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Ukraine: Kiew will dem Osten der Ukraine das Gas abdrehen

Einen Tag vor der umstrittenen Wahl in den ostukrainischen Rebellenhochburgen spitzt sich der Konflikt im Lande zu: Weil Donezk und Lugansk seit Monaten keine Rechnung mehr bezahlen, will die ukrainische Regierung nur noch gegen Vorkasse liefern.

Die ukrainische Regierung will die Gasversorgung in den ostukrainischen Gebieten in den nächsten Tagen einstellen. Doch nicht nur der Chef des Energieversorgers Naftogaz warnt vor zu großer Eile. Andrej Koboljew, ein bedächtiger Mann, erklärt im ukrainischen Fernsehen, dass aus technischen Gründen alle Verbraucher in der Ostukraine von so einer Maßnahme betroffen wären. „Die Oma, der Kranke, aber auch der Separatist und seine Unterstützer“, sagt der ehemalige Unternehmensberater, der bei Price-Waterhouse-Cooper gearbeitet hat. Seit März führt er den staatlichen Energiekonzern Naftogaz – der seit zwei Jahrzehnten als eine Art Selbstbedienungsladen der ukrainischen Politik gilt.

Der neue Gasstreit flammte unmittelbar vor den umstrittenen Wahlen im Ostteil des Landes auf, die an diesem Sonntag von den militanten Separatisten veranstaltet werden. Diese Wahlen werden von Moskau anerkannt, von der Regierung in Kiew und vom Westen dagegen als verfassungswidrig eingestuft.

"Denkt an die Kranken in den Kliniken!"

In den sozialen Netzwerken warnen viele Ukrainer davor, dem Osten des Landes das Gas abzudrehen. „Denkt doch mal, was passiert, wenn in den Krankenhäusern in Donezk die Patienten frieren und in den Schulen die Heizungsrohre platzen, weil sie eingefroren sind“, schreibt einer auf Facebook. Andere sind da weniger zimperlich und meinen, die Separatisten führten zusammen mit Russland einen Krieg gegen die Ukraine, deshalb sei es in Ordnung, die Versorgung der östlichen Gebiete zu kappen.

Valerie Tschaly, außenpolitischer Berater von Präsident Petro Poroschenko und einer seiner engsten Vertrauten, rechnet vor, dass die Zahlungsmoral der lokalen Energieversorger generell sehr zu wünschen übrig lässt, aus Donezk und Lugansk aber seit Monaten keine Rechnungen mehr bezahlt worden sind. Bis Ende des Jahres werde die Region Donezk voraussichtlich eine Milliarde Kubikmeter Gas verbraucht haben, das ist Erdgas im Wert von 421 Millionen Euro. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk hat am 22. Oktober während einer Telefonkonferenz mit den Chefs der regionalen Energieanbieter klare Worte gefunden: „Kein Geld, kein Gas“, soll er gesagt und damit nicht nur die Versorger in Donezk und Lugansk gemeint haben.

Naftogaz-Chef Andrej Koboljew, 35 Jahre alt, will solche Entscheidungen nicht alleine verantworten. „Ich hoffe, dass der Nationale Sicherheitsrat eine Lösung findet, ob die Gasversorgung in der Ostukraine teilweise oder komplett eingestellt wird“, sagte er im Fernsehen.

Regierungschef Jazenjuk hatte bereits im Sommer einen Plan zur Neustrukturierung von Naftogaz in Auftrag gegeben. Der Konzern soll aufgeteilt und teilweise privatisiert werden. Alleine das Gastransportsystem soll laut Schätzungen 25 bis 35 Milliarden US-Dollar wert sein. Dem Unternehmen kommt erhebliche strategische Bedeutung zu, versorgt die Firma doch nahezu das gesamte Land mit Erdgas und mit Öl.

Die Partei des verhassten Ex-PräsidentenJanukowitsch mischt wieder mit

Seit den Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag hat Jazenjuk ein weiteres Problem. Entgegen allen Vorhersagen hat die Nachfolgepartei der früheren Regierungspartei des verhassten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch, Partei der Regionen – sie nennt sich nun Oppositioneller Block –, fast zehn Prozent der Stimmen bekommen. Anführer ist Juri Boiko, langjähriger Energieminister und früherer Chef von Naftogaz. Boiko hat enge geschäftliche und politische Verbindungen nach Russland. Unter anderem hat Boiko die Gründung des Gaszwischenhändlers Rosukrenergo als Energieminister vorangetrieben. Die Hälfte des Unternehmens gehört der russischen Gazprom, 45 Prozent gehören Boikos Geschäftspartner, dem Oligarchen Dmitri Firtasch.

Jazenjuk will mit seiner Offensive, Nichtzahlern den Gashahn abzudrehen, verdeutlichen, dass auch auf dem Gasmarkt andere Zeiten angebrochen sind. Medienberichte, wonach die russische Seite bei der Energieversorgung einspringen würde, wenn Naftogaz nichts mehr liefert, seien „Fantasiemärchen“, sagte Jazenjuk bei der Telefonkonferenz. Gazprom liefere zwar das Erdgas in die Ukraine, jedoch würden sich die Verteilstationen weder im Besitz noch unter Kontrolle der Russen befinden. Unbestritten sei jedoch, dass Moskau den Bewohnern der besetzten Gebiete im Donbass Elektroheizungen geliefert habe. Allerdings nutzen solche Geräte wenig, wenn die Leitungen beschädigt sind. Die Firma DTEK meldete am Samstag, in Donezk seien 36 Städte und Gemeinden ohne Strom. Der private Stromversorger komme derzeit nicht hinterher, Schäden zu reparieren.

Woher die Schulden kommen

Ein Blick ins Detail macht deutlich, warum sich solche Schuldenberge aufgetürmt haben können. Jahrelang geben die regionalen Versorger das Gas unter dem eigentlichen Einkaufspreis an die Verbraucher aus Industrie und an Private weiter. Weder die Energieineffizienz wurde bis dahin ernsthaft und flächendeckend in Angriff genommen, noch wurde gegen die mangelnde Zahlungsmoral vorgegangen. In weiten Teilen der ukrainischen Gesellschaft herrscht bis heute die Vorstellung aus den Tagen der Sowjetunion, dass die Bereitstellung von Grundnahrungsmitteln wie Brot, Zucker oder Öl sowie die Wasser- und Energieversorgung staatlich gestützt werden sollen.

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