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Mehr Medizin, weniger Finanzdruck: Was die Krankenhausreform bringt – die wichtigsten Fragen und Antworten
Der Name soll Programm sein: Das „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ nimmt die wichtigste Hürde im Parlament. Dabei geht es um einen längeren Umbau. Was heißt das für Patienten?
Stand:
Auf die Krankenhäuser in Deutschland kommen große Veränderungen zu: Rund 240 Seiten umfasst der Gesetzentwurf zur Krankenhausreform, den der Bundestag am Donnerstag mit der Mehrheit der Ampel-Koalition verabschiedete. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von der größten Gesundheitsreform seit 20 Jahren.
Zwei Jahre lang hat die Koalition um das Projekt gerungen, die Ampel-Fraktionen fügten zuletzt noch rund 50 Änderungen ein. Im Bundesrat ist die Neuregelung nicht zustimmungspflichtig, er könnte aber den Vermittlungsausschuss anrufen.
Die Ziele: weniger Finanzdruck und mehr Spezialisierung bei komplizierteren Eingriffen. Doch unumstritten sind die Pläne bei weitem nicht. Was bedeutet die Großoperation für die Patientinnen und Patienten?
Wofür braucht es überhaupt eine Reform?
Deutschland hat nach Experteneinschätzung im Vergleich zu Nachbarländern zu viele Kliniken. Es gibt große Probleme: finanzielle Schwierigkeiten, Personalengpässe, ein Drittel der 480.000 Betten sind laut Gesundheitsministerium nicht belegt.
Lauterbach sieht die Reform denn auch als eine Notbremse: Ohne Änderungen drohten Klinik-Insolvenzen, schlechte Behandlung und weite Wege. Dabei sei klar, dass Deutschland nicht den medizinischen Bedarf und nicht das Personal für 1.700 Krankenhäuser habe. Ziel sei daher, den wirklich benötigten Häusern eine auskömmliche wirtschaftliche Basis zu sichern.
Welche Fehlanreize gibt es bisher?
Aktuell bekommen Kliniken pro Patient oder Behandlungsfall einen pauschalen Euro-Betrag (Fallpauschale). Das führt laut Lauterbach zu einem „Hamsterrad-Effekt“, möglichst viele Behandlungen auf möglichst günstige Weise zu machen, oder schafft sogar Anreize zu unnötigen Behandlungen. Als Beispiel wird gern die Knieprothese genannt, die eingebaut wird, wo es vielleicht gar nicht nötig ist.

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Dem Gesetzentwurf zufolge besteht auch ein Risiko, dass manche Kliniken schwierige Behandlungen vornehmen, für die ihnen die Erfahrung fehlt, oder vermeintlich weniger lukrative medizinische Leistungen nicht mehr anbieten.
Wie soll das abgestellt werden?
Das vor 20 Jahren eingeführte Vergütungssystem der Fallpauschalen soll grundlegend geändert werden. Künftig soll es einen festen Sockel von 60 Prozent der Vergütung schon allein dafür geben, dass Kliniken eine Grundausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte Leistungen vorhalten, unabhängig von der Zahl der Fälle.
Die Feuerwehr werde ja auch nicht nur bezahlt, wenn es brenne, argumentierte die Kommission, die Vorschläge für die Reform erarbeitete. Extra-Vergütungszuschläge geben soll es für Kliniken mit Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Intensiv- und Unfallmedizin, speziellen Schlaganfall-Stationen und Notfallversorgung.
Was soll sich bei der Behandlungsqualität tun?
Die neue Fix-Vergütung soll eine Klinik für „Leistungsgruppen“ bekommen, die ihr das Land zuweist. Sie bilden medizinische Leistungen ab, und zwar präziser gefasst als grob benannte Fachabteilungen. Ausgangspunkt sollen 65 Gruppen sein, die maßgeblich auf ein Modell aus Nordrhein-Westfalen zurückgehen - etwa „OPs an der Wirbelsäule“ oder „Leukämie“.

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Mit definiert werden jeweils einheitliche Qualitätsvorgaben zu Fachpersonal und Ausstattung. Lauterbach machte wiederholt klar, da keine Abstriche zu machen. Denn dies soll bewirken, dass etwa Krebsbehandlungen in Kliniken mit Spezialkenntnissen gemacht werden.
Werden Kliniken schließen?
Die Antwort lautet Ja. Für die aktuell 1719 Krankenhäuser gebe es bereits jetzt nicht genug Personal, viele Kliniken schrieben rote Zahlen und seien von Insolvenz bedroht, argumentiert Minister Lauterbach. Mit seiner Reform will er das erwartete Kliniksterben begrenzen: „Wenn es am Ende 20 Prozent Krankenhäuser weniger gibt, diese aber bessere Versorgung bieten, dann ist das aus meiner Sicht richtig.“
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Eine Reihe von Regelungen soll vor allem kleinen Kliniken in ländlichen Regionen helfen: In solchen Häusern sollen Fachärzte ihre Leistungen künftig auch ambulant für Patientinnen und Patienten anbieten dürfen.
Der mancherorts weite Weg in eine Fachpraxis entfällt damit. Zudem dürfen sogenannte „Sicherstellungshäuser“ in ländlichen Regionen, die für die Grundversorgung unverzichtbar sind, geringfügig von den strengen Qualitätsvorgaben der Leistungsgruppen abweichen.
Sind Finanzhilfen geplant?
Das Gesetz sieht Finanzspritzen vor. So sollen Kostensteigerungen der Kliniken unter anderem bei den Tariflöhnen aller Beschäftigten schon von diesem Jahr an nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden.
Um den großen Wandel zu den neuen Strukturen zu unterstützen, soll zudem ein „Transformationsfonds“ kommen, aus dem von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden Euro fließen könnten – sofern sich Länder in jeweils gleicher Höhe beteiligen. Kommen soll das Geld aus Mitteln der gesetzlichen Kassen und - entsprechend ihrem Anteil an den Behandlungen - der privaten Krankenversicherungen.
Lohnt sich der große Umbau?
Im Entwurf weist das Ministerium auf „Effizienzgewinne und Minderausgaben“ durch eine stärker koordinierte, hochwertigere Versorgung hin. Die Jahresausgaben der gesetzlichen Kassen für Kliniken stiegen zuletzt schon auf 94 Milliarden Euro. Das war ein Drittel der gesamten Leistungsausgaben.

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Die Kassen unterstützen eine stärkere Spezialisierung für mehr Qualität - warnen aber vor einer weiteren „Kostenlawine“ in einer ohnehin angespannten Finanzsituation. Die Kliniken und die Länder fordern auch schnellere Finanzspritzen, da manche Krankenhäuser die erst in einigen Jahren greifende Reform sonst gar nicht mehr erreichen könnten.
Was monieren Kritiker?
Vor allem unionsregierte Bundesländer drohen mit Widerstand im Bundesrat und der Anrufung des Vermittlungsausschusses. Sie sind skeptisch, ob die Reform das befürchtete Kliniksterben im ländlichen Raum abwenden kann. Zudem fürchten sie hohe Kosten: Das Gesetz sieht vor, die Kliniken für die Phase der Reform-Umsetzung zehn Jahre lang mit einem sogenannten Transformationsfonds im Volumen von 50 Milliarden Euro abzusichern.
Die Hälfte der Gelder soll von den Ländern kommen, die andere Hälfte sollen die gesetzlichen Krankenkassen zahlen, die dagegen ebenfalls Sturm laufen. Lauterbach hat zugesagt, zur Finanzierung nun auch die privaten Kassen hinzuzuziehen - in welchem Umfang und auf welchem gesetzlichen Weg, bleibt aber noch unklar.
Wie geht es weiter?
Die Ampel-Koalition steht bei der Reform zusammen, wie Lauterbach gern betont. Mit den Ländern köchelt aber weiter Streit - und abschließend durch den Bundesrat muss das Gesetz noch. Dabei ist es nicht mehr so angelegt, dass es dort zustimmungsbedürftig ist. Die Länderkammer könnte es aber in den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Parlament schicken und so ausbremsen.
In Kraft treten soll die Reform zum 1. Januar 2025. Umgesetzt werden soll die neue Struktur dann nach und nach bis 2029. Vorgesehen ist, dass die Länder bis Ende 2026 ihren Kliniken die jeweils vorgesehenen Leistungsgruppen zuweisen. Die Finanzierung soll dann 2027 und 2028 schrittweise auf das neue System umgestellt werden, wie das Ministerium erläutert. (dpa/AFP)
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