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Höhnische Posts in sozialen Netzwerken: Bundesweite Fahndung nach flüchtiger Rechtsextremistin Liebich
Der Neonazi, inzwischen als Marla-Svenja Liebich bekannt, hat sich einer Haft im Frauengefängnis Chemnitz entzogen. Die Fahndung läuft. Nun gibt es eine Flut von X-Posts – mutmaßlich von Liebich.
Stand:
Im Juli 2023 war Sven Liebich wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren ohne Bewährung verurteilt worden – damals noch als Mann.
Durch eine einfache Erklärung in einem Standesamt in Sachsen änderte Liebich Ende 2024 auf Grundlage des neuen Selbstbestimmungsgesetzes Geschlecht und Vornamen und gilt jetzt offiziell als Frau. Die Haftstrafe sollte Marla-Svenja Liebich deshalb im Frauengefängnis Chemnitz absitzen – allerdings trat sie diese am Freitagabend nicht an.
Nun suchen Polizei und Staatsanwaltschaft nach der 54-jährigen Rechtsextremistin. Gegen sie wurde ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Gefahndet wird zunächst deutschlandweit, teilte die Staatsanwaltschaft am Sonntag der Agentur dpa mit.
Demnach gibt es eine Ausschreibung in den polizeilichen Suchsystemen. Außerdem werde unter anderem geprüft, wo Liebich zuletzt wohnte und mit wem sie Kontakt hatte.
Der Geschlechterwechsel scheint hier eindeutig ein Missbrauchstatbestand zu sein.
Alexander Dobrindt, Bundesinnenminister (CSU)
Meldungen in sozialen Netzwerken, wonach sich Liebich im Ausland aufhalte, bezeichnete die Staatsanwaltschaft als reine Spekulation. Genaue Angaben zur Fahndung könnten aus ermittlungstaktischen Gründen nicht gemacht werden.
Verfassungsschutz nannte Liebich bereits namentlich im Jahresbericht
Liebich ist seit Jahrzehnten in der extremen Rechten in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus aktiv. 2002 wurde Liebich erstmals in einem Bericht des Verfassungsschutzes des Landes Sachsen-Anhalt namentlich geführt.
Auf rechtsextremen Demos wütete Liebich gegen „Gender-Gaga“ und „linksgrüne Ideologie“, so die „Bild“. Vor der Änderung des Geschlechtseintrags hatte Liebich queere Menschen noch als „Parasiten der Gesellschaft“ bezeichnet. Es wird spekuliert, dass sich Liebich durch die Aktion über das neue Gesetz lächerlich machen und Behörden vorführen will.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) warf Liebich jüngst einen Missbrauch der neuen Regelungen vor und forderte Änderungen am Gesetz. „Der Geschlechterwechsel scheint hier eindeutig ein Missbrauchstatbestand zu sein“, sagte er dem Nachrichtenportal „ZDFheute.de“.
Scharfe Kritik am Vorgehen der Justiz
Inzwischen gibt es scharfe Kritik an den Behörden. „Diverse Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden beschäftigen sich seit Jahren mit Liebich und ließen sich dabei immer wieder auch an der Nase herumführen“, sagte die fraktionslose Abgeordnete Henriette Quade, die Mitglied im Innenausschuss des Landtags in Sachsen-Anhalt ist, der Agentur dpa.
„Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wie all diese Behörden nicht erkennen konnten, dass sich Liebich der Haft entziehen würde“, führte Quade aus.
Quade weiter: „Das Justizministerium muss nun dem Landtag wie auch der Öffentlichkeit erklären, wie sich eine Person aus der Neonaziszene, die im Mittelpunkt einer öffentlichen Kontroverse steht, einfach so der Haft entziehen kann.“
Sollte Liebich gefunden werden, könne sie auf Grundlage des Haftbefehls von der Polizei festgenommen und in die JVA gebracht werden, erklärte Oberstaatsanwalt Dennis Cernota der Agentur dpa.
Dass Liebich ihre Haft nicht pünktlich angetreten hat, führe in der Regel auch dazu, dass ihr das Absitzen der Freiheitsstrafe nicht erleichtert wird – etwa durch eine Unterbringung im offenen Vollzug.
Hat sich Liebig ins Ausland abgesetzt?
Am Wochenende gab es auf der Plattform X eine Flut von Nachrichten unter dem Namen Marla Svenja Liebich. Demnach will sich Liebig ins Ausland abgesetzt haben. Das geht aus einer Tonaufnahme hervor, die vor dem Frauengefängnis abgespielt wurde, wie die Polizei dem Portal „Euro.news“ zufolge bestätigte.
Etwa 60 Unterstützer hatten sich demnach vor der JVA Chemnitz versammelt – anlässlich einer „Einzugsparty“, die von Liebich geplant war.
Ein Polizeisprecher sagte zu einer Sprachnachricht beim Portal Telegram: „Darin wird mitgeteilt, dass die Person, die die Haft antreten sollte, sich unpässlich fühlt und in ein Drittland abgesetzt hat.“
Zahlreiche Beiträge auf Liebichs X-Account
Liebich hatte über die Plattform X angekündigt, die Haft am Freitagabend antreten zu wollen. Am Abend selbst wurde dann unter dem Namen Liebichs ein Post abgesetzt.
Darin hieß es: „Das Kunststück eines Zaubertricks: Alle Augen werden auf die Kulisse gelenkt, während das Objekt im Schatten verschwindet. Niemand wusste von meinem Entschluss – kein Anwalt, keine Familie. Was folgt? Ein internationaler Haftbefehl.“ Mitten im Post ist ein Plakat mit der Aufschrift „Liebesgrüsse aus Moskau – James Bond“ und dem Hashtag #runningwoman zu sehen.
In einem anderen Post heißt es: „Ein echter Vorteil: Schon als kleines Mädchen war ich auf einer Schule mit erweitertem Russischunterricht.“ Weiter steht in dem Liebich-Post: „Jetzt merke ich, wie viel davon noch tief im Kopf steckt.“
Die Rechtsextreme postete weiter, sie halte sich „auf dem Boden der Russischen Föderation auf“ und spreche mit „kremlnahen Beamten“. Der Plan demnach: von dort aus Asyl in den USA zu beantragen, wo „Interesse bekundet“ wurde, hieß es.
Darüber hinaus sind auf dem X-Account von Liebich zahlreiche weitere Beiträge zu finden. Darunter sind Antworten auf Posts anderer Nutzerinnen und Nutzer, die sich auf Liebichs Flucht sowie auf Nachrichtenartikel und die deutsche Politik beziehen.
Die Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), hatte dem „Spiegel“ zum Fall Marla-Svenja Liebich gesagt: „Rechten Stimmungsmachern sollte man nicht auf den Leim gehen.“
Sie nutzten alle möglichen Mittel, um die Gesellschaft verächtlich zu machen und Hass und Hetze zu säen. „Wir sind gut beraten, solche extremen Einzelfälle nicht zum Maßstab unseres Handelns zu machen“, so Koch.
Koch verwies auf die Bedeutung der Rechte für trans Personen. „Das Selbstbestimmungsgesetz bedeutet für sehr viele Menschen nicht weniger als gesellschaftliche Teilhabe in Würde – ein Recht, das selbstverständlich sein sollte“, sagte sie. (lem)
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