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Internes Gutachten zur Migrationspolitik: Kanzleramt lehnt Merz’ Asylstopp-Plan ab
Der Unionschef fordert, an der Grenze auch Schutzsuchende zurückzuweisen. In der Regierungszentrale ist seit einer juristischen „Auswertung“ im September klar: Das geht nicht.
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Unionschef Friedrich Merz könnte bei seinem Vorhaben, nach seiner Wahl zum Bundeskanzler an den deutschen Grenzen einen Asylstopp durchzusetzen, mit dem eigenen Kanzleramt Probleme bekommen.
Die Regierungszentrale erklärt auf Anfrage, die geforderten Zurückweisungen seien nach einer vorliegenden behördlichen Einschätzung ein Verstoß gegen geltendes Europarecht.
Grundlage dafür ist nach Angaben des Kanzleramts eine interne Auswertung von Urteilen und juristischen Stellungnahmen. Diese sei bereits Anfang September vergangenen Jahres erstellt und seitdem „fortlaufend bearbeitet“ worden.
In den Text eingeflossen seien „einschlägige Rechtsprechung sowie diverse öffentlich verfügbare fachwissenschaftliche Gutachten und Ausarbeitungen“, einschließlich juristische Fachliteratur.
Aus den (. . .) Informationen und Quellen lässt sich (. . .) schließen, dass die geforderten umfassenden Zurückweisungen so europarechtlich unzulässig wären.
Ein Sprecher der Bundesregierung über die interne Auswertung im Kanzleramt
Aus den Quellen lasse sich „insbesondere angesichts der ständigen, sehr restriktiven Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der überwiegenden Auffassung in der Rechtswissenschaft darauf schließen, dass die geforderten umfassenden Zurückweisungen so europarechtlich unzulässig wären“.
Merz hatte Ende Januar im Bundestag über einen Antrag abstimmen lassen, wonach es „Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise“ geben soll. Das „faktische Einreiseverbot“ für Personen ohne gültigen Einreisedokumente gelte „unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern oder nicht“.
Schutzbedürftige seien in den europäischen Nachbarstaaten bereits sicher vor Verfolgung, einer Einreise nach Deutschland bedürfe es somit nicht, hieß es. Der Antrag wurde mit den Stimmen von Union und AfD beschlossen, entfaltet jedoch keine rechtliche Wirkung.
Der Unionschef kündigte damals zudem an, das Bundesinnenministerium unverzüglich „im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers“ anweisen zu wollen, die Staatsgrenzen „dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen“.

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Der Streit geht im Kern darum, ob Asylgesuche von Personen, die über sichere Nachbarstaaten einreisen wollen, zunächst in Deutschland geprüft werden müssen. Die Union lehnt dies ab. Sie setzt darauf, dass bei Zurückweisungen an den deutschen Grenzen die Nachbarstaaten diesem Beispiel folgen würden. Aus ihrer Sicht ist das EU-Asylsystem in seiner bisherigen Form gescheitert.
Entsprechend hatte sich der Unionsantrag darauf berufen, dass nationales Recht vorrangig anzuwenden sei, „wenn europäische Regelungen nicht funktionieren“. So sei es in den EU-Verträgen für außergewöhnliche Notlagen vorgesehen.
Damit beruft sich die Union auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der erlaubt es den Mitgliedsstaaten ausnahmsweise, das Europarecht außer Acht zu lassen, wenn die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ und der „Schutz der inneren Sicherheit“ in Gefahr sind.
Dem Gutachten des Kanzleramts zufolge ist ein Rückgriff auf diese Vorschrift jedoch ausgeschlossen. So habe der EuGH in verschiedenen Verfahren die Argumentation zurückgewiesen, Artikel 72 AEUV erlaube Binnengrenzkontrollen jenseits der Möglichkeiten des Schengener Grenzkodex. Auch dürfe demnach Drittstaatsangehörigen im Rahmen von Binnengrenzkontrollen die Einreise nicht ohne Weiteres verweigert werden.
Derzeit wird in den Sondierungsgesprächen von CDU und SPD ein möglicher Kompromiss erörtert. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte dazu erklärt: „Die SPD wird keine faktischen Grenzschließungen mitmachen“. Möglich wäre, dass sich die Parteien auf zeitlich begrenzte oder selektive Maßnahmen verständigen, etwa solche, die nur bestimmte Migrantengruppen betreffen.
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