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Bartholomäus I., Patriarch von Konstantinopel mit Sitz in Fener in Istanbul. Foto: Reuters

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Politik: Kleine Geschenke für die türkischen Christen

2010 war ein gutes Jahr für die religiöse Minderheit im Land – doch noch immer zögert die Regierung mit der Öffnung eines Priesterseminars

Auch am Ende des Jahres 2010 haben die Christen in der Türkei mit vielen Problemen zu kämpfen. Dennoch war es ein gutes Jahr für die Minderheit. Und 2011 könnte noch besser werden: Vertreter der orthodoxen Christen hoffen, dass ein Priesterseminar bei Istanbul 40 Jahre nach ihrer Schließung 1971 ihre Tore wieder öffnen könnte.

Die griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei sind in Festtagslaune. Grund sind ein halbverfallenes Gebäude auf einer Insel bei Istanbul und ein Katastereintrag – auf den ersten Blick keine besonders prächtigen oder sensationellen Geschenke, aber für die orthodoxen Christen stehen sie für einen wichtigen Durchbruch. Nach einem Rechtsstreit, der fast ein halbes Jahrhundert dauerte, erhielt das orthodoxe Patriarchat in Istanbul vor wenigen Wochen von den türkischen Behörden das Gebäude eines Waisenhauses auf der Insel Büyükada bei Istanbul zurück. Das Patriarchat selbst wurde als Besitzer ins Kataster eingetragen, die Angelegenheit könnte zum Präzendenzfall für andere Rückforderungen werden.

Dass die Kirche bis zum Europäischen Menschenrechtsgericht in Straßburg gehen musste, um sich ihr vom türkischen Staat beschlagnahmtes Waisenhaus zurückzuholen, sagt einiges über die immer noch bestehenden rechtlichen Probleme der Christen in der Türkei. Der eigentümliche Laizismus alla turca ist geprägt von der Furcht des Staates vor der Religion. Im Fall des Islam befürchten Justiz, Armee und Bürokratie den Durchmarsch der Fundamentalisten. Im Fall der Christen wird der Staat von der Angst getrieben, die Nicht-Muslime seien womöglich Agenten feindlicher Mächte wie Griechenland und Armenien, auch wenn sie nur kleine Minderheiten bilden. Alle Konfessionen zusammengenommen, kommen die Christen in der Türkei auf lediglich etwa 100 000 Menschen.

Hilfe für die Minderheit kommt ausgerechnet von der als Islamistenverein verschrieenen Regierung von Recep Tayyip Erdogan. Der Premier habe die Lage der Christen im Land verbessert, lobte kürzlich der angesehene Zeitungs- und Fernsehkommentator Mehmet Ali Birand, der sonst nicht unbedingt zu den Anhängern des Ministerpräsidenten zählt. Das betreffe nicht nur das Waisenhaus, betonte Birand: Es sei Erdogan zu verdanken, dass der orthodoxe Klerus in der Türkei – und damit im ehemaligen Byzanz – zumindest vorerst vor dem Aussterben bewahrt worden sei.

„Die letzten Monate des vergehenden Jahres waren, was die Zukunft betrifft, tatsächlich hoffnungsvoll“, sagte der Sprecher des Patriarchats, Dositheos Anagnostopoulos, dem Tagesspiegel. Er sieht sogar eine „sich abzeichnende Lösung“ beim schwierigsten und drängendsten Problem der orthodoxen Kirche in der Türkei: dem seit fast vier Jahrzehnte bestehenden Verbot der Priesterausbildung.

Seit 1971 ist das orthodoxe Priesterseminar auf der Insel Heybeliada bei Istanbul geschlossen, mit dem Resultat, dass die Riege der Bischöfe und der anderen Geistlichen überaltert. Erdogan ließ deshalb in diesem Jahr im Eilverfahren ein gutes Dutzend orthodoxe Bischöfe aus anderen Ländern einbürgern. Damit wurde der Kirche neues Personal zugänglich gemacht und die Wahl eines neuen Patriarchen gesichert, sollte dem derzeitigen Amtsinhaber, dem bald 71-jährigen Bartholomäus I., etwas zustoßen.

Erdogans Regierung hat darüber hinaus die Wiedereröffnung des Seminars in Aussicht gestellt, bisher aber nichts in dieser Richtung unternommen. Möglicherweise tut sich hinter den Kulissen jedoch einiges. Pater Dositheos jedenfalls hat Hinweise, „dass der türkische Staat seine Einstellung dem Ökumenischen Patriarchat gegenüber ändert. Also sind wir zuversichtlich, dass uns bessere Tage erwarten.“

Zu den Erfolgen für die Christen in diesem Jahr zählte auch, dass die orthodoxen Christen zum ersten Mal seit fast hundert Jahren in den Ruinen des früheren Klosters Sümela im Nordosten der Türkei einen Gottesdienst feiern konnten. Vereinzelte Proteste türkischer Nationalisten beantwortete Erdogan mit der Bemerkung: „Sie haben einen Gottesdienst gehalten – na und?“ Eine ähnliche Gelassenheit zeigte Erdogans Regierung im September bei der Erlaubnis für die armenischen Christen, in der mehr als tausend Jahre alten Heilig-Kreuz-Kirche auf der Insel Akdamar im Van-See im Osten des Landes den ersten Gottesdienst seit Generationen zu feiern. Wie Sümela wurde Akdamar zum Zeichen einer neuen Ära für die türkischen Christen.

Für einen zusätzlichen Impuls sorgte Bundespräsident Christian Wulff. Nachdem er in Deutschland viel Kritik für seine Feststellung einstecken musste, der Islam gehöre inzwischen zur Bundesrepublik, warb Wulff bei seinem ersten Besuch in der Türkei für die Rechte der Christen. Er nahm an einem ökumenischen Gottesdienst in der Paulus-Kirche von Tarsus teil. Und eine Rede vor dem türkischen Parlament in Ankara nutzte er, um seinen in Deutschland gesprochenen Islam-Satz auf türkischem Boden zu vervollständigen: Das Christentum gehöre zur Türkei, sagte Wulff.

Wulffs Gastgeber, der türkische Präsident Abdullah Gül, bekannte sich gegenüber dem Besucher aus Deutschland eindeutig zu den christlichen Türken: Er sei auch der Präsident der Nicht-Muslime im Land, sagte Gül. So ein Satz war einem türkischen Politiker noch nie über die Lippen gekommen.

Bittere Ereignisse zeigten aber deutlich, warum viele türkische Christen nach wie vor in Angst leben. Im südtürkischen Iskenderun wurde der apostolische Vikar von Anatolien, Luigi Padovese, von seinem Chauffeur erstochen. Putschpläne türkischer Armee-Offiziere sollen die Ermordung von Christen vorgesehen haben. Im südwesttürkischen Bodrum wurde ein verstorbener Christ wegen wütender Proteste von Anwohnern aus seinem Grab auf einem muslimischen Friedhof exhumiert und umgebettet. Auch in einem guten Jahr für die Christen in der Türkei gibt es viel Ungutes.

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