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Teacher working in school classroom

© Getty Images/Solskin

Manche würden vielleicht sagen „das crazy“: Aber Jugendliche ab 16 sollten den Bundestag wählen dürfen!

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: Menschen ab 16 nehmen ihre Wahlentscheidungen genauso ernst wie ältere. Warum sollten sie dann nicht auf Bundesebene wählen dürfen?

Thorsten Faas
Ein Gastbeitrag von Thorsten Faas

Stand:

19. November 1972: Heute vor genau 53 Jahren fand die erste vorgezogene Bundestagswahl in der bundesrepublikanischen Geschichte statt. Und es gab noch eine Premiere: Erstmals durften auch 18-, 19- und 20-Jährige daran teilnehmen. Die sozialliberale Regierung unter Willy Brandt hatte eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes auf den Weg gebracht. Sie wurde schlussendlich mit breiter Unterstützung von SPD, FDP und CDU/CSU mit 441 Ja-Stimmen bei 10 Enthaltungen angenommen.

Ein Blick in das Protokoll der entscheidenden Sitzung vom 18. Juni 1970 lohnt dennoch: Der Abgeordnete Schulz (SPD) etwa äußerte – durchaus stellvertretend für andere Abgeordnete – massive Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Unterfangs. Seine Begründung: „Der größte Teil der jungen Generation steht, wie sich aus allen Umfragen und wissenschaftlichen Erhebungen ergibt, der Politik indifferent, oft mit einer geradezu erschreckenden Unkenntnis gegenüber. Ein Zugewinn für unsere demokratische Ordnung ist infolgedessen von der Herabsetzung des Wahlalters nicht zu erwarten.“

Erste bundesweite Wahl ab 16 in Deutschland

Zeitsprung: Im Juni 2024 findet erstmals in Deutschland eine bundesweite Wahl mit einem auf 16 Jahre abgesenkten Wahlalter statt – die Europawahl. Die Ampel-Koalition hatte diese Absenkung mit ihrer einfachen Mehrheit beschlossen.

Sie hätte auch gerne für Bundestagswahlen eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre beschlossen. Während aber das Wahlalter für die Europawahl in einem einfachen, leicht reformierbaren Gesetz (nämlich dem „Europawahlgesetz“) geregelt ist, steht das für Bundestagswahlen im Grundgesetz. Im Gegensatz zu 1970 fand sich dort aber im Vorfeld der Bundestagswahl keine verfassungsändernde Mehrheit. Union und AfD waren dagegen.

Zur Europawahl 2024 durften Jugendliche ab 16 ihr Kreuz setzen.

© imago/photothek/Janine Schmitz

Denkt man an das Wahlalter in Deutschland in der Nacht, ist man heute leicht um den Schlaf gebracht. Bundestagswahl 18, Europawahl 16. Mit Blick auf Kommunal- und Landtagswahlen wird es noch komplizierter: 2021 und 2023 durften die 16- und 17-Jährigen in Berlin nur an den BVV-Wahlen teilnehmen, nicht aber den Wahlen zum Abgeordnetenhaus.

Das wird im kommenden Jahr anders und einheitlich sein – mit Unterstützung der Berliner CDU hat man auch für künftige AGH-Wahlen das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt. Nur die AfD – sonst immer sehr darum bemüht, dem „Volkswillen“ Gehör und Geltung zu verschaffen – war dagegen.

Und andernorts? Am 8. März dürfen 16- und 17-Jährige an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg teilnehmen, an den Kommunalwahlen in Bayern dagegen nicht. Das gilt auch bei den Kommunalwahlen in Hessen am 15. März und den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz am 22. März. Auch bei den Wahlen im Herbst wird es nicht einfacher, im Gegenteil: Es ist kompliziert.

Ärger über verweigerte Wahlberechtigung

Was sagen eigentlich die jungen Menschen dazu? In einem von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Projekt wurden sie direkt dazu gefragt. Im vergangenen Jahr rund um die Europawahl haben wir fast 8.000 junge Menschen zwischen 15 und 20 Jahren interviewt, in diesem Jahr rund um die (vorgezogene) Bundestagswahl rund 4.000. Hinzu kommen Antworten aus diesem Jahr von noch einmal knapp 800 Menschen zwischen 21 und 79 Jahren aus Berlin, um die Ergebnisse von Jung und Alt besser vergleichen zu können.

Die jungen Menschen, die an der Bundestagswahl 2025 teilnehmen durften, freuten sich darüber.

Thorsten Faas, Wahlforscher an der FU Berlin

Dabei wurde deutlich: Ob junge Menschen wählen dürfen oder nicht, lässt sie alles andere als kalt. Jene, die an der Bundestagswahl 2025 teilnehmen durften, freuen sich sehr darüber – und zwar deutlich mehr als über die Möglichkeit der Teilnahme an Europawahlen. Umgekehrt war der Ärger über eine nicht gegebene Wahlberechtigung bei der Bundestagswahl 2025 deutlich größer als bei der Europawahl 2024.

Frust sollte man ernst nehmen

Der beschriebene Flickenteppich des Wahlalters führt also genau dazu, dass junge Menschen gerade bei der wichtigsten Wahl in Deutschland – der Bundestagswahl – außen vor bleiben, obwohl sie bei anderen mitmachen dürfen. Genau das führt im föderalen deutschen System gerade bei den ersten, potenziell prägenden Wahlerfahrungen regelmäßig zu Frustrationserlebnissen. Diese sollte man durchaus ernst nehmen, da sie das Potenzial haben, auch über den (frustrierenden) Wahltag hinaus die Wahrnehmung des politischen Systems bis hin zur Zufriedenheit mit der Demokratie insgesamt einzutrüben.

Wir sehen auch, dass gerade die Umstände der vorgezogenen Wahl besonders ärgerlich waren: All jene nämlich, die erst zwischen dem schlussendlichen Termin einer vorgezogenen Bundestagswahl und dem ursprünglich angedachten Wahltermin ihren 18. Geburtstag feiern konnten, blieben – plötzlich und unerwartet – am Wahltag außen vor. Unsere Ergebnisse zeigen: Die Betroffenen hat das nicht kalt gelassen, sie haben sich über die ihnen genommene Möglichkeit zur Teilnahme geärgert. Und gerade sie finden auch, dass das Vorziehen der Wahl alles andere als eine gute Idee war.

Europawahl 2024. In einem Wahllokal.

© imago/Rüdiger Wölk

Löst man sich ein wenig von der konkreten Wahl, so zeigen unsere Ergebnisse, dass junge Menschen sich ein Wahlalter ab 16 Jahren auch bei Bundestagswahlen wünschen. Das gilt gerade für junge Menschen unter 18. Bei älteren Menschen ist dagegen die Skepsis gegenüber einem abgesenkten Wahlalter groß – übrigens schon ein Argument, dass die Debatten rund um die Wahl 1970 geprägt hat. Rückblickend wird man wohl sagen: Die Skepsis war wohl zu groß.

Auch im Lichte unserer Ergebnisse scheint diese Vorsicht heute eher unbegründet. Das zeigt gerade auch eine Betrachtung der Motive junger Menschen rund um das Wählen. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass junge Menschen ihre Wahlentscheidungen weniger ernst nehmen oder von gänzlich anderen Motiven geleitet werden als ältere Wähler:innen. Diesbezüglich sehen wir vielmehr große Ähnlichkeiten über alle Altersgruppen hinweg.

Als häufigstes Motiv wird dabei von Jung und Alt der Wunsch genannt, dass nach der Wahl in konkreten Problemfeldern eine bestimmte Politik gemacht wird. Die Themen selbst mögen andere ein, aber das Motiv ist identisch. Man könnte sogar sagen: Umso wichtiger wäre es, dass die jungen Menschen ihre Themen auch selbst einbringen können.

Das Schwarz-Rote-Regierungsbündnis möchte gemäß des Koalitionsvertrags auf Bundesebene prüfen, „ob Menschen ab 16 Jahren an der Wahl teilnehmen sollten“. Gemeint ist: die Bundestagswahl. Manche würden vielleicht sagen „Das crazy“. Aber eigentlich wäre es gut und schön, wenn diese Prüfung positiv ausfiele.

Die ganze Studie finden Sie hier: Thorsten Faas, Sigrid Roßteutscher, Armin Schäfer: Überraschende Wahl, überraschende Stimmen: Junge Menschen und die vorgezogene Bundestagswahl 2025; https://www.fes.de/jungwaehler-bei-der-bundestagswahl-2025

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