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„Macht den Menschen Angst“: Bas prangert Reiche-Vorstoß für spätere Rente als Scheindebatte an
Die Wirtschaftsministerin von der CDU hatte mit ihrem Vorstoß heftige Diskussionen ausgelöst. Die Arbeitsministerin von der SPD kritisiert die Kollegin nun scharf. Ein Ökonom äußert sich klar.
Stand:
Über den Beginn der Rente in Deutschland wird nach der heftig umstrittenen Forderung von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach einer längeren Lebensarbeitszeit weiterhin intensiv diskutiert. Reiches Kabinettskollegin, Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas, prangerte dies nun als „Scheindebatte“ an. Sie sehe nicht, dass ihre Partei dem Vorschlag zustimmen würde, sagte die Co-Vorsitzende der SPD dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Viele erreichen aus gesundheitlichen Gründen bereits das jetzige Renteneintrittsalter nicht. Für diese Menschen wäre das eine Rentenkürzung“, sagte Bas. „Wir müssen also erstmal dafür sorgen, dass die Leute länger gesund arbeiten können“, fügte die Ministerin hinzu.
Bas attackiert Ministerkollegin Reiche scharf
Auch die Möglichkeit der Frühverrentung für langjährig Versicherte darf nach ihren Worten nicht abgeschafft werden. „Wer 45 Jahre geackert hat, für den muss auch mal Schluss sein“, sagte Bas. „Wer gleichzeitig über eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit und die Abschaffung der Rente für langjährig Versicherte spricht, hat von der Lebensrealität vieler Menschen keine Ahnung und macht ihnen Angst“, sagte Bas mit Blick auf die Wirtschaftsministerin.
Reiche hatte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in der vergangenen Woche gesagt, die Lebensarbeitszeit müsse steigen. Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machten das „unumgänglich“. Es könne „auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“. Was im Koalitionsvertrag an Reformen stehe, werde auf Dauer nicht reichen, fügte Reiche hinzu.

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Bas’ Kollege als SPD-Vorsitzender, Lars Klingbeil, hatte dazu den Sendern RTL und ntv bereits gesagt: „Sowas sagt sich ganz einfach, wenn man irgendwie im schönen Sessel in Berlin sitzt. Aber man sollte mal hinausgehen zu den Menschen ins Land, die als Dachdecker auf dem Dach stehen, die als Pflegekräfte arbeiten, die als Erzieherin arbeiten und sich wirklich kaputt machen“, betonte der Finanzminister und Vizekanzler.
Auch die Grünen und die Linkspartei hatten Reiches Vorstoß scharf kritisiert. Der Chef der aktuell nicht im Bundestag vertretenen FDP, Christian Dürr, hingegen stellte sich hinter Reiche und bekräftigte gleichzeitig erneut seine Forderung nach einer Aktienrente.
Auch wenn es unpopulär ist – wir müssen länger arbeiten.
Martin Werding, Wirtschaftsweiser
Der Wirtschaftsweise Martin Werding forderte ebenfalls einen späteren Beginn der Rente. „Auch wenn es unpopulär ist – wir müssen länger arbeiten“, sagte der Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“ einem Vorabbericht zufolge. In den 1960er Jahren hätten die Menschen im Schnitt zehn Jahre lang Rente bezogen, heute liege die Dauer bei 20 Jahren. Hinzu komme, dass nun die Babyboomer in Ruhestand gingen, die zugleich aber zu wenig Kinder bekommen hätten.
Bis 2031 steigt die Regelaltersgrenze in Deutschland auf 67 Jahre. Dabei dürfe nicht Schluss sein, so Werding. Alle zehn Jahre müsse die Regelaltersgrenze um sechs Monate steigen. „Ab 2050 gäbe es dann die Rente mit 68 Jahren, ab 2070 mit 69 Jahren.“ Anders sei die Bevölkerungsentwicklung mit immer mehr, immer älteren Menschen nicht aufzufangen.
Die Abschläge, mit denen Beschäftigte auch früher in den Ruhestand geben könnten, müssten von jetzt 3,6 auf fünf bis sieben Prozent steigen, sagte Werding, der seit 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft ist.
Ökonomen präsentieren Gutachten zur Rente
Den Einwand, schwer körperlich arbeitende Menschen wie Dachdecker könnten nicht so lange arbeiten, ließ der Wirtschaftsexperte nicht gelten. Das Rentensystem könne sich nicht an speziellen Berufsgruppen ausrichten. „Viele Dachdecker suchen sich andere Jobs, bevor sie 60 werden, das wurde längst untersucht.“ Wer nicht mehr arbeiten könne, erhalte eine Erwerbsminderungsrente. Diese sei spürbar verbessert worden.
Werding hatte mit einer Gruppe Ökonomen um den Direktor des Ifo-Instituts in Dresden, Marcel Thum, am Freitag ein Gutachten vorgelegt. Darin wird vor einer „dramatischen demografischen Herausforderung“ gewarnt und die Politik zu Reformen aufgefordert. „Eine umfassende Reform des deutschen Rentensystems ist unausweichlich. Bislang wurden die schweren Entscheidungen in die Zukunft verlagert, was jedoch die Problematik weiterhin verschärft“, schreiben die Wirtschaftsfachleute.
Konkret sprechen sich die Forscher in dem im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung erstellten Gutachten für die Abschaffung der Rente mit 63, die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, die Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors und die inflationsorientierte Anpassung von Bestandsrenten aus. Nötig sei eine „Kombination der vier Ansatzpunkte“. (mit Agenturen)
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