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Staatsverschuldung und Inflation betreffen vor allem junge und arme Menschen.

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Hohe Staatsschulden, hohe Inflation: Junge und arme Menschen sind die Verlierer der Krise

Beim Thema Steuererhöhung mauern die Liberalen. Sie fürchten den Vorwurf, Umfaller zu sein. Doch Dogmen sind kein Ersatz für politische Vernunft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Was ist gerecht? Diese uralte Frage ist erneut brisant. Zwei Entwicklungen geben Anlass zur Sorge. Da ist zum einen eine Staatsverschuldung, deren Ausmaße schwindelig machen. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, 200 Milliarden für den Klimaschutz, 30 Milliarden für die Hochwassergebiete, mehr als 100 Milliarden für Coronahilfen, 15 Milliarden als Entlastung für hohe Energiepreise.

Das ist eine unvollständige Liste, und nicht alle Ausgaben belasten das aktuelle Haushaltsjahr. Noch unklar ist, wie hoch die Kosten für die Unterbringung und Versorgung der geflüchteten Ukrainer sind.

Nur notorische Optimisten können davon ausgehen, dass auf jede Krise Wachstum folgt, Schulden durch höhere Einnahmen automatisch abgebaut werden. Klima, Corona und Krieg, Lieferengpässe, Getreideknappheit, Absatzprobleme, Energiepreisspirale: An die Kurzlebigkeit der sich überlappenden Krisen zu glauben, ist naiv. Von Erholungskräften auszugehen, die bald wieder walten werden, grenzt an Realitätsausblendung.

Wie schon beim Klima akzentuiert die hohe Staatsverschuldung das Thema der Generationengerechtigkeit. Dürfen jetzt lebende Menschen sich eine fast unbegrenzt wirkende Freiheit zum Schuldenmachen nehmen, wenn sie dadurch die Gestaltungsmöglichkeiten der kommenden Generationen drastisch einschränken?

Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2021 das deutsche Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Zur Begründung hieß es, zu viele CO-2-Reduktionen würden in die Zukunft verlagert. Das verletze Freiheitsrechte künftiger Generationen. Der Gerechtigkeitsgrundsatz, der in diesem Beschluss zum Ausdruck kommt, ist relevant weit über den Klimaschutz hinaus.

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Zum zweiten besorgt die Preisentwicklung, die Inflation. Sie liegt aktuell bei 7,3 Prozent, das ist im Vergleich zum Vorjahr der höchste Anstieg seit 40 Jahren. Ob Gemüse, Butter, Blumen oder Benzin: Alles wird stetig teurer – und zwar dauerhaft, wie Ökonomen betonen. „Wir werden ärmer werden“, prophezeit auch Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Das wiederum vergrößert die soziale Ungleichheit. Wer arm ist und noch ärmer wird, gerät in Existenznot. Wer reich ist und etwas ärmer wird, muss vielleicht die Besatzungszahl seiner zweiten Yacht reduzieren. Dieselbe Inflationsrate hat sehr verschiedene Folgen.

Gerecht ist es nicht, jeden gleich zu behandeln

Die Bundesregierung hat mit ihrer Energiepreispauschale das Gerechtigkeitsproblem verschärft. Kleine Rentner bekommen nichts, trotz zunehmender Altersarmut. Gering- und Spitzenverdiener erhalten denselben Betrag, trotz ohnehin großer Einkommenskluft in Deutschland. Gerecht ist es nicht, jeden gleich zu behandeln. Das negiert Differenzen.

Staatsverschuldung und Inflation betreffen vor allem junge und arme Menschen. Sie müssen daher vorrangig in den Fokus der Politik geraten. In Bezug auf die Inflation bedeutet das weitere Entlastungs- und Subventionsprogramme, diesmal aber nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nach Bedürftigkeit.

Ein Top-Manager verdient das Hundertfache einer Pflegekraft

Auf die regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP kommt folglich ein heikles Thema zu: Steuererhöhungen. Da mauern die Liberalen eisern. Sie fürchten den Vorwurf, Umfaller zu sein. Doch Dogmen sind kein Ersatz für politische Klugheit.

Ein Beispiel: Der Top-Manager eines Großunternehmens verdient ungefähr das Hundertfache einer Pflegekraft auf der Corona-Intensivstation. Ist es zu viel verlangt, wenn sich das obere ein Prozent der Bevölkerung etwas stärker an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligt als bisher?

Wenn in einer multiplen Krise wie dieser die Spaltung der Gesellschaft droht, geraten extrem hohe Vermögen – ob durch Herkunft, Leistung oder Glück erworben – unter Rechtfertigungsdruck. Das Gerechtigkeitsverlangen will befriedigt werden. Sozialdemokraten ist Gerechtigkeit traditionell ein Herzensanliegen. Sie sollten sich schleunigst auf diese Tradition besinnen.

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