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„Kleinkariert und egoistisch“: Scholz rechnet hart mit Lindner ab – der schießt zurück
Nach tagelangem Streit in der Koalition hat der Bundeskanzler seinen Finanzminister entlassen und damit das Ende der Ampel eingeleitet. In Stellungnahmen finden beide deutliche Worte.
Stand:
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht sich zur Entlassung von Christian Lindner (FDP) gezwungen, „um Schaden von unserem Land abzuwenden“, sagte er am Mittwochabend in Berlin. Zuvor waren Gespräche über Forderungen von Lindner zur Belebung der deutschen Wirtschaft ohne Einigung zu Ende gegangen.
„Wir brauche eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen Entscheidungen für unser Land zu treffen“, so Scholz. Er habe der FDP heute Mittag „noch einmal ein umfassendes Angebot vorgelegt, mit dem wir die Lücke im Bundeshaushalt schließen können, ohne unser Land ins Chaos zu stürzen.“ Auch Vorschläge der Liberalen seien dabei aufgegriffen worden. Das Angebot habe unter anderem für bezahlbare Energiekosten sorgen und Arbeitsplätze in der Automobilindustrie erhalten sollen.
„Ich muss jedoch abermals feststellen: Der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen. Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten“, so Scholz.
„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich hätte Ihnen diese schwierige Entscheidung gerne erspart, erst recht in Zeiten wie diesen, in denen die Unsicherheit wächst“, fuhr Scholz auch im Hinblick auf die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten fort. Die Lage sei ernst. Probleme sieht Scholz in der Ukraine, dem Nahen Osten und der Wirtschaft.
„Meine Gespräche mit der Wirtschaft zeigen: Unsere Unternehmen brauchen Unterstützung – und zwar jetzt. Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden“, sagte Scholz. „Immer wieder habe ich in den vergangenen drei Jahren Vorschläge gemacht, wie eine Koalition aus drei unterschiedlichen Parteien zu guten Kompromissen kommen kann. Das war oft schwer. Das ging mitunter hart an die Grenze auch meiner politischen Überzeugung.“
Scholz wirft Lindner Vertrauensbruch und Egoismus vor
Scholz sieht seine Rolle als Kanzler darin, „auf pragmatische Lösungen zum Wohle des ganzen Landes zu drängen.“ Doch, so der Kanzler: „Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“
Sogar die Einigung auf den Haushalt habe Lindner einseitig wieder aufgekündigt, nachdem sich die Koalition sich in langen Verhandlungen bereits darauf verständigt hatte. Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit, so sei ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich, erklärte Scholz.
„Wer in eine Regierung eintritt, der muss seriös und verantwortungsvoll handeln. Der darf sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird. Der muss zu Kompromissen im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger bereit sein. Darum aber geht es Christian Linder gerade nicht“, so Scholz.
Stattdessen gehe es Lindner um die eigene Klientel, um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. „Gerade heute, einen Tag nach einem so wichtigen Ereignis wie den Wahlen in Amerika, ist solch ein Egoismus vollkommen unverständlich“, sagte Scholz.
Der „Streit auf offener Bühne“ habe zu lange den Blick auf die Leistungen der Ampel-Koalition verdeckt, so Scholz. Er sieht sie zum Beispiel in der Reduzierung der irregulären Migration, dem Energie- und Klimaschutz, der Inflationsbekämpfung und steigenden Renten sowie Reallöhnen.
Lindner habe eine völlig andere Politik gefordert
Scholz kritisierte Lindners Forderungen auch inhaltlich. Niemals dürften demnach äußere, inhaltliche und soziale Sicherheit gegeneinander ausgespielt werden. Doch Linder habe eine grundlegend andere Politik gefordert, zum Beispiel milliardenschwere Steuersenkungen für wenige Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner. „Das ist nicht anständig, das ist nicht gerecht“, so Scholz weiter.
Auch auf andere Forderungen Lindners ging Scholz in seiner Erklärung ein: „Verklausuliert spricht Christian Lindner von der Hebung von Effizienzreserven in unseren Sozialversicherungssystemen. Dahinter aber verbergen sich harte Einschnitte bei Gesundheit und Pflege und weniger Sicherheit, wenn jemand in Not gerät. Das ist respektlos gegenüber allen, die sich diese Sicherheiten hart erarbeitet haben. Gegenüber allen, die Steuern und Sozialabgaben zahlen.“
Zu seiner Ukrainepolitik sagte der Kanzler: „Mit bald 30 Milliarden Euro unterstützen wir die Ukraine in ihrem Abwehrkampf. Auch das tun wir deshalb, weil es unsere eigenen Sicherheitsinteressen gibt. Ein russischer Sieg käme uns vielfach teurer zu stehen. Die Unterstützung der Ukraine ist und bleibt wichtig. Und ich sage auch ganz klar, ich bin nicht bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren.“ Scholz wolle kein „Entweder oder“ in diesen Fragen – und er sieht auch eine Lösung zur Finanzierung.
„Es gibt Lösungen für einen Haushalt, der innere äußere und soziale Sicherheit gleichzeitig stärkt. Eine solche Lösung habe ich vorgeschlagen: Das Grundgesetz sieht in Artikel 115 ausdrücklich vor, in einer außergewöhnlichen Notsituation einen Überschreitungsbeschluss zu fassen. (...) Wenn eine Notsituation vorliegt, dann aber hat die Bundesregierung nicht nur das Recht zu handeln, dann ist Handeln Pflicht“, sagte Scholz.
Lindner: Scholz fehlt die Kraft
FDP-Chef Christian Lindner wiederum macht Scholz für das Scheitern der Ampel-Koalition verantwortlich. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen“, sagte der von Scholz entlassene Bundesfinanzminister am Mittwochabend in Berlin. Linder warf Scholz vor, die Zusammenarbeit mit ihm und der FDP aufgekündigt und damit einen „kalkulierten Bruch dieser Koalition“ herbeigeführt zu haben.
Scholz habe am Mittwoch ultimativ von Lindner verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen. Dem habe er nicht zustimmen können, da dies seinen Amtseid verletzt hätte. Um die Schuldenbremse auszusetzen, müssen Regierung und Bundestag eine „außergewöhnliche Notsituation“ überzeugend begründen.
Der FDP-Chef warf den ehemaligen Koalitionspartnern SPD und Grüne weiter vor, die Vorschläge der FDP zur Belebung der Wirtschaft „nicht einmal als Beratungsgrundlage“ akzeptiert zu haben. „Scholz hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost“, kritisierte Lindner.
Scholz’ Statement sei genau vorbereitet gewesen und führe Deutschland nun in eine Phase der Unsicherheit. Der Vorschlag der FDP hingegen hätte einen „geordneten Weg“ zu Neuwahlen „in Würde“ aufgezeigt. Seine Partei werde dafür kämpfen, in einer anderen Regierung Verantwortung für Deutschland zu tragen. (TMA/TRF/AFP)
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