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Politik: Invasion ohne Truppen

BRÜSSEL .Tony Blair will es, Bill Clinton schließt es nicht mehr ganz aus, Gerhard Schröder lehnt es strikt ab - der bisher hypothetische Einsatz von Nato-Bodentruppen im Kosovo bedroht weniger den Belgrader Diktator Milosevic als die Einheit des Bündnisses.

BRÜSSEL .Tony Blair will es, Bill Clinton schließt es nicht mehr ganz aus, Gerhard Schröder lehnt es strikt ab - der bisher hypothetische Einsatz von Nato-Bodentruppen im Kosovo bedroht weniger den Belgrader Diktator Milosevic als die Einheit des Bündnisses.Der britische Premier trommelt an eine Tür, die im Sommer 1998 vom Nato-Rat zugeschlagen wurde.Damals entschieden die 19 Staaten, sich nicht in einen offenen Landkrieg verwickeln zu lassen.Die Nato-Stäbe wurden angewiesen, die Planungen einzustellen.

Nach britischer Überzeugung sind Bodentruppen nötig.Doch eine so grundlegende Änderung der Nato-Strategie bedarf eines einstimmigen Beschlusses.Nur wenn alle 19 Staaten dem Bodentruppeneinsatz zustimmen, können die Militärstäbe in Brüssel und Mons die Planungen für eine Besetzung des Kosovo wieder aufnehmen."Ich kann allerdings nicht ausschließen, daß sich einige Leute hinter verschlossenen Türen auch darüber Gedanken machen", räumt ein hoher Offizier in Brüssel ein.

Bisher ist die klare Mehrheit der Nato-Mitgliedstaaten gegen eine risikoreiche Ausweitung des Krieges.So lehnt etwa Griechenland, das sich traditionell mit den orthodoxen Serben verbunden fühlt, den Kampfeinsatz von Bodentruppen strikt ab.

Es sprechen auch militärisch-technische Gründe dagegen.Nach groben Berechnungen würde man für eine Invasion des Kosovo eine Nato-Truppe von 75 000 Mann in Mazedonien bereitstellen müssen.Für einen Krieg gegen Serbien benötigte man eine alliierte Armee von mindestens 200 000 Mann, so haben die Nato-Stäbe berechnet.Doch weder für den "kleinen" noch für den "großen" Krieg hat die Nato die Truppen.Die einsatzfähigen britischen Truppen stehen nahezu vollständig in Nordirland, als SFOR in Bosnien und in Mazedonien.Über mehr verfügt die Berufsarmee ihrer Majestät nicht.Auch Frankreich hat keine Reserven mehr.

Die Bundeswehr müßte zwischen 10 000 und 20 000 Mann stellen.Da sie zum großen Teil aus Wehrpflichtigen besteht, die auf dem fernen Kriegsschauplatz nicht eingesetzt werden könnten, müßten mehrere Divisionen ausgekämmt und umstrukturiert werden, um eine Kosovo-Truppe zusammenzustellen."Ohne eine Mobilisierung ginge das nicht", unterstreicht ein hoher Bundeswehroffizier."Wir haben weder die Struktur noch die Logistik für einen mobilen Einsatz in der Ferne.Wir sind nicht dafür ausgerüstet und nicht dafür ausgebildet."

Vor dem gleichen Problem stehen die Nato-Partner.Die Nato hat keine ausreichende Transportkapazität, in Albanien stehen nicht ausreichend Häfen zur Verfügung für den Transport schwerer Waffen, in Mazedonien gibt es nur wenige Transportwege.

Einen Kampfeinsatz der in Mazedonien schon stationierten Friedenstruppe im Kosovo hält man in Militärkreisen für absurd.Die 14 000 Mann stehen bereit, um nach einem Waffenstillstand und dem Abzug der serbischen Streitkräfte die Rückkehr der Flüchtlinge abzusichern und ein Friedensabkommen im Kosovo durchzusetzen.Diese Truppe muß "robust" sein, sie wird auch über Panzer und gepanzerte Fahrzeuge verfügen.Das heißt nicht, daß sie zu einem Landkrieg gegen die regulären serbischen Truppen - im Kosovo auf rund 40 000 Mann geschätzt - in der Lage wäre.Die Bundeswehr stellt derzeit knapp 4000 Mann der künftigen Friedenstruppe, die vor allem Flüchtlinge betreuen.Großbritannien hat mit 5000 Mann das größte Kontingent, Frankreich hat 3000 Mann in Mazedonien stationiert, Italien 2000.Die USA kündigten derweil an, sie würden sich mit 7000 Mann beteiligen - 3000 mehr als bisher geplant.

In Brüssel hat man jetzt errechnet, daß diese Friedenstruppe, die nach Ende des Konflikts und Rückzug der Serben im Kosovo den Frieden sichern soll, 45 000 Mann haben muß anstatt 28 000 Mann, wie in Rambouillet geplant."Diese robuste Friedenstruppe ist aber alles andere als eine Invasionsarmee, die sich in dem schwierigen unwegsamen Berggelände gegen den Widerstand der serbischen Truppen durchsetzen müßte", warnt ein Nato-Offizier in Brüssel.

Auch die inzwischen zusätzlich in Albanien eingetroffenen rund 6000 Mann der Nato sind allenfalls in der Lage, die Grenze und die Flüchtlingslager zu sichern.Leicht bewaffnet, können sie sich verteidigen, aber nicht Krieg führen."Hier von einer Speerspitze der Kosovo-Invasionsarmee zu sprechen, ist blanker Unsinn", meint ein Brüsseler Militärexperte."Man kann doch nicht ernsthaft glauben, daß die Soldaten, die heute in den Flüchtlingslagern Leintücher ausgeben, morgen ohne entsprechendes Training in den Kampfeinsatz gehen können", warnte Ex-Nato-Oberbefehlshaber US-General George Joulwan in der "Herald Tribune".Selbst die 24 "Apache"-Hubschrauber der US-Armee seien, so ein Nato-Offizier, nicht annähernd ausreichend, um die schweren Waffen - Artillerie, Panzer - zu ersetzen, die der Nato im Krisengebiet fehlen.

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