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Israelfeindliches Lager wird immer lauter : Wie radikal wird die Linkspartei, Herr Oppelland?
Würde eine Parteiikone wie Gregor Gysi oder Bodo Ramelow austreten, wäre es ein historischer Einschnitt. Und trotzdem für die Zukunft der Linken womöglich nicht entscheidend, sagt Politologe Torsten Oppelland.
Stand:
Herr Oppelland, das israelfeindliche Lager will die Meinungshoheit in der Linkspartei übernehmen. Wie groß schätzen Sie die Chance ein, dass das gelingt?
Das Thema ist auch ein Generationenkonflikt. Diejenigen, die das Bekenntnis zu Israels Sicherheit hochhalten, gehören zur älteren Generation: Petra Pau, Gregor Gysi, Bodo Ramelow, Dietmar Bartsch. Insofern wird der Generationenwechsel ganz von alleine dafür sorgen, dass die Dynamik in eine bestimmte Richtung geht. In Metropolen wie Berlin kommt die Bevölkerungsstruktur dazu. Die arabischstämmige Bevölkerung, die sich mit der arabischen Sache in hohem Maße solidarisiert, wächst.
Muss also die eine Seite einfach nur abwarten?
Ganz so einfach ist es nicht, wegen der spezifischen Vergangenheit Deutschlands. Die Sensibilität der Gesamtgesellschaft für Antisemitismus ist durchaus stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Wenn sich die Linke einseitig ins pro-palästinensische Fahrwasser begibt, kann das sogar zum Nachteil für die Partei werden.
Das heißt, sie kann das Mobilisierungspotential des Themas nur für sich nutzen, wenn sie es nicht übertreibt?
Genau, es ist eine sehr schwierige Gratwanderung. Die Linkspartei kann langfristig nur so erfolgreich sein wie derzeit, wenn sie das Thema besetzt, ohne sich als Antisemiten unmöglich zu machen.
Wie stark wäre die Linke beschädigt, wenn sich eine der Parteiikonen – Pau, Gysi, Bartsch, Ramelow – zum Austritt entschließen würde?
Es wäre ein historischer Einschnitt. Und trotzdem für die Zukunft womöglich nicht entscheidend. Bei der Bundestagswahl war das Engagement der drei Silberlocken Ramelow, Gysi und Bartsch eine Basis für den Erfolg, entscheidend aber war der Reichinnek-Faktor. Die Solidarisierung mit dem aktivistischen Lager war das Lebenselixier der Linken, sie kann diese Verbindungen nicht kappen. Also wieder: Es ist eine sehr schwierige Gratwanderung.
Der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen. Das ist das Kernproblem der Linken.
Torsten Oppelland, Universität Jena
Wenn es auf Ramelow, Gysi und Bartsch womöglich nicht mehr entscheidend ankommt – auf wen dann?
Die Generation der Älteren hat ohnehin nur noch einen überschaubaren Zeitraum, in dem sie politisch eine Rolle spielen wird. Für die Zukunft wichtiger sind Leute wie Fraktionschef Sören Pellmann. Er verkörpert den Anspruch, den Osten zu vertreten, und zwar mit anderen Themenschwerpunkten als die jungen Aktivisten.

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Gibt es beim Thema Israel und Palästina eine Ost-West-Teilung in der Linken?
So einfach ist es nicht. In der Thüringer Linkspartei beispielsweise, in der Bodo Ramelow in zehn Jahren als Ministerpräsident enge Beziehungen zur jüdischen Gemeinde unterhalten hat, ist die Solidarität mit Israel möglicherweise stärker ausgeprägt als nur ein paar Kilometer weiter, in Leipzig. Dort ist eine junge aktivistische Generation ähnlich positioniert wie im Westen.
Was treibt diese Generation an?
Der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen. Das ist das Kernproblem der Linken. Im propalästinensischen Lager wird der Akzent darauf gelegt, dass Israel Gebiete besetzt hat. Dass die Menschen dort keine Autonomie haben, sich nicht frei entfalten können. So lässt sich alles, was dagegen unternommen wird, zum Akt des Widerstands erklären.
In dieser Weltsicht wird übersehen, dass Israel sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen und seine Siedlungen aufgegeben hat. Seitdem hat man dort palästinensische Selbstverwaltung einziehen lassen. Das Ergebnis waren ständige Raketen auf Israel und schließlich der barbarische Überfall am 7. Oktober 2023.
Wie ist dieses Übersehen zu erklären?
Es ist eben höchst subjektiv, was der Mensch ausblenden will und kann und an welchem Punkt einer komplizierten Geschichte er mit der Erklärung ansetzt. Aber das eigentlich Erstaunliche ist, dass die Linke sich nicht nur mit dem pro-palästinensischen Widerstand solidarisiert, sondern mit einem explizit islamistischen Widerstand. Der steht diametral allem entgegen, was linke Ideologie normalerweise beinhaltet, Schlagwort: Religion ist Opium für das Volk. Auch das wird ausgeblendet. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, so simpel kann man sich die Welt machen.
Vor einem Jahr stand die Linke vor dem politischen Ruin, der Siegeszug des BSW schien unaufhaltsam. Es wird damit gerechnet, dass Sahra Wagenknecht am Montag ihren Rückzug vom BSW-Vorsitz verkündet. Könnte die Partei sich dann überhaupt noch Chancen aufs politische Überleben ausrechnen?
Das hängt von den kommenden Landtagswahlen ab, besonders im Osten, also als Nächstes in Sachsen-Anhalt. Die ursprüngliche Begründungslogik des BSW war, der AfD von links bessere Konkurrenz zu machen. Im Osten wird sich erweisen, ob das noch gelingen kann.
Wenn es das BSW dort nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schafft, wird es ganz schwierig. Allerdings ist zumindest denkbar, dass das BSW es über eine Neuauszählung doch noch in den Bundestag schafft, es fehlen deutschlandweit keine 10.000 Stimmen. Kommt es tatsächlich so weit, würde dies das politische System rocken.
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