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In Großstädten ist Obdachlosigkeit offensichtlich.

© picture alliance / dpa

Bundesregierung: Keine Strategie gegen Obdachlosigkeit

In Deutschland leben etwa 24.000 Menschen auf der Straße. Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Pflicht: Das sei Sache der Länder und Kommunen. Die Grünen wollen sich damit nicht abfinden.

Die Grünen im Bundestag haben eine nationale Strategie im Kampf gegen Obdachlosigkeit gefordert. „In Großstädten wie Berlin und Frankfurt ist Obdachlosigkeit offensichtlich, aber auch in kleineren Städten und auf dem Land nimmt sie zu“, sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn, der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. In Deutschland lebten im Jahr 2012 nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe 24.000 Menschen auf der Straße, aktuellere Daten liegen nicht vor. „In einem so reichen Land sollten wir es eigentlich hinbekommen, dass kein Mensch auf der Straße leben und betteln muss", fordert Strengmann-Kuhn.

Andere europäische Länder wie Finnland, Norwegen, Dänemark und Irland haben schon vor Jahren nationale Strategien gegen Wohnungslosigkeit beschlossen und sich dabei konkrete Ziele gesetzt. Dazu gehört, die Straßenobdachlosigkeit zu eliminieren oder Alternativen zu Notunterkünften für junge Menschen zu schaffen. Grünen-Politiker Strengmann-Kuhn wollte daher in einer kleinen Anfrage von der Bundesregierung wissen, ob sie Vergleichbares vorhat. „Die Bundesregierung plant kein Bundesprogramm gegen Wohnungslosigkeit“, heißt es in der Antwort aus dem Bundessozialministerium, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Kramme verweist dabei auf das föderale System der Bundesrepublik und die Zuständigkeit der Länder und Kommunen.

Eigentlich wollte die Politik Hartz-IV-Sanktionen entschärfen

Ein Einwand, den Strengmann-Kuhn nicht gelten lässt. „Das Problem auf Länder und Kommunen zu verschieben, ist verantwortungslos“, sagt der Bundestagsabgeordnete. Auch auf Bundesebene gebe es etliche Regelungen, die sich ändern ließen. Als Beispiel nennt er, dass nach aktueller Rechtslage Hartz-IV-Empfängern bei Regelverstößen nicht nur die komplette Geldleistung gestrichen werden kann, sondern auch die Kosten der Unterkunft. Bei jüngeren Hartz-IV-Empfängern unter 25 Jahren gelten sogar verschärfte Sanktionen, ihnen droht noch schneller der komplette Leistungsentzug. „Aus der Praxis gibt es Schilderungen, dass dies zu Obdachlosigkeit geführt hat“, sagt Strengmann-Kuhn.

Eigentlich hatten Bund und Länder in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe verabredet, die Sanktionspraxis zu entschärfen. Die große Koalition hatte deren Überprüfung auch im Koalitionsvertrag angekündigt. Doch weil es vor allem in der CSU Bedenken gibt, liegen diese Pläne derzeit auf Eis. „Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung hierzu ist noch nicht abgeschlossen“, heißt es in der kleinen Anfrage.

Ein Problem in der Praxis ist nach Ansicht von Strengmann-Kuhn, dass Obdachlose Leistungen nicht in Anspruch nehmen, die ihnen zustünden – seien es Hartz-IV-Zahlungen oder Hilfen bei der Wohnungssuche. „Mit der Bürokratie kommen viele nicht klar“, sagt er. Für den Sozialexperten ist außerdem unverständlich, dass in Deutschland noch nicht einmal offizielle Daten zur Wohnungslosigkeit erhoben werden – mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen. Auch hier sind viele europäische Nachbarländer deutlich weiter. In Finnland werden diese Daten seit 1986 jährlich erhoben, in anderen Ländern gab es zumindest regelmäßige Erfassungen, wie der Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema berichtet, der sich seit langem mit dem Thema beschäftigt. „In Deutschland ist mehr Forschung nötig“, fordert Strengmann-Kuhn. „Wenn man etwas gegen Obdachlosigkeit tun will, muss man auch mehr darüber wissen, wer betroffen ist und warum.“ In der Antwort auf die kleine Anfrage verweist die Bundesregierung an mehreren Stellen darauf, dass keine Daten und Studien vorlägen. Gleichzeitig heißt es, man sehe keinen Forschungsbedarf. „Die Bundesregierung verschließt die Augen vor der Realität“, kritisiert Strengmann-Kuhn.

Auch wenn die Koalition keine neuen Bundesprogramme plant, so sollen zumindest ab Mitte 2015 Gelder aus einem europaweiten Förderprogramm zur Verfügung stehen, von dem auch Wohnungslose profitieren sollen. So hat die EU über einen Hilfsfonds („EHAP“) bis 2020 insgesamt 3,5 Milliarden Euro bereit gestellt. Damit soll den am stärksten von Armut benachteiligten Menschen geholfen werden. Derzeit werde die Förderrichtlinie erarbeitet, heißt es im Bundessozialministerium. Ziel sei es, durch zielgerichtete und personenenbezogene Begleitung und Beratung „die soziale Eingliederung von Wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Personen zu unterstützen“. Weitere Initiativen seien aber nicht geplant.

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