäre stabilisiert. Und wenn es nicht reicht – dann ist Hamburg halt auch für die FDP so richtig wichtig nicht gewesen.

Ein schwieriger Wahltag also, für fast alle. Außer für Scholz. Als der am Vormittag in sein Wahllokal gestapft ist, waren das nur ein paar Schritte von daheim in Altona, quer durch eine Grünanlage. Er wolle jetzt erst mal Hamburg „ordentlich regieren“, hat er den Bürgern seiner Stadt versprochen. Und dabei wird er nebenbei mit ganz genau dem gleichen Ordnungssinn sein Gewicht in der Bundes-SPD ausbauen, leise, nüchtern, systematisch. Es ist ja kein Zufall, dass er bei allen Personalentscheidungen der letzten Jahre entscheidend an den Strippen mit gezogen hat. Als einer übrigens, der Gerhard Schröders Agenda-Politik nicht nur getragen hat, weil er das als Generalsekretär musste. Vor allem aber als einer, der warten kann. Bei der Kanzlerkandidatur 2013, vermuten sie in der SPD, wird man von ihm noch nichts hören. Erst wenn er irgendwann mit der Prinz-Heinrich- Mütze herumläuft, die ein gewisser Helmut Schmidt früher gerne trug.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false