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Vierter Sächsischer Stahlgipfel im Stahlwerk Freital

© IMAGO/Sylvio Dittrich

Kann der Stahlgipfel die Branche retten?: „Ich halte die Unterwerfungsstrategie gegenüber den USA für einen Fehler“

Heute findet im Kanzleramt der Stahlgipfel statt. Bremens Bürgermeister Bovenschulte über mögliche Beschlüsse, Strafzölle gegen China und die Haltung gegenüber Russland und den USA.

Stand:

Herr Bovenschulte, Sie haben sich vergangene Woche auf den nassen Pflastersteinen der Bremer Altstadt das Bein gebrochen und mussten operiert werden. Wie geht es Ihnen?
Den Umständen entsprechend gut. Die Operation ist ohne Komplikationen verlaufen, jetzt beginn die Reha. Als Bürgermeister kann ich es mir allerdings nicht leisten, längere Zeit krankgeschrieben zu werden und auszufallen. Ab jetzt geht es schrittweise zurück in den Berufsalltag.

Am Donnerstag kommen im Kanzleramt die Bundesregierung mit den Spitzen der großen Stahlkonzerne, Arbeitnehmervertretern und den Regierungschefs der betroffenen Bundesländer zu einem Stahlgipfel zusammen. Werden Sie trotzdem teilnehmen?
Bremen hat ein Herz aus Stahl. Das ist weitaus mehr als ein Slogan der Kolleginnen und Kollegen auf der Hütte hier. Die Stahlbranche ist bei uns seit 100 Jahren ein bestimmender Wirtschaftsfaktor. Dieser Termin hat eine so wichtige Bedeutung für unser Bundesland, dass ich nach Berlin kommen will und muss – auch auf Krücken.

Was sind Ihre Erwartungen an den Stahlgipfel, unter welchen Bedingungen wäre er ein Erfolg?
Es muss gelingen, bei den vier zentralen Themen – Importquoten, Industriestrompreis, Weiterentwicklung des ökologischen Grenzausgleichs und Leitmärkten für grünen Stahl – eine gemeinsame Position von Bund, Ländern, Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräten zu finden. Diese Haltung muss dann auch die Grundlage für die deutsche Positionierung in Europa werden, am besten im Schulterschluss mit Frankreich. Wir dürfen nicht im Detailstreit stecken bleiben. Besonders bei der zentralen Forderung nach einer Halbierung der Importquote muss Deutschland mit klarer Stimme in Europa auftreten.

Im Kanzleramt finden solche Gipfeltreffen häufiger statt, zuletzt der Autogipfel. Der blieb ohne konkrete Ergebnisse. Wird es dieses Mal Beschlüsse geben?
Das weiß ich nicht, Einlader ist ja die Bundesregierung. Wichtiger als ein beschriebenes Blatt Papier ist aber, dass inhaltlich Einigkeit herrscht. Die EU-Kommission will die Quote für zollfreie Importe nahezu halbieren. Diesen Vorschlag muss Deutschland unterstützen und auf europäischer Ebene sein ganzes politisches Gewicht zur Durchsetzung nutzen. Gleiches gilt für den Industriestrompreis.

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat gerade angekündigt, dass der Industriestrompreis ab 2026 kommt. Ist die deutsche Industrie damit wieder wettbewerbsfähig?
Erst einmal muss er überhaupt kommen. Entscheidend ist, wie er konkret ausgestaltet wird. Wichtig ist nicht nur der effektive Strompreis, der am Ende dabei herauskommt und der idealerweise um die fünf Cent pro Kilowattstunde liegen sollte. Vor allem geht es um die Verlässlichkeit, dass so ein Preis für einen längeren Zeitraum gilt – aus meiner Sicht für mindestens zehn Jahre. Sind es nur drei Jahre, wie derzeit vorgesehen, wird das den Firmen keine Investitionssicherheit bieten.

Die Lage in der Stahlindustrie ist ernst. Aber die finanziellen Spielräume des Staates sind begrenzt. Was kann die Bundesregierung überhaupt tun?
Unmittelbar haushaltsrelevant ist im Grunde ja nur der Industriestrompreis, weil er eine Form der Subvention wäre. Niedrigere Importquoten oder strengere CO₂-Grenzausgleichsmechanismen kosten den Haushalt in der Regel kein Geld und könnten sogar seine Einnahmen erhöhen. Auch Leitmärkte für grünen Stahl belasten den Haushalt nicht unmittelbar, auch wenn mittelbare Auswirkungen infolge steigender Baukosten nicht auszuschließen sind.

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Die USA schotten sich ab und haben die Zölle auf Stahlimporte erhöht, China flutet den Markt mit hoch subventioniertem Billigstahl. Wie müssen Deutschland und die EU darauf reagieren?
Vor allem durch eine massive Absenkung der Importquoten, mindestens eine Halbierung. Ohne die wird die europäische Stahlindustrie nicht überleben können. Zugleich muss die EU mit den USA noch einmal robust über den 50-Prozent-Zoll auf europäischen Stahl verhandeln. Ich halte die bisherige Unterwerfungsstrategie gegenüber den USA für einen Fehler.

Manche fordern zusätzlich Strafzölle auf Billigimporte aus China. Sie auch?
Ich bin skeptisch bei pauschalen Sanktionen. Natürlich verzerren bestimmte staatliche Subventionen in China den Wettbewerb, aber auch wir betreiben Industriepolitik. Entscheidend ist deshalb, genau zu prüfen, wann staatliche Unterstützung illegitim wird. Eine pauschale Bestrafung chinesischer Produkte halte ich jedenfalls nicht für zielführend. Langfristig erhalten wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nur durch höhere Produktivität, wenn unsere Industrie technologisch führend bleibt. Schutzmaßnahmen wie Importquoten oder Zölle sind und bleiben Notlösungen.

Der Finanzminister fordert außerdem, Importe aus Russland komplett zu stoppen. Warum ist das nicht längst geschehen?
Lars Klingbeil hat völlig recht. Russische Stahlimporte unterlaufen die europäische Sanktionspolitik und finanzieren indirekt den Krieg. Einzelne EU-Staaten haben bislang aber verhindert, dass wir die Importe stoppen konnten. Das ist unhaltbar.

Schutzmaßnahmen wie Importquoten oder Zölle sind und bleiben Notlösungen.

Andreas Bovenschulte

Müsste man einzelne Branchen, etwa die Autoindustrie dazu verpflichten, künftig nur noch europäischen Stahl zu verwenden?
Solche Local-Content-Vorgaben halte ich für sinnvoll, aber nur mit Augenmaß. Als Exportnation dürfen wir keine Gegenreaktionen provozieren, die unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Deshalb müssen solche Klauseln branchenspezifisch und ausgewogen gestaltet sein.

Sind Verstaatlichung oder Vergesellschaftung auch Optionen?
Nur in Ausnahmefällen. Ein begrenztes staatliches Engagement kann in Krisensituationen sinnvoll sein. In Bremen haben wir in den 90er Jahren damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber derzeit macht die Stahlindustrie ja Verluste. Da müssten wir staatliche Beteiligungen schon sehr gut begründen, sonst trägt der Steuerzahler das Risiko, ohne einen Gegenwert dafür zu erhalten.

Ihr Bundesland ist ein zentraler Stahlstandort. Bund und Länder haben über eine Milliarde Euro für die Transformation der Hütte in Bremen zugesagt. Trotzdem hat ArcelorMittal angekündigt, die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion nicht weiterzuverfolgen. Wie wollen Sie die Zukunft des Werks in Bremen sichern?
Das war eine bittere Entscheidung, denn insgesamt wären über eine Milliarde Euro an privaten und öffentlichen Mitteln in den Standort geflossen. Arcelor begründet den Stopp mit derzeit noch fehlender Wirtschaftlichkeit für grünen Stahl. Andere Unternehmen wie Salzgitter oder Saarstahl fahren da eine andere Strategie, haben aber ebenfalls Schwierigkeiten, einen entsprechenden Business-Case darzustellen.

Arcelor hat angekündigt, grundsätzlich weiter auf grüne Transformation zu setzten, aber erst dann in konkrete Projekte zu investieren, wenn es ein tragfähiges Geschäftsmodell gibt – also verlässliche Rahmenbedingungen bei Importquoten, Industriestrompreis und grünen Leitmärkten. Als Landesregierung werden wir gemeinsam mit den Beschäftigten, Betriebsräten und der IG Metall hier in jedem Fall weiter Druck machen. Denn eins ist klar: Zukunft hat Stahl schon mittelfristig nur als grüner Stahl!

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