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Julia Klöckner in der 11. Sitzung des 21. Deutschen Bundestages.

© Imago/Future Image/Frederic Kern

Klöckner fordert Wahlrechtsänderung: Klingt dröge, ist aber verdammt wichtig

Auf den Aufschrei folgt das Desinteresse: Wahlrecht – war da was? Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zwingt das leidige Thema jetzt wieder auf die Tagesordnung. Zurecht.

Stefanie Witte
Ein Kommentar von Stefanie Witte

Stand:

Die israelischen Geiseln in den Fängen der Hamas, der Hunger in Gaza, ein US-Präsident, der die Weltwirtschaft mit Zöllen durcheinanderwirbelt: Angesichts all dessen wirkt ein Appell von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in Sachen Bundestagswahlrecht wie ein Sommerloch-Füller. Zu Unrecht.

Denn das Wahlrecht berührt den Kern der Demokratie. Es soll sicherstellen, dass mehr als achtzig Millionen Menschen – beziehungsweise rund 60 Millionen Wahlberechtigte – angemessen repräsentiert werden. Es legitimiert neben der Verfassung staatliches Handeln, alle Bereiche, in denen der Bund die Bürger einschränkt, fördert, Regeln vorgibt.

Ein funktionierendes System entkräftet den Mythos von „denen da oben“, indem Abgeordnete aus der eigenen Region entsandt werden, um in Berlin die Interessen der Bürger vor Ort einzubringen. Diese Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. Es braucht einen möglichst sichtbaren Bezug von der Provinz bis in die Bundeshauptstadt.

Nun pocht Klöckner darauf, das Wahlrecht erneut zu reformieren – nachdem es erst in der vergangenen Legislaturperiode geändert worden war. Sie habe die Fraktionen gebeten, sich des Themas anzunehmen, sagte Klöckner.

Dass nun ausgerechnet eine CDU-Frau die Debatte anschiebt, ist keine Überraschung – war die letzte Änderung doch gegen den Willen der Union beschlossen worden.

Worum geht es nun im Detail? Die Ampelkoalition hatte sinnvollerweise den vollkommen überdimensionierten Bundestag von zuletzt 735 auf 630 Sitze verkleinert. Konkret hatte sie Überhang- und Ausgleichsmandate gestrichen – allerdings mit einer problematischen Konsequenz.

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Bei der vergangenen Bundestagswahl erhielten nämlich 23 Kandidaten kein Direktmandat, obwohl sie ihren Wahlkreis gewonnen hatten. Ihre jeweilige Partei bekam nicht genügend Zweitstimmen, um ihren Einzug zu rechtfertigen. Vier der aktuell 299 Wahlkreise konnten nach dem neuen Mechanismus sogar gar keinen Abgeordneten in den Deutschen Bundestag entsenden, werden also nicht vertreten.

Großer Aufschrei kurz nach der Wahl, vor allem bei der Union. CSU-Chef Markus Söder sprach von einem „Anschlag auf die Demokratie“.

Das leidige Thema muss nun endlich zu einem Abschluss kommen. Zudem ist nicht mehr zu vermitteln, dass jede Regierung nach Gusto das Wahlgesetz ändern kann und die sowieso schon hoch komplizierte Materie wieder verändert.

Stefanie Witte über das Wahlrecht

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD das Thema nun vorerst in einen Arbeitskreis vertagt. Man wolle eine Wahlrechtskommission einsetzen, so heißt es, die Vorschläge erarbeiten solle.

Konkret vereinbart wurde zudem eine Wunschliste, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt. So soll jeder Kandidat, der seinen Wahlkreis gewonnen hat, auch in den Deutschen Bundestag einziehen – anders als bei der vergangenen Wahl. Das Zweitstimmenergebnis soll beachtet werden – bislang ein Grundsatz des deutschen Wahlrechts. Und die aktuelle Größe des Bundestages soll beibehalten werden – was nicht ohne Kosten funktioniert.

Viele Demokraten einbeziehen – und die Bürger

Das leidige Thema muss nun endlich zu einem Abschluss kommen. Zudem ist nicht mehr zu vermitteln, dass jede Regierung nach Gusto das Wahlgesetz ändern kann und die sowieso schon hoch komplizierte Materie wieder verändert. Die Hürden für Änderungen sollten höher liegen.

Um einen weiteren Eklat zu vermeiden und den Ansprüchen der Demokratie gerecht zu werden, sollte die Koalition nun möglichst viele Demokraten ins Boot holen und einen Kompromiss finden, der langfristig trägt – und zwar jetzt, und nicht erst, wenn die nächste Wahl ansteht.

Neben Experten, die unterschiedliche Modelle prüfen, und einer möglichst breiten Beteiligung auch der Oppositionsparteien wäre nun auch hilfreich, frühzeitig diejenigen einzubeziehen, für die all das überhaupt geschaffen und geändert wurde: die Bürger.

Mit weniger Ausgaben für einen immer weiter wachsenden Bundestag waren bei der letzten Reform viele einverstanden. Bei der Diskussion über Erst- und Zweitstimme sollte allerdings niemand vergessen, dass nicht nur Parteienvertreter einverstanden sein sollten, sondern in allererster Linie der Souverän.

Seriös sind alle genannten Wünsche indes nur zu erfüllen, indem Wahlkreise zusammengelegt werden. Und das ist so sinnvoll wie zumutbar.

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