
© IMAGO/HENNING SCHEFFEN
„Inhaltlich in weiten Teilen fragwürdig“: SPD-Abgeordnete distanzieren sich von Stegners „Manifest“
Mit einem Papier bringen Stegner, Mützenich und Co. Unruhe in die Partei. Auf ihre Forderungen nach Abrüstung und Gespräche mit Russland reagieren andere SPD-Politiker mit teils scharfer Kritik.
Stand:
Es ist gewissermaßen ein friedenspolitischer Frontalangriff auf die Linie der schwarz-roten Koalition: Prominente SPD-Politikerinnen und -Politiker fordern eine Kehrtwende in der Außen- und Verteidigungspolitik.
Sie lehnen ein Fünf-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben sowie die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland ab und fordern „nach dem Schweigen der Waffen“ in der Ukraine Gespräche mit Russland.
Das Papier, das den Titel „Manifest“ trägt, entstand im Rahmen des friedenspolitischen Erhard-Eppler-Kreises in der SPD unter der Ägide von dessen Co-Vorsitzendem Ralf Stegner. Erstunterzeichner ist auch der frühere Fraktionschef der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor, zuerst berichtet hatte der „Stern.“
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Das sind die konkreten Forderungen:
- Eine klare Akzentverschiebung in der Ukraine-Politik: „Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität. Auf dieser Grundlage muss der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa.“
- Eine Akzentverschiebung auch in Sachen Aufrüstung: „Europäische Sicherheitspolitik darf sich nicht am Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern muss sich an einer wirksamen Verteidigungsfähigkeit orientieren.“
- In dem Papier heißt es, für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gebe es „keine sicherheitspolitische Begründung“, dies sei vielmehr „irrational“. US-Präsident Donald Trump fordert die 5 Prozent. Ende Mai hatten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ein Modell unterstützt, bei dem bis 2032 diese Marke erreicht werden soll. Dies wäre allerdings aufgeteilt in 3,5 Prozent Verteidigungsausgaben im engeren Sinne und 1,5 Prozent, die im weiteren Sinne sicherheitsrelevant sind, etwa Cyber- und Zivilschutz.
- Die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland wird explizit abgelehnt. Zur Begründung heißt es: „Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen.“ Das SPD-Präsidium hatte die Stationierung hingegen im August 2024 befürwortet.
- Es heißt in dem Papier zudem, es brauche eine „schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland“ sowie „keine Beteiligung Deutschlands und der EU an einer militärischen Eskalation in Süd-Ost-Asien“.
Das sechsseitige Dokument ist explizit als Debattenbeitrag auch für den Bundesparteitag der SPD Ende Juni zu verstehen. Zu den Erstunterzeichnern gehören neben Mützenich und Stegner der frühere Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans sowie die Bundestagsabgeordneten Nina Scheer, Maja Wallstein und Sanae Abdi. Stegner war zuletzt in der Kritik, weil er sich mit hochrangigen Kremlvertretern getroffen hatte.
Bundestagsfraktion und prominente Mitglieder distanziert sich
Die gesamte Liste an Namen umfasst anderthalb Seiten, darunter ist viel Prominenz aus früheren Tagen der SPD, etwa der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel.
In anderen Teilen der Sozialdemokratie distanzierte man sich am Mittwoch von dem Papier. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic, hält es für „inhaltlich in weiten Teilen fragwürdig“. „Es ist nicht Beschlusslage in der Fraktion oder Partei und würde im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden“, sagte der Hannoveraner dem Tagesspiegel. „Die SPD ist eine Friedenspartei und bleibt diese auch, wenn sie klar erkennt, dass es neue Realitäten gibt, die neben Diplomatie auch militärische Stärke bedingen.“
Auch Matthias Miersch grenzte sich von dem Papier ab. „Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wir erleben eine reale Bedrohungslage, auf die wir mit klarer politischer Haltung und massiven Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit reagieren.“
Die Diplomatie bleibe das oberste Gebot. Allerdings seien viele Gesprächsangebote ausgeschlagen worden. „Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden“, so der SPD-Politiker. Miersch gehört wie Mützenich und Stegner der Parlamentarischen Linken, dem linken Flügel der Fraktion, an.

© dpa/Michael Kappeler
Im Seeheimer Kreis sieht man das „Manifest“ als Ausweis für eine „lebendige Debattenkultur“ in der SPD. „Es zeigt einmal mehr, dass wir als Volkspartei und Fraktion Raum für unterschiedliche Meinungen bieten“, sagte Siemtje Möller dem Tagesspiegel. Sie ist stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende für die Bereiche Außen und Verteidigung. Inhaltlich stellte sie klar: „Es liegt allein an Russland als Aggressor, das Sterben in der Ukraine zu beenden.“ Stabiler Frieden brauche Diplomatie, aber auch Abschreckung.
Deutlich schärfer in seiner Kritik äußerte sich der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Michael Roth. „Wer in Zeiten aggressiver Diktaturen wie Russland Frieden auf Abrüstung und Dialog verkürzt, macht nicht Frieden, sondern Krieg wahrscheinlicher“, schrieb Roth auf X. Er bezeichnete das Papier als „deutschen Ego-Trip“ und eine „Ohrfeige“ vor allem für die Ukraine.
Unterzeichner kritisieren Zwang zur Aufrüstung
In dem Papier heißt es, in Deutschland und den meisten europäischen Staaten werde der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg beschworen, „statt notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen“.
Die europäische Sicherheitsordnung sei auch schon vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine immer mehr untergraben worden, auch durch den „Westen“, der im Papier in Anführungsstrichen genannt wird: etwa durch den „Angriff der Nato“ auf Serbien 1999 oder auch durch „eine völlig unzureichende Umsetzung der Minsker Abkommen nach 2014“.
Es brauche daher „nicht einseitige Schuldzuweisungen, sondern eine differenzierte Analyse“. Die Bundeswehr müsse verteidigungsfähig sein, dies müsse aber eingebettet sein in eine „Strategie der Deeskalation und schrittweisen Vertrauensbildung“.
Das Papier steht der Linie der Bundesregierung entgegen. Es kommt für die SPD kurz vor dem Bundesparteitag zudem zu einem heiklen Zeitpunkt. Es ist eine der parteiintern offenen Fragen, wie viel Unterstützung es für diese Linie der Genossen rund um Stegner und Mützenich gibt, die der Auffassung von Verteidigungsminister Pistorius entgegensteht.
- Boris Pistorius
- Bundeswehr
- CDU
- Deutscher Bundestag
- Friedrich Merz
- Krieg in der Ukraine
- Lars Klingbeil
- Russland
- Serbien
- SPD
- Ukraine
- Wladimir Putin
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: