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Neuerdings gelassener mit Blick auf den Etat: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

© Christophe Gateau/dpa

Die Haushaltspolitik der Ampel-Koalition: Lindners Spielräume, Lindners Risiken

Bundesfinanzminister Christian Lindner wirkt plötzlich gelassener, der Rechnungshof aber gibt eine Warnung ab. Wie passt das zusammen?

Christian Lindner ist neuerdings recht gelassen für einen Finanzminister in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie ist noch nicht ganz überstanden, der Ukraine-Krieg wird dauern und damit auch die Gaskrise. Das kostet Geld. Die Entlastungspakete Nummer eins und zwei haben sich auf 31 Milliarden Euro addiert. Nun soll, wie Lindner es nach der Kabinettsklausur in Meseberg formulierte, noch einmal ein „wuchtiges Paket für Entlastungen“ hinzukommen.

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Aber woher kommt das Geld? Hat Lindner nicht vor Kurzem noch davon gesprochen, im Etat 2022 sei für weitere Entlastungen kein Geld vorgesehen? Nun sieht der Finanzminister einen Spielraum in einstelliger Milliardenhöhe. Im Haushalt für 2023, der in der kommenden Woche in die Beratungen im Bundestag geht, ist sogar Platz für Maßnahmen in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags.

Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg sieht die Ursache dafür, dass Lindner nun „recht gönnerhaft“ auftritt, vor allem in den „rasant steigenden Umsatzsteuern“ und darin, dass der Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation in diesem Etat noch kaum ausgeglichen wird. „Es sollte selbstverständlich sein, dass der Staat sich hieran nicht bereichert, sondern mit diesen Mitteln besonders Geringverdiener in dieser schwierigen Lage unterstützt“, sagte Middelberg dem Tagesspiegel.

Weniger Ausgaben

Lindner kann nicht verhehlen, dass trotz der Krisen und wegen der Inflation tatsächlich erhebliche Mehreinnahmen beim Staat zusammenkommen. Zudem hat er selbst den „Haushaltsvollzug“ als Grund genannt. Offenkundig fließt wieder einmal weniger Geld ab als geplant, vor allem aber ist die Ampel-Koalition lange Zeit in einer Art Zwangssparmodus gewesen.

Der Etat für 2022 ist erst seit dem 22. Juni in Kraft. Davor galt die vorläufige Haushaltsführung, die den Ministerien Einschränkungen auferlegt hat, die zu geringeren Ausgaben führen. Diesen im ersten Jahr einer neuen Regierung regelmäßig wiederkehrenden Effekt kann Lindner nun nutzen, um mehr Mittel in Entlastungsmaßnahmen zu lenken. Das Finanzministerium gab das Ausgabenminus im Vergleich zum vorigen Jahr zuletzt mit knapp fünf Prozent an.

Vor allem aber eröffnen die inflationsbedingten Mehreinnahmen Spielräume. Im Vergleich zum Vorjahr lag das Steuerplus bis Ende Juli bei 15,7 Prozent. Den größten Schub gab es wegen der Preissteigerungen bei der Umsatzsteuer: Deren Volumen legte um fast ein Viertel zu. Sollten die Steuern weiter so sprudeln, kann Lindner gelassen bleiben.

Das üppige Schuldenpolster

Und wenn nicht, gibt es noch das üppige Schuldenpolster, das die Koalition angelegt hat. Im Etat stehen Kreditermächtigungen im Umfang von fast 140 Milliarden Euro. Sie dürfen für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg verwendet werden. In den Vorjahren musste der Bund die Neuverschuldung nie im vollen Umfang nutzen, in Haushälterkreisen im Bundestag wird angenommen, dass das auch in diesem Jahr so wäre. Spielraum ließe sich also auch durch eine volle Nutzung des Kreditrahmens gewinnen.

In der SPD gibt es Überlegungen, den kreditfinanzierten Klima- und Transformationsfonds (KTF) anzuknabbern – doch dürfte damit nur eine Verlängerung des Neun- Euro-Tickets bis Dezember möglich sein, denn der Fonds ist vor allem für ökologische Maßnahmen gedacht.

Habecks Prognose

Freilich hat die Koalition auch mit Haushaltsrisiken zu rechnen. Ende September wird Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Herbstprognose der Regierung für das Wirtschaftswachstum herausgeben, die wiederum Basis für die Steuerschätzung Anfang November ist. Müsste Habeck einen herben Einbruch der Wirtschaft im Herbst und Winter einkalkulieren, dürften sich die Spielräume im Etat wieder verringern – jedenfalls auf der Einnahmenseite.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz,
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz,

© Kay Nietfeld/dpa

Vor allem eine Kaufzurückhaltung der Verbraucher könnte zu Mindereinnahmen führen. Andererseits ist mit weiterhin sehr hohen Preisen insbesondere bei Energie zu rechnen, weswegen selbst die von der Koalition zum 1. Oktober beschlossene Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas kein allzu großes Loch im Etat auftun wird.

Auf ein mittelfristiges Risiko weist nun aber der Bundesrechnungshof hin. In einer „Analyse zur Lage der Bundesfinanzen“ für die Beratungen des Etats 2023 im Bundestag, die dem Tagesspiegel vorliegt, gehen die Haushaltsprüfer ausführlich auf die hohe Verschuldung in den Sondervermögen des Bundes ein – und auf das damit verbundene Finanzierungsrisiko, das in Zeiten hoher Inflation in möglicherweise sehr kräftig steigenden Zinsen steckt.

Versteckte Schulden

Neben dem Klima- und Transformationsfonds ist vor allem der neue Nebenhaushalt zugunsten der Bundeswehr zu nennen. Der Rechnungshof macht darauf aufmerksam, dass im Etatentwurf für 2023 (für den Lindner ja einen Spielraum im zweistelligen Milliardenbereich nennt) neue Kredite in Höhe von 17,2 Milliarden Euro geplant sind. Damit kann die Ampel formal wieder die Schuldenbremse einhalten.

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Hinzu kommen jedoch 20,5 Milliarden neue Schulden in den Sondervermögen für Klimaprojekte, Digitale Infrastruktur und Bundeswehr. Und zudem muss der Bund etwa 40 Milliarden Euro neue Schulden machen, um die Überschussrücklage aus den Jahren 2014 bis 2019 zu aktivieren, die seinerzeit tatsächlich zur Schuldentilgung genutzt wurde und nun über neue Kredite wieder gefüllt werden muss.

Ein haushaltspolitischer Sprengsatz?

Die Zeiten des Nullzinses sind allerdings vorbei. Angesichts einer Inflation nahe von fast zehn Prozent ist damit zu rechnen, dass auch die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen wieder deutlich erhöht – wie schon die Federal Reserve in den USA. Schon jetzt muss Lindner für 2023 mit Ausgaben für das Schuldenmanagement in Höhe von 30 Milliarden Euro rechnen – fast eine Verzehnfachung gegenüber 2021.

Der Rechnungshof sieht in weiter steigenden Zinsen einen „Sprengsatz“ für die Haushaltspolitik, denn diese basiere bislang auf einer „zurückhaltenden Zinspolitik der EZB“. Die „kaum noch vorhandenen Handlungsspielräume“ im Etat würden mit jeder Zinserhöhung „unweigerlich zusammenschrumpfen“.

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