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Selbsterklärte Genzschützer, die sich ihr Land "zurückholen" wollen: Ein AfD-Wahlplakat mit den Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland.

© Armin Weigel/dpa

Jüdischer Weltkongress zur AfD: "Jetzt kann jeder sehen, was das für Leute sind"

Für Maram Stern vom Jüdischen Weltkongress ist der Erfolg der AfD keine Überraschung: Ein Gespräch über salonfähigen Rechtspopulismus - und Deutschlands gefestigte Demokratie.

Herr Stern, die AfD zieht mit mehr als 13 Prozent als drittstärkste Kraft in den Bundestag. Wie erklären Sie den Erfolg der Rechtspopulisten?

Dieser Erfolg verwundert mich nicht. In diesem Wahlkampf wurde doch fast nur über die AfD geredet. Sie stand völlig im Mittelpunkt der Diskussionen bzw. hat es verstanden, sich geschickt dort zu platzieren. In allen Fernsehdebatten, die ich verfolgt habe, ging es in erster Linie um das Thema Flüchtlinge, Ausländer und Integration. Die demokratischen Parteien drangen mit ihren anderen Themen kaum durch.

Man könnte den Spieß natürlich auch mal umdrehen und das Positive hervorheben: Mindestens 85 Prozent der Wähler haben mit den Ideen der AfD nichts am Hut beziehungsweise lehnen sie ab. In Ländern wie Frankreich oder Ungarn sind die Rechtspopulisten wesentlich stärker und gefährlicher als in Deutschland.

Von verschiedenen Seiten wird gewarnt, jetzt könnten völkischer Nationalismus, Rassismus und Geschichtsrelativierung ins deutsche Parlament Eingang finden. Sehen Sie das auch so?

Das wird wohl passieren, und man muss jetzt einen Weg finden, damit angemessen umzugehen. Jene Geschichtsrevisionisten und Verschwörungstheoretiker, die sich immer ach so schrecklich diskriminiert und ausgegrenzt fühlen, haben nun Sitz und Stimme im Parlament. Vielleicht hat es auch sein Gutes, dass jetzt jeder sehen kann, was das für Leute sind, und möglicherweise werden einige sich beim nächsten Mal dreimal überlegen wird, ob sie die erneut wählen können. Ob sich Gauland & Co. jetzt, da der Wahlkampf vorbei ist, mäßigen werden, wage ich aber sehr zu bezweifeln.

Wie sollten die etablierten Parteien mit der AfD umgehen?

Auch wenn es schwerfällt: Man sollte sie im Parlament nicht dauernd in den Mittelpunkt stellen. Das stärkt sie am Ende nur und macht sie wichtiger, als sie in Wahrheit sind. Für die AfD wäre es doch ein Albtraum, wenn sich niemand mehr für sie und ihre kruden Thesen interessierte. Sie ganz zu ignorieren wird aber sicher schwer sein. Jedenfalls erwarte ich, dass alle Demokraten Haltung zeigen und dass der Kampf gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung oberste politische Priorität bekommt.

Maram Stern ist stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses und leitet in Brüssel das EU-Büro des Verbandes.
Maram Stern ist stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses und leitet in Brüssel das EU-Büro des Verbandes.

© Marco Limberg/WJC

Die AfD kündigt bereits an: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“ Was fällt Ihnen dazu ein?

Da läuft es mir natürlich kalt den Rücken herunter. Für uns Juden sind solche Parolen, besonders, wenn sie aus Deutschland kommen, unerträglich und schockierend. Die Frage ist aber, wie man damit umgeht. Man sollte sich nicht auf jede Provokation der AfD einlassen. Darauf sind diese Leute doch aus. Wenn wir dauernd mit äußerster Empörung auf jede Aussage reagieren, erledigen wir nur das Geschäft der Provokateure.

Fürchten Sie, dass Rechtspopulismus jetzt in Deutschland salonfähig werden könnte?

Er ist bereits salonfähig. Wie bei einem Vulkan ist da mit großer Kraft etwas zum Vorschein getreten, was schon immer da war in der Gesellschaft. Nur trauten sich früher viel weniger Leute, sich öffentlich dazu zu bekennen. Ich glaube aber nach wie vor, dass die AfD als Partei ein vorübergehendes Phänomen bleiben wird. Ein Vulkan spuckt schließlich auch nicht ewig Lava. Man darf die Bedeutung der AfD – bei aller berechtigten Sorge über ihr Abschneiden – nicht überbewerten oder überhöhen. Zur Panik besteht kein Anlass. Deutschlands Demokratie ist stark genug, um mit dieser Herausforderung fertig zu werden, da bin ich mir ganz sicher.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

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