zum Hauptinhalt
Demonstration gegen Rassismus und Polizeigewalt auf dem Rathausmarkt in Hamburg (Archivbild vom Juli 2020)

© dpa/Christian Charisius

Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus: Große Koalition einig über Demokratiegesetz und Streichung von „Rasse“

Auf 89 Einzelposten verständigt sich die GroKo beim Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Doch vieles bleibt unverbindlich und unklar.

Es war ein heißes Eisen für die große Koalition, und das ist dem Ergebnis anzumerken: Auf 89 Einzelposten hat sich der „Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ zwar am Mittwoch geeinigt. Eine Milliarde Euro soll dafür ausgegeben werden, womöglich weitere 150 Millionen zusätzlich.

Doch mindestens drei Dutzend Mal bleiben die Formulierungen auf den gut zehn Seiten des Maßnahmenkatalogs wolkig: „Ausweitung“, „Aufstockung“ „Stärkung“ oder „Weiterentwicklung“ heißt es dort, im Klartext: Mehr Geld oder mehr Projekte für die gute Sache, aber kaum Verbindliches. Minderheitenorganisationen, Migrantinnen, muslimische Vereinigungen, Schwarze, Sinti und Roma klagten in der Vergangenheit genau darüber, dass es für ihr meist ehrenamtliches Tun zu wenig verlässliche Förderung gibt, dass Professionalisierung dadurch kaum möglich ist.

Der Kabinettsausschuss wurde im Mai gegründet, unter Druck aus der Zivilgesellschaft und unter dem Eindruck der rassistischen Verbrechen von Halle vor einem Jahr und Hanau im Februar. Den Vorsitz hatte die Kanzlerin selbst, als Stellvertreter fungierte Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Noch im Oktober war die Abschlusssitzung verschoben worden, weil Union und SPD sich über zu viele Punkte nicht einigen konnten. Mindestens zwei davon können jetzt als abgeräumt gelten.

Schluss mit Rasse im Grundgesetz

Die Frage, ob Deutschland ein Demokratiefördergesetz brauche – als Grundlage für stetige Demokratiearbeit jenseits einzelner Projekte – und ob der Begriff „Rasse“ aus Artikel 3 des Grundgesetzes gestrichen werden müsste, waren zwei besonders heftig umstrittene Themen. Jetzt heißt es unter Punkt 52 im Maßnahmenkatalog, dass Innen- und Familienministerium „zeitnah Eckpunkte für ein Gesetz zur Förderung der wehrhaften Demokratie erarbeiten und dann vorlegen“ wollen.

„Rasse“ im Grundgesetz wird nicht einfach gestrichen, sondern ersetzt. Unter anderem das Deutsche Institut für Menschenrechte hatte gewarnt, dass eine schlichte Streichung des falschen Begriffs – es gibt zwar keine menschlichen Rassen, wohl aber Rassismus – werde der Justiz sogar die Mittel nehmen, gegen Rassismus vorzugehen.

Hier bleibt der Katalog am unverbindlichsten. Trotz der heftigen Debatten der letzten Monate über Racial Profiling gegen Minderheiten, trotz der Aufdeckung rechtsextremer Chatgruppen in mehreren Landespolizeien sieht das Paket der Bundesregierung keine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung vor - die mehrere Landesregierungen bereits begonnen haben. Lediglich ein Forschungsprojekt „Untersuchung des Polizeialltags“ ist geplant, dazu ein paar Projekte, um die „ Zusammenarbeit zwischen Polizei und Zivilgesellschaft“ zu stärken.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Gleich der erste Punkt im Katalog ist dagegen die „Einführung einer rechtlichen Grundlage zur Quellentelekommunikationsüberwachung für die Nachrichtendienste des Bundes“. Die Rolle der Nachrichtendienste auch der Länder in der NSU-Mordserie ist bis heute kaum geklärt, worauf mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse hingewiesen haben.

Klar härtere Vorschriften sollen künftig für Rechtsextreme und Rassismus in der Bundeswehr gelten. Strafen werden teils verdoppelt, die Möglichkeiten, Dienstgrade abzuerkennen, erweitert.

Wenig Neues für die Gerichte

Das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt im europäischen Vergleich als schwach, die kleine Antidiskriminierungsbehörde ist ein Stiefkind der Politik und wird etwa seit .. Jahren schon kommissarisch geleitet. Auch der Kabinettsausschuss bessert da nicht kaum nach. Die Frist, Ansprüche nach AGG anzumelden, wird auf sechs Monate verlängert, ein Verbandsklagerecht, das Einzelnen die Last eines Gangs durch die Instanzen erleichtern würde, gibt es weiter nicht.

Auch in puncto Justiz bleibt der Katalog hinter den Forderungen von Wissenschaft, internationalen und Betroffenenorganisationen deutlich zurück. Lediglich die Befassung mit der NS-Geschichte soll – „ggf.“ – im Richtergesetz verankert werden. Für die Weiterbildung von Staatsanwältinnen und Richtern zu Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus will sich die Bundesregierung lediglich „einsetzen“. Der Rassismusausschuss der UN moniert seit Jahren, dass Rassismus in Deutschland noch zu stark auf Rechtsextremismus fixiert sei, weshalb er in gutbürgerlichem Gewand unentdeckt bleibe – der Fall Sarrazin galt den UN-Fachleuten als Beispiel.

Freuen dürfte sich die Forschung. Sie bekommt mehr Geld für Studien zu Rassismus im Alltag und im Recht, zum Hass auf Juden, Musliminnen, Sinti und Roma. Eine neues Beratungszentrum gegen Rassismus mit zentraler Hotline soll Daten sammeln, die die Forschung in einem „Rassismusbarometer“ auswertet. Ein Monitor zu Rassismus und Diskriminierung soll geschaffen und dauerhaft gefördert werden, Migrationsforschungsinstitute wie das DeZim in Berlin sollen ebenfalls auf Dauer mehr Mittel bekommen.

Die Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten sollen, das ist im ganzen Katalog zu lesen, kürzere Wege zur institutionellen Politik bekommen, für Schwarze Menschen und Sinti und Roma werden Koordinierungsstellen geschaffen. Dass ihr Engagement dauerhaft gefördert wird und raus aus der oft beklagten Projektitis kommt, ist aus dem Katalog dagegen nicht zu lesen.

Zur Startseite