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FDP-Chef Christian Lindner spricht beim Gründerszene Award Dinner im Journalistenclub des Axel-Springer-Hochhauses.

© dpa/Christoph Soeder

Lindner will mehr Milei und Musk wagen: Falsche Vorbilder für das richtige Ziel

Problematisch an den Vorstellungen von FDP-Chef Lindner sind die Paten, die er dafür wählt. Und sein Glaubwürdigkeitsproblem. Aber den Kern der Ideen sollte man nicht ignorieren.

Christian Tretbar
Ein Kommentar von Christian Tretbar

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Der Absender ist das Problem. Und mit ihm die Formulierung. Aber weniger die Botschaft selbst. FDP-Chef Christian Lindner würde gerne „ein kleines bisschen mehr Milei oder Musk“ wagen. Das ist, wenn man es wörtlich nimmt, das genaue Gegenteil von Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“.

Denn weder sollte es um teilweise anti-demokratische Bestrebungen gehen, wie bei Tech-Milliardär Musk, noch um wirtschaftliche Kettensägenmassaker, wie sie der argentinische Staatspräsident Milei so gerne anrichtet.

Lindner nutzt Milei und Musk als Werkzeug. Als Provokation. Das ist der falsche Weg für ein Argument, das durchaus gehört werden sollte. Hinzu kommt, dass Lindner im Zuge der D-Day-Affäre massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren hat, sodass er sachlich schlicht nicht mehr durchdringt.

Denn natürlich ist es richtig zu fragen, ob Deutschland angesichts der enorm schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht dringend deutliche Veränderungen braucht. Ja, ein gewisses Maß an Disruption.

Das Wachstum stagniert. Der Internationale Währungsfonds sieht für Deutschland gar kein Wachstum mehr oder nur ein geringes. Ähnliche Prognosen hat das ifo-Institut. Die Staatsquote liegt seit den 1990er Jahren zwischen 40 und 50 Prozent, im Moment näher an den 50 als den 40 Prozent.

Der Staat muss hinterfragen, wofür Geld ausgegeben wird

Laut Statistischem Bundesamt landet Deutschland 2024 im internationalen Länderranking bei der Digitalisierung nur auf Platz 23. Frankreich liegt auch nur zwei Plätze vor Deutschland, das macht die Lage mit Blick auf die europäische Dynamik aber nur noch schlimmer.

Und statt das anzugehen, wird nach mehr Personal gerufen – in Bürgerämtern genauso wie in Bundesbehörden. Zusätzliche Probleme bekommt Deutschland durch den Umstand, dass man als Exportnation massiv unter der schwierigen geopolitischen Lage leidet – mehr als viele andere Industriestaaten.

Richtigerweise muss man hinterfragen, ob der Staat sein Geld richtig einsetzt. Aus dieser Notwendigkeit gleich einen Gegensatz aufzumachen zwischen kaltem Liberalismus auf der einen Seite und dem warmen Sozialstaat auf der anderen, ist falsch.

Nicht jede Sozialausgabe in Deutschland ist so investiert, dass sie aktivierend wirkt. Also, dass Menschen wieder in Arbeit kommen, Chancen haben, sich aus Armut herauszuarbeiten. Anreize für Eigeninitiative fehlen oft.

Gleichzeitig braucht es einen Sozialstaat, der Härten abfedert, der in schwierigen sozialen Lagen hilft, der Gesundheit nicht vom Geldbeutel abhängig macht und ein gutes Leben im Alter nach langen Jahren der Berufstätigkeit ermöglicht.

Das ist bundesrepublikanisches Grundgerüst und sollte keiner Disruption zum Opfer fallen. Gleichzeitig kann man aber genauer hinschauen.

Hinzu kommt die Bürokratisierung. Die ist nicht per se schlecht, sondern zwingend notwendig für eine Demokratie und ein funktionierendes Gemeinwesen. Die Frage ist nur, ob Aufwand und Ertrag im Einklang stehen.

Betrachtet man den Bürokratiekostenindex des Statistischen Bundesamtes, der zeigt, wie stark Bürokratie, also Meldungen, Formulare, Regeln Unternehmen belasten, dann sieht man zwar insgesamt einen Rückgang in den vergangenen 12 Jahren, aber gerade in diesem Jahr wieder einen deutlichen Anstieg.

Deshalb braucht dieses Land eine Bürokratiesierungs-Kur. Regeln sind wichtig, aber zu viele Regeln blockieren, ob beim Bauen neuer Wohnungen, der Gründung von Unternehmen, der Verwirklichung von Ideen.

Mut und Zutrauen fehlen

Es ist aber mehr als die Frage nach Bürokratieabbau. Es geht auch um die Mentalität. Wird Unternehmertum in Deutschland belohnt oder wird es nur als „Da will jemand Geld machen“ stigmatisiert? Ist das einmalige Scheitern mit einer Idee gleich Ausweis ewigen Misserfolgs? Oder gehört das Scheitern nicht auch dazu, wenn man etwas ausprobiert?

Es geht also um Mut und Zutrauen. Und auch um die Anerkennung von Unternehmergeist.

Aber wenn bei Umfragen herauskommt, dass in der Generation Z der Wunsch, sich selbstständig zu machen, meist auf dem letzten Platz landet, sagt das etwas aus: Sicherheit ist vielen wichtiger als das Risiko.

Die Debatte um eine mutige wirtschaftliche und gesellschaftliche Mentalität ist richtig. Das Problem ist: Milei und Musk sind die völlig falschen Paten dafür.

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