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Handel mit Schädeln aus der Kolonialzeit: Bundesregierung will aktuell kein Verbot
Im Internet und in Auktionshäusern werden menschliche Überreste verkauft, die Deutschland sich vor 120 Jahren gewaltvoll aneignete. Die Ampel wollte das verbieten – doch die neue Regierung sieht das anders.
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Rund 17.000 menschliche Überreste aus der Kolonialzeit, vor allem Schädel, befinden sich in deutschen Museen und Sammlungen. Teils stammen sie von Menschen, die von deutschen Kolonialherren ermordet wurden; teils sind sie wertvolle, kunstvoll verzierte Kultgegenstände, die in der Kolonialzeit aus Kultorten oder Gräbern geraubt wurden.
Für die Deutschen waren die Schädel Kriegsbeute, Prestigeobjekt oder begehrter Gegenstand für die um 1900 verbreitete sogenannte Rassenforschung. Für die Beraubten ging mit den Überresten ihrer Ahnen hingegen oft ein wichtiger Bezug zu ihrer Geschichte und kulturellen Identität verloren.
Ruprecht Polenz (CDU) ist der Sondergesandte der Bundesregierung für die Aussöhnung mit Namibia, wo deutsche Kolonialtruppen ab 1904 einen Völkermord an den Herero und Nama verübten. In seinen Gesprächen habe er immer wieder gespürt, wie groß die Bedeutung der verschleppten menschlichen Überreste für die Menschen dort ist. „Einen angemessenen Umgang mit dem Tod zu finden, gehört zum Menschsein dazu – ich glaube in Namibia noch stärker als bei uns“, sagt er dem Tagesspiegel.
Man darf diese Ahnenschädel nicht verkaufen! Sie sind heilig, unser Vermächtnis.
Peter Kimpa aus Papua-Neuguinea fordert die Gebeine seinen Vorfahren zurück.
Anders als bei den staatlichen Stellen ist völlig unklar, wie viele menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten sich in privater Hand befinden. Wie das NDR-Politikmagazin „Panorama“ im vergangenen Jahr recherchierte, scheint es für sie auch einen blühenden Markt zu geben – im Internet und teils auch in Aktionshäusern.
Im Internet werden menschliche Schädel gehandelt – Einschusslöcher kosten extra
Die NDR-Reporter fanden zahlreiche Verkaufsanzeigen für Schädel auf der Plattform Instagram und dokumentierten etwa den Verkauf eines Ahnenschädels aus Papua-Neuguinea in einem Würzburger Auktionshaus. Auch dort unterhielt Deutschland bis 1914 eine Kolonie, das sogenannte Kaiser-Wilhelms-Land.
Peter Kimpa, ein Nachkomme der damals Beraubten, sagte dem NDR, er erinnere sich, wie sein Großvater ihm von der Ankunft der Deutschen erzählte. Er sei sehr aufgebracht gewesen. „Als sie mit dem Schiff kamen und alle Schädel mitnahmen, hatten unsere Großväter Angst.“ Sie hätten sich nicht wehren können. Dass der Schädel seines Vorfahren nun in Würzburg versteigert werden, findet Kimpa empörend. „Man darf sie nicht verkaufen! Diese Ahnenschädel sind heilig, unser Vermächtnis“, sagte er dem NDR.
Als Reaktion auf die Recherche kündigte die Grünen-Politikerin Katja Keul, damals Staatsministerin in Annalena Baerbocks Auswärtigem Amt, ein Verbot den Handel mit menschlichen Überresten an. Die Situation sei „inakzeptabel“, sagte Keul damals.
Tatsächlich ist der Besitz von menschlichen Überresten in Deutschland nicht verboten. Auch Handel mit ihnen ist im Regelfall erlaubt. Zwar verbietet Paragraf 168 des Strafgesetzbuches die Störung der Totenruhe, doch auch dieser Straftatbestand greift nicht für den Handel, sondern nur für den ursprünglichen Grabraub. Der ist jedoch lange verjährt, die Schuldigen längst tot.
Auch auf den Vorwurf der Hehlerei, also dem Weiterverkauf von Diebesware, können sich Gerichte in der Regel nicht berufen. Die Rechtslage ist komplex und ihre Interpretation umstritten, denn nur unter bestimmten Umständen werden Leichenteile juristisch als Sachen angesehen, die sich überhaupt stehlen lassen. Und dann lässt sich ein Diebstahl im konkreten Einzelfall nach 120 Jahren auch meist kaum noch nachweisen.

© Mike Wolff
Die Regeln für pflanzliche und tierische Überreste sind teils deutlich strenger. Dies führt mitunter zu kuriosen Situationen: So dürfen einige verzierte Ahnenschädel in Deutschland nicht gehandelt werden – aber nicht wegen kolonialer Verbrechen, sondern wegen der darauf zum Schmuck angebrachten Muschelschalen, für die Artenschutzregeln gelten.
Regierung will aktuell keine strengeren Regeln
Keuls Pläne, die durch das vorzeitige Ende der Ampelregierung liegen blieben, scheint das inzwischen CDU-geführte Auswärtige Amt allerdings nicht länger zu verfolgen. In den Antworten auf eine Kleine Anfrage der Grünen, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, die Bundesregierung lägen keine Erkenntnisse über den Umfang des Handels mit menschlichen Gebeinen aus kolonialen Kontexten vor.
Gefragt nach etwaigen Regelungslücken heißt es in den Antworten, die Bundesregierung verfolge die Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksam und „würde, sofern erforderlich, Maßnahmen ergreifen“. Anscheinend sieht man dies, anders als noch die Vorgängerregierung, für aktuell nicht erforderlich.
Der Schutz der Menschenwürde endet nicht mit dem Tod.
Grünen-Politikerin Awet Tesfaiesus fordert sich strengere Regeln für den Umgang mit menschlichen Überresten.
Die Grünen zeigen sich darüber empört. „Solange die Bundesregierung nicht weiß, in welchem Umfang menschliche Gebeine aus kolonialen Kontexten gehandelt werden, bleibt unklar, wie sie dieses Thema verantwortungsvoll angehen will“, sagte Awet Tesfaiesus, die die Anfrage gestellt hat, dem Tagesspiegel.
Der Schutz der Menschenwürde ende nicht mit dem Tod, sagt sie unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Deutschland sei verpflichtet, menschliche Gebeine als Ausdruck von Respekt gegenüber den Betroffenen zu schützen. „Wir fordern daher eine umfassende Bestandsaufnahme sowie klare gesetzliche Regelungen, die die Würde der Verstorbenen und ihrer Nachfahren sicherstellen“, so Tesfaiesus.
Wenn es rechtliche Schlupflöcher geben sollte, dann müssen diese sofort geschlossen werden.
Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Namibia, Ruprecht Polenz, fordert die Bundesregierung zum Handeln auf.
Auch der Sondergesandte Polenz ist erschüttert über die Vorstellung, dass mit menschlichen Gebeinen im Netz Handel getrieben wird. „Ich finde das makaber, dekadent und völlig verantwortungslos“, sagt er.
Die Haltung der Bundesregierung ist für ihn unbefriedigend: „Dieser Handel muss unterbunden werden. Man kann nicht sagen, man beobachtet das und greift dann vielleicht irgendwann mal ein.“ Wenn es rechtliche Schlupflöcher geben sollte, sagt Polenz, dann müssten diese sofort geschlossen werden.
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