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Eine fiktive Figur kehrt Symbole unter einen Teppich.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Scheider | Getty Images, imago images (2), freepik

Infrastruktur ist zu wichtig für Parteipolitik: Es braucht andere Strukturen zur Rettung des Notwendigen

Schienen, Straßen, Brücken gehen kaputt, und die Sanierung wird verschleppt. Das nervt die Bevölkerung, lähmt die Wirtschaft und offenbart einen Fehler im System.

Jana Kugoth
Ein Kommentar von Jana Kugoth

Stand:

Es hätte keiner Fußball-EM bedurft, um dies klarzumachen: Die Deutsche Bahn kommt zu selten pünktlich, die Schienen machen Probleme. Aber ein toller Tusch mit internationalem Echo war es allemal.

Dem nicht genug: Auch die Straßen sind oft Trauerfälle. 8000 Autobahnbrücken gelten als marode, 7112 Autobahn-Kilometer sind sanierungsbedürftig, 2017/18 waren es „nur“ 5797 Autobahn-Kilometer. Was kaputt ist, wird nicht im nötigen Tempo repariert.

Der Wirtschaftsstandort Deutschland (...) ist durch den fortschreitenden Substanzverzehr der Verkehrsinfrastruktur ernsthaft gefährdet.

Aus einem Bericht der Bund-Länder-Kommission von 2014.

Trauriges Fazit: In Sachen Infrastruktur ist der Verfall längst schneller als die Sanierung. Doch wenn das Parlament demnächst über den Haushaltsentwurf der Ampel-Regierung debattiert, wird es in vielen Punkten wieder nur um Mangelverwaltung gehen. Schließlich muss gespart werden.

Das ist lästig für die Bevölkerung und ein Risiko für die Industrie- und Exportnation Deutschland. Schon 2014 warnte eine Bund-Länder-Kommission in einem Bericht: „Der Wirtschaftsstandort Deutschland (...) ist durch den fortschreitenden Substanzverzehr der Verkehrsinfrastruktur ernsthaft gefährdet.“ Das ist zehn Jahre her.

Warum passiert nichts? Warum steuern Verkehrsminister und Bundesregierung nicht längst oder spätestens jetzt radikal um?

Ein Teil der Antwort findet sich in der Logik des deutschen Politiksystems. Das lässt politisch Handelnde in vier- oder fünfjährigen Wahlperioden denken, während Infrastrukturprobleme viel mehr Zeit brauchen. Wäre es besser, deren Erhaltung den Parteien und deren Interessen zu entziehen und aus den Logiken der Legislaturperioden auszuklammern?

Bauliche Infrastruktur – für Politiker kein attraktives Betätigungsfeld

Gerade bauliche Infrastruktur ist für Politikerinnen und Politiker kein attraktives Betätigungsfeld, weil es letztlich immer nur um Selbstverständlichkeiten geht: dass Straßen, Brücken, Schienen, Internetleitungen heil sind und funktionieren. Ja, was denn sonst?

Hinzukommt, dass sich Investitionsentscheidungen für spürbare Verbesserungen erst nach Jahren auszahlen. Dann ist das Amt in der Regel längst von anderen Personen und Parteien besetzt. Der aktuelle Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) formulierte es kürzlich so: „Im Verkehr können Sie keine schnellen Erfolge erzielen.“ Das ist eine Krux für einen Politiker, der alle vier Jahre wieder zur Wahl steht. 

Um in dem Bestandswartungsministerium dennoch Akzente zu setzen und für Furore zu sorgen, verfallen die jeweiligen Ministeramtsinhaber (zuletzt zwölf Jahre lang von der CDU/CSU gestellt) auf riskante Prestigeprojekte mit Durchsetzungsproblemen.

Andreas Scheuer etwa versuchte, den CSU-Traum des Transrapids wiederzubeleben und investierte mehr als eine halbe Milliarde Euro in Flugtaxis, die bis heute Science-Fiction geblieben sind.

Auch auf Landesebene ist das Furore-Phänomen zu beobachten: Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde outete sich als Fan einer Magnetschwebebahn für die Hauptstadt, obwohl Verkehrsexperten wegen unkalkulierbarer Risiken davon abraten und die akuten Probleme auf Berlins Straßen und Schienen damit nicht gelöst werden.    

Das Deutschlandticket repariert auch keine Schienen

Dass Akzent-Projekte nicht unbedingt Hirngespinste sein müssen, konnte Wissing mit seinem Deutschlandticket belegen. Doch auch das repariert weder Schiene noch Straße, löst also keine der großen Aufgaben in seinem Sektor. 

Trotz der vielen politischen Kurzsichtigkeiten von unterschiedlichen Parteien lief es auf den Straßen und Schienen lange irgendwie doch, aber inzwischen geht die bauliche Infrastruktur bundesweit in die Knie. Es sollte sich also schnell etwas ändern. 

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und sein Akzent-Projekt.

© Imago/Chris Emil Janssen

Wie lässt sich verhindern, dass Politikerinnen und Politiker, insbesondere im Bereich Verkehr, weiter auf kurzfristige Furore-Maßnahmen setzen, statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren?

Lassen sich aktuelle Mechanismen ändern, die sie mit Blick auf Umfragen und Stimmungen agieren und harte Entscheidungen vermeiden lassen?

Auf der politsystemischen Ebene könnte man über die Verlängerung der Legislaturen nachdenken oder über eine Direktwahl für die Besetzung der Ministeriumsleitungen. Die gäbe den Kandidatinnen und Kandidaten die Gelegenheit, der Bevölkerung darzulegen, was sie wie anpacken wollen.

Aber auch auf weniger radikaler Ebene gibt es genug Vorschläge, wie sich Bau und Wartung von Brücken, Schienen und Schleusen neu organisieren ließen. Derzeit ist wieder ein sogenannter Infrastrukturfonds im Gespräch: ein Topf voller Geld, das mehrere Jahre zuverlässig in neue Schienen und Brücken fließt – unabhängig von den jährlichen Haushaltsverhandlungen im Bundestag.

Straße, Schiene, Wasser muss gemeinsam geplant werden

Zudem müssten die großen Bauvorhaben von Straße, Schiene und Wasser endlich zusammen gedacht werden, statt dass es weiterhin Einzelpläne für die unterschiedlichen Verkehrsträger gibt. Koordiniert werden könnte das durch eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft Deutschland, wie sie das Umweltbundesamt in einer Studie 2021 vorgeschlagen hat.

Für die Kontrolle sehen die Autoren ein neu zu schaffendes Bundesamt vor, das unter anderem die von der Gesellschaft eingereichten Investitions- und Zustandsberichte prüft. Solche Organisationsformen könnten mit Sachverstand und unabhängiger von tagespolitischen Mechanismen und Stimmungen agieren.

All diese Maßnahmen könnten auch den Klimaschutz-Turbo zünden und die Weichen für den drängenden Umbau des Mobilitätssystems stellen: Statt einseitig Rabatte für E-Autos zu verteilen oder Busse und Bahnen günstiger zu machen, um in der Gunst der Wählerinnen und Wähler zu steigen, würde in die Zukunft des Landes investiert.

Es ist an der Zeit, die Schwachstellen des aktuellen Systems zu benennen, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Denn die Herausforderungen werden Jahr für Jahr größer.

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