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Landwirtschaftsminister Özdemir bekommt die angespannte Lage in der Ernährungswirtschaft zu spüren.

© dpa/Marijan Murat

Betriebe kämpfen ums Überleben: „Putin wird nicht darüber entscheiden, wer bei uns Brötchen backt“

Landwirte, Bäckereien und Fleischverarbeiter haben unter den hohen Energiekosten zu leiden. Die Branche erwartet von Agrarminister Cem Özdemir schnelle Entlastungen.

Benjamin Meise hat Glück gehabt. Mit seinem Stromanbieter hat der 42-jährige Landwirt einen Dreijahresvertrag abgeschlossen, der auch über das Jahresende hinausreicht.

Der Milchviehhalter aus dem brandenburgischen Buchholz muss also anders als viele seiner Berufskollegen nicht mit einer Erhöhung der Strompreise rechnen, welche die prekäre Lage vieler Betriebe noch weiter zu verschärfen droht. Aber trotzdem sagt er: „Es ist schwierig, in diesen Tagen optimistisch zu bleiben.“

Nicht nur die hohen Strompreise machen den Landwirten seit dem Beginn des Ukraine-Krieges zu schaffen. Sprit, Gas, Dünger – alles ist teurer geworden. Auch die Preise fürs Tierfutter sind gestiegen. Das hat dazu geführt, dass der Direktvermarkter Meise den Kostendruck in Form höherer Preise an die Kundinnen und Kunden weitergeben musste.

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Albert Stegemann (CDU), der agrarpolitische Sprecher der Unionsfraktion, rechnet für die nächsten Monate mit weiteren Preissteigerungen bei Lebensmitteln. „Wir müssen deshalb das Angebot an Nahrungsmitteln ressourceneffizient steigern“, sagte er dem Tagesspiegel.

Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) müsse sich „endlich von grünen Ideologien lösen und Vorfahrt für die Ernährungssicherung geben“, forderte er. Jetzt sei nicht „die Zeit für pauschale Verbote von Pflanzenschutzmitteln, den Abbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung und nationale Alleingänge“.

Neben den Landwirten leidet die gesamte Ernährungsbranche unter den hohen Energiepreisen. Bäckereien, Fleischverarbeitungs- und Mühlenbetriebe sowie Firmen aus der Milchwirtschaft gehören zu den Unternehmen, die mit den Gas- und Stromtarifen zu kämpfen haben.

Zwar beruhigt es die Situation, dass eine sogenannte Gas-Mangellage, bei der nicht mehr alle Unternehmen wie bisher mit dem Rohstoff beliefert werden könnten, nach derzeitigem Stand nicht zu befürchten ist. Ohnehin hat Özdemir bereits klargestellt, dass die Ernährungsbranche systemrelevant sei und demzufolge nicht mit Kürzungen bei den Gaslieferungen rechnen müsse.

Bäckereibetriebe leiden unter Inflation

Dennoch bekam der Minister jüngst die Sorgen der Lebensmittelbranche zu spüren, als er deren Vertreter ins Ministerium einlud, darunter auch den Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Für etliche Bäckereibetriebe, die ihre Öfen mit Gas heizen, haben sich die Energiekosten seit dem Beginn des Ukraine-Krieges verdreifacht.

Deshalb geht der Entwurf der von der Ampel-Koalition geplanten Härtefallregelung den Verbandsvertretern der Bäcker nicht weit genug. Die vorgesehene Regelung, der zufolge mit zusätzlichen Hilfen über die Gas- und Strompreisbremse hinaus erst bei einer Vervierfachung der Energiepreise zu rechnen ist, kommt für einige Betriebe nach Angaben des Zentralverbandes einer „Katastrophe“ gleich.

Putin wird nicht darüber entscheiden, wer bei uns Brötchen backt und wer nicht.

Cem Özdemir, Landwirtschaftsminister

Russlands Präsident Wladimir Putin werde „nicht darüber entscheiden, wer bei uns Brötchen backt und wer nicht“, sagte Özdemir dem Tagesspiegel. Die Gas- und Strompreisbremse, von der auch das Lebensmittelhandwerk profitiere, diene auch dazu, „nicht alle Kostensteigerungen an die Kunden weiterreichen zu müssen“, sagte er weiter.

„Energieversorgung konsequent auf Erneuerbare umbauen“

Zur Ehrlichkeit gehöre allerdings auch, „dass kein Hilfspaket die Folgen des Krieges ungeschehen machen kann“. Deshalb sei es richtig, „dass wir uns unabhängig von russischem Gas machen und unsere Energieversorgung konsequent auf erneuerbare Energien umbauen“, sagte der Grünen-Politiker.

Für Bäckereibetriebe, die bei der Gas- oder Stromversorgung nicht über einen komfortablen Drei-Jahres-Vertrag verfügen und zur Jahreswende bei der Umstellung ihrer Kontrakte noch einmal mit einem erheblichen Preisschub rechnen müssen, geht es unterdessen ums blanke Überleben. Oftmals dürfte solchen Familienbetrieben keine andere Wahl bleiben, als steigende Kosten fürs Gas an die Kunden weiterzugeben – oder in die Insolvenz zu gehen.

„Inflationsrate dürfte nicht noch weiter anziehen“

Jan-Christopher Scherer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht zwar nicht davon aus, dass es bei den Lebensmitteln noch einmal derartige Preissprünge geben wird wie im vergangenen Frühjahr. Dennoch werden nach seiner Einschätzung zum Jahreswechsel Erzeuger aufgrund der häufig anstehenden Anpassung ihrer Energieverträge, insbesondere Strom und Gas, ihre gestiegenen Energiekosten auch zum Teil an die Verbraucher weitergeben.

47
Prozent der Unternehmen in der Ernährungsbranche sind von Insolvenz bedroht, wenn es keine Entlastung gibt.

„Die Inflationsrate dürfte nicht noch weiter anziehen, sie wird allerdings noch einige Zeit auf ihrem derzeitigen hohen Niveau bleiben und erst im Jahresverlauf zurückgehen“, lautet Scherers Prognose. Bei den hohen Energiekosten, die zu den Inflationstreibern gehören, sieht der Experte inzwischen angesichts der Strom- und Gaspreisbremse eine leichte Stabilisierung.

„Diese Maßnahmen begrenzen mögliche Kostensteigerungen in der Zukunft und haben dadurch die Unsicherheit über die weitere Preisentwicklung sowohl bei Unternehmen als auch Verbrauchern deutlich reduziert“, sagte Scherer.

Peter Feller, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), verweist mit Blick auf die schwierige Lage der Branche auf eine im Oktober durchgeführte Befragung unter den Mitgliedsunternehmen.

Demnach hatten 47 Prozent der Unternehmen angegeben, dass sie von einer Insolvenz bedroht seien, wenn es keine Entlastungen gebe. „Die Entlastungen beim Gas- und Strompreis müssen schnellstmöglich kommen“, lautet daher Fellers Urteil.

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