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Ukrainische Feuerwehrleute löschen ein Feuer am Ort eines russischen Beschusses. Wie die Behörden mitteilten, wurden Wohngebäude im Herzen der ukrainischen Hauptstadt getroffen.

© Foto: dpa/Andrew Kravchenko

Sechs Stunden Luftalarm: So gelassen reagieren Ukrainer auf den heftigsten Beschuss seit Kriegsbeginn

Über 90 Raketen hagelten am Dienstag auf die Ukraine nieder. Menschen starben, Wohnhäuser wurden zerstört, vielerorts fiel der Strom aus. Und doch zeigt Bevölkerung Ruhe und Durchhaltevermögen.

Nach Sonnenuntergang war Kiew am Dienstagabend in Dunkelheit getaucht. In einem Großteil der Stadtteile floss kein Strom durch die Leitungen. Der Übergang vom linken zum rechten Ufer des Dnjepr, der die ukrainische Hauptstadt teilt, war blockiert. Hunderte von Autos steckten im Stau fest. Einige U-Bahn-Stationen waren außer Betrieb. Hunderte von Menschen steckten in der U-Bahn fest und hatten Angst, sie zu verlassen.

Mehr als 90 Raketen feuerte Russland am Dienstag auf die Ukraine ab – es war der heftigste Beschuss seit Beginn des Krieges, seit 265 Tagen russischer Aggression gegen die Ukraine. Getroffen wurden kritische Infrastruktur und Wohngebiete in ukrainischen Städten.

Es gibt zahlreiche Todesopfer, Rettungsteams bergen weiterhin Menschen aus den Trümmern. In Kiew und Charkiw fiel der Strom aus. In einigen Regionen der Ukraine herrschte sechs Stunden lang Luftalarm.

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Der ukrainischen Luftwaffe zufolge handelte es sich bei den Raketen um etwa 70 flugzeuggestützte Marschflugkörper X-101/X-555. Sie sollen vom nördlichen Kaspischen Meer und au Wolgodonsk in der russischen Region Rostow gestartet worden sein. Außerdem seien rund 20 seegestützte Kalibr-Raketen vom Schwarzen Meer aus abgefeuert worden.

Auch zehn Kamikaze-Drohnen soll die russische Armee eingesetzt haben. Vorläufigen Berichten der ukrainischen Streitkräfte zufolge schoss das ukrainische Militär 73 der mehr als 90 Raketen sowie alle 10 Drohnen ab.


So erlebten die Ukrainerinnen und Ukrainer den Beschuss

Trotz des Terrors, der in der Ukraine herrscht, versuchen die Zivilisten, nicht in Panik zu geraten. Der traditionelle Kriegsappell geht in den sozialen Medien weiter: Freunde und Kollegen tauschen Informationen aus, unterstützen sich gegenseitig und machen weiterhin Witze. Sie beschreiben ihre Erfahrungen auf ihren Facebook-Seiten.

Olena Pawlowa, Schriftstellerin aus Lwiw

Die Schriftstellerin Olena Pawlowa fand Unterschlupf im Restaurant „Trapeznaya“, das sich im Keller des Bernandinov-Klosters in Lwiw befindet. Zum Zeitpunkt des Luftangriffs war das Restaurant überfüllt, berichtet sie. Die Bewohner verweilten dort mehrere Stunden lang, tranken Tee, betrachteten Ikonen und genossen den berühmten Yaworiw-Kuchen.

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Laut Pawlowa herrschte eine „fabelhafte und sichere Atmosphäre“. Die Frauen am Nachbartisch unterhielten sich über ihr Privatleben und schwelgten in Erinnerungen an glückliche Vorkriegszeiten. Nachdem der Luftschutzalarm verstummte, verließen die Menschen den Bunker in aller Ruhe, umarmten sich und wünschten sich gegenseitig Frieden. „Passt auf euch auf, Freunde. Wir müssen weiterkämpfen und in der besten Ukraine aller Zeiten leben“, wünschte Olena ihren Mitbürgern und machte sich mit einer Fackel auf den Heimweg.

Irina Titsik, Filmproduzentin aus Kiew

„Dieses Gefühl, wenn niemand daran denkt, sich bei einem Luftangriff zu verstecken. Die Atmosphäre ist entspannt, die Leute trinken Kaffee am Kiosk, eine junge Frau mit Kinderwagen schlendert gemütlich, Frauen verkaufen Blattgemüse. Währenddessen schreibt mir mein Mann: „Raketen und Shahids fliegen auf dich zu. Wo bist du?““ Das schrieb Irina Titsik, eine Filmproduzentin aus Kiew, auf ihrer Facebook-Seite.

Titsik ist bereits an Luftangriffe gewöhnt und verlässt sich „auf Gott und die ukrainischen Streitkräfte“. Auf einer Bank vor ihrem Haus haben sich ihre Nachbarn versammelt, wie sie schreibt. Sie nehmen sich Zeit, um in Deckung zu gehen, gemeinsam macht es mehr Spaß. „Küsse für die goldenen Hände, die das sorglose Volk von Kiew gekonnt vor dem Unglück bewahren“, schließt Irina ihren Beitrag.

Ein ganzer Kindergarten hatte sich in einem Bunker in der Stadt Dnepr versteckt. Bei einem Luftangriff wurden die Kinder beim Spazierengehen erwischt und mussten zusammen mit ihren Betreuern in den Untergrund fliehen.

Dort gibt es Licht, Wasservorräte, notwendige Lebensmittel und Medikamente für die Notfallhilfe. Verletzt wurde niemand. Die Kinder sitzen auf behelfsmäßigen Bänken und singen leise die ukrainische Nationalhymne.

Rettungskräfte vor einem Wohnhaus, das von russischen Raketen getroffen wurde.
Rettungskräfte vor einem Wohnhaus, das von russischen Raketen getroffen wurde.

© IMAGO/ZUMA Wire / IMAGO/Aleksandr Gusev

Denys Gorokhovsky, Makler aus der Region Kiew

Der Makler Denys Gorokhovsky aus der Region Kiew löst bei Kerzenlicht mit seinem Sohn Matheaufgaben. „Heute gibt es einen halben Tag lang Alarm, Beschuss, Stromausfall. Und mein Kind wird morgen mit erledigten Hausaufgaben in die Schule kommen“, schreibt Denis auf Facebook.

Tatyana Pushnowa, Managerin für Kulturprojekte aus Poltawa

Tatyana Pushnowa stößt auf Facebook auf ein Video über einen angeblich von russischen Soldaten aus dem Zoo gestohlenen Waschbären. Sie hat Mitleid mit dem armen Tier. Es kämpft verzweifelt um seine Freiheit und versucht, aus den Händen eines russischen Soldaten zu entkommen. Für Tatiana wird der Waschbär zum Sinnbild des Willens des ukrainischen Volkes.

„Das Tier hat gekämpft. Und dann riss der Schurke den Waschbären von dem Stock, an dem er sich festgehalten hatte, und warf ihn mit einem Schwung in den Käfigwagen. Ich war so wütend, dass ich mich nicht mehr zurückhalten konnte und laut fluchte. Und dann rief meine Mutter an. Und ich habe ihr gesagt, wie sehr ich sie alle hasse“, schreibt Tatiana.

Iryna Vannikowa, Journalistin

Die Journalistin Iryna Vannikowa drückt es auf ihrer Facebook-Seite so aus: „Wir mögen sie nicht besonders, um es gelinde auszudrücken.“

Jeder russische Angriff sei eine „neue Spende“ für die ukrainischen Streitkräfte und bringe ihnen „den Sieg einen Tag näher“. Sie ist davon überzeugt, dass die Ukraine umso stärker und widerstandsfähiger wird, je härter der Feind sie angreift.

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