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Auch die AfD betreibt eine Schmutzkampagne. Wahlwerbung in Wolfsburg gegen die Grünen.

© imago images/Jan Huebner

Negative Campaigning: Im Visier der Manipulatoren

Nach amerikanischem Vorbild: Die Versuche, die Integrität der Bundestagswahlen 2021 zu beschädigen, mehren sich. Ein Gastbeitrag.

Sudha David-Wilp ist stellvertretende Leiterin des Berliner Büros des German Marshall Fund (GMF). David Levine ist der Election Integrity Fellow des GMF in Washington, D.C.

Früher oder später setzen sich unheilvolle Trends, die wir zuerst in den USA beobachten, auch in Deutschland durch. Und obwohl diese Trends hierzulande meist in kleinerem Ausmaß auftreten, sind ihre verräterischen Spuren offensichtlich. Das gilt auch und vor allem für das Thema Wahlkampf. Sei es der neue Hang zur Schmutzkampagne (in den USA unter dem Begriff „negative campaigning“ bekannt), die gegenwärtige Substanzlosigkeit inhaltlicher Diskussionen oder die gefühlte Apathie der Wählerschaft: Auf beiden Seiten des Atlantiks sind viele Parallelen zu beobachten.

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Im Zuge der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 setzten ausländische Akteure Cyberwaffen und Informationsmanipulation ein, um die Integrität des demokratischen Wahlprozesses zu unterminieren und die Wählerschaft zu beeinflussen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 orchestrierten die Angreifer gezielte Manipulationskampagnen, um das Vertrauen in den Wahlprozess zu untergraben, bestimmte Kandidaten zu verunglimpfen und die Spaltung der Wählerschaft zu vertiefen.

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Absicherung gegen die Angriffe

In diesem Superwahljahr gerät Deutschland zunehmend in das Visier von Manipulatoren. Das Wissen um die Ereignisse in den USA kann Deutschland jedoch nutzen, um seine Wahl rechtzeitig gegen derartige Angriffe abzusichern.

Die diesjährige Bundestagswahl ist von großer Bedeutung. Zum ersten Mal seit 1949 steht kein amtierende Kanzler auf dem Stimmzettel, und das Rennen ist so offen wie lange nicht mehr. Ausländische und einheimische Akteure nutzen dies und greifen Themen wie die Corona-Pandemie oder die Gender-, Migrations- und Klimadebatte auf, um durch gezielte Online-Narrative das Vertrauen in die Politik zu untergraben und unliebsame Parteien zu schwächen. Durch die Arbeit des staatlich unterstützten RT Deutsch hat Russland in Deutschland bereits heute einen großen Einfluss.

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Setzt man die Retweets auf Twitter als Vergleichsgröße an, dann zählt der Kanal zu den drei aktivsten Medienorganisationen in Deutschland. Überproportional viel negative Berichterstattung wird dort etwa über Annalena Baerbock ausgestrahlt, eine lautstarke Kritikerin Russlands und des Nord-Stream-2-Projekts. Doch RT Deutsch befeuert auch Themen, die die gesellschaftliche Spaltung vorantreiben.

Hashtag Impfpflicht

Besonders zu nennen ist die Fokussierung auf kontroverse Meinungen zum Coronavirus, welche die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen beschädigen sollen. Nach Angaben der Alliance for Securing Democracy war das Wort „Impfpflicht“ auf russischen Social-Media-Kanälen im Monat Juli der am zweithäufigsten verwendete Hashtag.

Ähnliche Themen wurden zuletzt auch von inländischen Akteuren aufgegriffen, um die Unterstützung für die etablierten Parteien und die deutsche Regierung zu schwächen. So stellte die AfD beispielsweise irreführende Behauptungen über angeblich verpflichtende Impfungen auf. Impfgegner und Regierungsskeptiker verbreiten weiterhin Verschwörungserzählungen, um die Wirksamkeit von Impfstoffen infrage zu stellen.

Vor diesem Hintergrund sollten die deutschen Wählerinnen und Wähler besonders vor manipulierten Nachrichten auf der Hut sein – und die Wahlbehörden müssen ihren Teil dazu beitragen, einen reibungslosen Ablauf der Wahl zu gewährleisten. Denn eine Wahl, die nicht wie geplant verläuft, wäre noch leichter zu beeinflussen.

Zwar herrscht in Deutschland weiterhin großes Vertrauen in die Integrität des Wahlprozesses. Als Garantie für eine reibungslose Durchführung der bevorstehenden Wahlen sollte das jedoch nicht verstanden werden. Nicht umsonst stellte das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) zuletzt in einem Bedarfsbericht die besorgte Frage, wie Deutschland mit einem möglichen Anstieg der Briefwählerstimmen umzugehen gedenke.

Attacke auf die Integrität

Denn in diesem Fall könnten vorherige Versuche der AfD, die Integrität des Wahlprozesses mit unbegründeten Behauptungen in Zweifel zu ziehen, Früchte tragen und Wählerinnen und Wähler dem Narrativ der leicht manipulierbaren Briefwahlstimme zum Opfer fallen. Eine Lüge, deren sich 2020 bereits Donald Trump bediente, um die Briefwahl als legitimes Instrument der Stimmabgabe zu diskreditieren.

Die gute Nachricht ist, dass die deutschen Wahlbehörden über umfangreiche Erfahrungen mit Briefwahlen verfügen. Bereits 2017 haben fast 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler per Brief abgestimmt und die Behörden sind sich der Möglichkeit eines erneuten Anstiegs dieser Zahl bewusst. Trotzdem wird es für die Behörden von zentraler Bedeutung sein, nach bestem Wissen und Gewissen über den Wahlprozess zu informieren und sicherzustellen, dass jederzeit alle Möglichkeiten der Stimmabgabe zugänglich bleiben. Gut geplante und durchgeführte Wahlen haben einen direkten Effekt auf die wahrgenommene Legitimität des Wahlprozesses.

Anders als im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl 2016 überrascht es heute niemanden, dass Deutschland Ziel von Manipulationskampagnen und ausländischer Einflussnahme ist. Der Europäische Auswärtige Dienst stellte bereits im März 2021 fest, dass Deutschland der Hauptfokus russischer Desinformationskampagnen in der EU ist. Laut einer Forsa-Umfrage sorgen sich zudem bereits heute 82 Prozent der Deutschen um die Manipulation von Daten und Informationen.

Ein Mittel gegen diese Unsicherheit ist, den Wahrheitsgehalt von Informationen zu prüfen oder sich dabei auf vertrauenswürdige Institutionen zu verlassen. In Deutschland kommt diese Rolle auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu.

Wachsende Skepsis in der Bevölkerung

Doch dieser sieht sich – zum Teil auch aufgrund gezielter Angriffe aus- und inländischer Akteure – mit wachsender Skepsis in der Bevölkerung und Vorwürfen der Parteilichkeit konfrontiert. Darüber hinaus gibt es aber auch andere Organisationen, wie das Recherchezentrum Correctiv, die sich der Überprüfung von Fakten und der Verifizierung von Informationen verschrieben haben. Deren Ressourcen können von Wählerinnen und Wählern genutzt werden, um sich besser über Wahlinhalte zu informieren.

Trotzdem wird es unerlässlich sein, dass sich Deutschland auf weitere Einmischungen und Manipulationen vorbereitet. Denn das Bonmot „Nach der Wahl ist vor der Wahl“ gilt auch für die Zeit nach dem 26. September. Im Gegensatz zu vielen amerikanischen Wahlbezirken verlässt man sich in Deutschland weiterhin ausschließlich auf Papierstimmzettel.

Diese Methodik erschwert eine direkte Beeinflussung und sorgt dafür, dass die Behörden jederzeit über eine Papierspur verfügen, um Unregelmäßigkeiten zu verfolgen und eine ordnungsgemäße Auszählung der Stimmen zu gewährleisten.

Angesichts des voraussichtlich engen Wahlergebnisses und der offenen Regierungsfrage werden Kräfte innerhalb und außerhalb des Landes jedoch auch nach der Wahl und insbesondere während der Koalitionsgespräche weiterhin versuchen, Einfluss auf die Positionen der Parteien zu nehmen und das Vertrauen in die Regierung und in die Demokratie im Allgemeinen zu beschädigen.

Sudah David-Wilp, David Levine

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