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Keine Mehrheit für Asylwende: Merz ist der große Verlierer, aber nicht der einzige
Es ist ein politisches Debakel für Friedrich Merz. Aber nicht nur für ihn. Die gesamte demokratische Mitte hat Schaden genommen.

Stand:
Was für ein Debakel. Für Friedrich Merz! Für die demokratische Mitte! Was da im Bundestag passiert ist, war ein Tiefpunkt der parlamentarischen Kultur in Deutschland. Viele Bürgerinnen und Bürger werden nach dieser Woche, nach den Debatten im Bundestag dastehen und sich fragen: Was fängt man damit jetzt an? Es sind CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP, die die Verantwortung dafür tragen, dass dieses politische Schauspiel wohl nur einer Partei nutzt: der AfD.
Da werfen sich demokratische Parteien Wörter wie „Lüge“, „Hölle“, „Schande“ an den Kopf. Keiner war wirklich gewillt, Türen zu öffnen, aber sehr wohl, sie kräftig und laut knallend zuzuschlagen. Es ging um Streit und gegenseitige Schuldzuweisungen, aber am wenigsten um die Frage, wie man ein verlorengegangenes Sicherheitsgefühl wiederherstellt, ohne den demokratischen Boden zu verlassen.
Der große Verlierer des Tages heißt: Friedrich Merz. Er hat eine Richtung eingeschlagen, die inhaltlich von einer großen Mehrheit in Deutschland getragen und unterstützt wird. Doch statt genau zu überlegen, wie man diese Punkte ganz oder eben in Teilen realisiert bekommt, ohne dass ihm selbst die eigene Partei um die Ohren fliegt; ohne dass er am Ende mit einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem aus diesen Debatten herauskommt; und ohne dass er Deutschland in eine Spaltung treibt, hat er versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu kommen. Das hat er nicht geschafft. Jetzt hat er nicht nur eine kleine Beule davongetragen, sondern eine klaffende politische Wunde.
Stehen CDU und CSU nach der Niederlage noch hinter ihm?
Man kann in einer parlamentarischen Demokratie nicht einfach verlangen, dass andere Fraktionen mehr oder weniger bedingungslos zustimmen. Interessenausgleich ist in einer Demokratie nun mal essenziell.
Und nicht nur mit den anderen Parteien hat er den Ausgleich nicht gesucht, auch mit seiner eigenen Partei hat er das nicht vermocht. Dafür, dass er jetzt mit leeren Händen dasteht, ohne einen zählbaren Erfolg, hat er einen hohen Preis gezahlt.
Auch die SPD hat unverantwortlich agiert
Sollte Merz wirklich Kanzler werden, wird er lernen müssen, Mehrheiten zu organisieren, auszugleichen – gerade in der internationalen Politik. Aber auch schon bei möglichen Koalitionsverhandlungen. Die werden, sollten sie für ihn überhaupt noch realistisch sein, immer schwieriger. Die Frage ist jetzt nur: Wie geschlossen stehen CDU und CSU jetzt überhaupt noch hinter ihm?
Das Versagen der politischen Mitte hat er aber nicht allein zu verantworten. Die SPD agiert genauso unverantwortlich. Ja, es ist nachvollziehbar, dass man nicht einfach einem Gesetzentwurf zustimmt, über den man nicht ernsthaft verhandeln kann. Aber: Der SPD muss klar sein, dass gerade ein Großteil ihrer Wählerinnen und Wähler für mehr Sicherheit ist, für das Einhalten und Durchsetzen von Regeln.
Eine sinnvolle Einigung ist am politischen Starrsinn gescheitert.
Christian Tretbar, Chefredakteur des Tagesspiegels
Doch dem trägt sie argumentativ zu wenig Rechnung. Sie hätte einen eigenen Gesetzentwurf mit Stimmen der FDP durchsetzen können, wenn sie im Gegenzug Vorschlägen zugestimmt hätte, die in der SPD in Wahrheit gar nicht so umstritten sind. Doch die Wahlkampf-Verlockung, Merz und die Union in der AfD-Falle hocken zu lassen, war einfach zu groß. Und statt aktiv eigene Vorschläge in den Mittelpunkt zu rücken, wird als Antwort auf den schrecklichen Messerangriff das politische Fehlverhalten von Merz betont und vor dem Untergang der Demokratie gewarnt. Das ist als Politikangebot zu wenig.
Und die Grünen mischen in der Rolle der Verantwortungslosen kräftig mit. Ja, sie haben sich noch zu Ampel-Zeiten bewegt zu strengeren Asylmaßnahmen. Doch jetzt hört man von ihnen vor allem das laute Warnen vor den demokratischen Folgen des Abstimmungsverhaltens im Bundestag. Aber eines nimmt man ihnen nicht ab: dass sie wirklich etwas für mehr Sicherheit unternehmen wollen. Die Probleme werden kleingeredet.
Die Liberalen wiederum haben am Freitag immerhin einen Versuch unternommen, die politischen Akteure in der Mitte der Gesellschaft zusammenzubringen. Nur hatten sie nicht die Kraft, dies auch bei ihrem Lieblings-Koalitionspartner durchzusetzen. Außerdem kam der Vorschlag zu spät – nachdem man gemerkt hat, wie es auch die FDP zerreißt.
Eine sinnvolle Einigung ist am Starrsinn der politischen Kräfte gescheitert. Den gesellschaftlichen Zwiespalt hätte man auflösen können. Doch stattdessen hat er sich nach dieser Bundestags-Debatte weiter verschärft – und viele Menschen ratlos zurückgelassen.
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