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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am zweiten Tag der 55. Münchner Sicherheitskonferenz

© dpa/Sven Hoppe

Merkel auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Als Regierungschefin der freien Welt gefeiert

Angela Merkel legt in München los wie die Weltfeuerwehr. Donald Trumps Vorgänger Barack Obama hätte seine Freude gehabt. Eine Analyse.

Der Wärmestrom im sowieso schon aufgeheizten Saal zeigt an: Sie kommt. Sie, das ist der "Main Act", der wichtigste Auftritt dieses Samstagmorgens, die Kanzlerin. Angela Merkel kommt zu spät zur Münchner Sicherheitskonferenz, nach den Präsidenten Klaus Johannis aus Rumänien und Abdel Fatah al-Sisi, der Ägypter. Beide sind außerdem auch noch die Regionalpräsidenten, der eine für die Europäische, der andere für die Afrikanische Union.

Und wie sie so geredet haben, war es vielleicht auch ganz gut, dass Merkel ihnen die Bühne überließ. Da passierte quasi Historisches. Denn sie sprachen beide gewissermaßen aufeinander zu, betonten die Notwendigkeit, dass Europa und Afrika bei Problemen wie Terrorismus, Migration und Klimawandel stärker zusammenarbeiten. Und für Johannis ist das auch ein Teil der "Kohäsion", für die er wirbt, nach innen, in die EU hinein, wie dann nach außen, als Antwort und als Mittel, Differenzen mit den USA zu "überdauern". Von denen mit Russland nicht weiter zu reden.

Doch so interessant das ist für die vielen, vielen Fach– und Staatsleute im Saal, alle warten sie vor allem auf Merkel. Und werden nicht enttäuscht. Die Kanzlerin legt los wie die Weltfeuerwehr, und so hat eben diese Welt sie noch nie gehört. Der rote Blazer wirkt als Fanal: frisch voran. Mag die Stimme belegt sein, die Miene angestrengt, sie ist so frei, alle heiklen Punkte direkt und mit kaum mehr verhülltem Witz anzusprechen.

In der relativen Kürze zeigt sich die Würze: Die Kanzlerin setzt auf ein Verhältnis zu Russland, mit dem sich leben lässt. Weil doch niemandem genutzt ist, wenn es immer schlechter wird. Sie ist Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dankbar, dass er an der Nato-Russland-Akte festhält; Stoltenberg, dessen Amtszeit wahrscheinlich über dieses Jahr hinaus verlängert wird. Sie erklärt den INF-Vertrag über Mittelstreckensysteme als den, der er ist: einen für Europa. Auch den USA erklärt sie das. Die Antwort auf die Kündigung, die "alle mitgetragen haben", könne jetzt aber kein "blindes Aufrüsten" sein – sagt sie und spricht dabei den hochrangigen Vertreter aus dem chinesischen Politbüro direkt an, der sich durchaus auch angesprochen fühlen kann. Er wahrt sein Gesicht. Unbewegt.

Merkel verteidigt North-Stream-2 und den Nuklearvertrag mit Iran

Merkel unplugged. Sie verteidigt North-Stream-2, aber wie. Weil es doch nicht so schlimm sei wie im Kalten Krieg, als russisches Gas nicht nur dahin geliefert wurde, wo sie damals noch gesessen habe, in die DDR, sondern auch in den Westen. "Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül." Aber die Ukraine soll sich mal keine Sorgen machen, die Kanzlerin will ja, dass sie Transitland für Gas bleibt. Und geht dafür mal eben locker ins Detail.

Eine Lektion in Weltpolitik, aber diesmal mehr im Großen. Und weiter – Iran: Da steht sie in aller Klarheit zu ihrem Satz, dass Israels Sicherheit Staatsräson sei, um so den Nuklearvertrag mit Teheran zu verteidigen. Sie will den "kleinen Anker" nicht lichten, der den Iran bei seinen Umtrieben im Jemen und Syrien von noch Schlimmerem abhält.

Wenn Frau Merkel die politische Bühne verlässt, hinterlässt sie [...] ein Land, das als führende europäische Nation ein bedeutendes globales Gewicht besitzt - ein Gewicht, das es vor ihrer Kanzlerschaft so nie gab.

schreibt NutzerIn tweet4fun

Ach ja: Ihr Witz, den muss man erleben, sehen, hören. Der Saal erlebt ihn. Ihr  Gesicht dabei, wenn sie sagt, was ihr an Deutschland gefällt und nicht so gefällt: Dass wir bei außenpolitischen Entscheidungen "sehr, sehr lang brauchen" wegen unserer "inneren Kämpfe". Aber wenn "wir dann da sind, dann bleiben wir da". Wie in Afghanistan, wo die Deutschen erst einmal überzeugt werden mussten, dass ihre Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Das sagt sie wirklich, wie weiland Verteidigungsminister Peter Struck von der SPD. Von den zwanzig Nationen vom Anfang seien viele inzwischen wieder weg, nicht die Deutschen. 18 Jahre seien das, 1300 Soldaten, das bitte sie zu bedenken. "Deshalb tun wir uns ja auch so schwer, weil wir denken, wir bleiben ewig." Frage: wie Sie? Da muss sie lächeln.

Weil aber am Anfang die Lehre von der Kohäsion steht, sei hier auch ein Lehrsatz Merkels festgehalten. So wichtig Deutschland und Frankreich für Europa sind – alles, was hier besprochen werde, "geht uns alle an. Wir müssen alle mitnehmen". Die EU seien auch Finnland und die Niederlande und die anderen, und was hülfe es, wenn die dagegen seien. Denn Europa ist in großen Schwierigkeiten, braucht Innovationskraft, "Europa hat Gegner". Die "hybride Kriegführung", die mit öffentlichen Kampagnen, richte sich "nicht nur gegen den Kleinsten". Das müssten alle verstehen. Und zusammenstehen. So geht Zusammenhalt, ist die Botschaft der am längsten amtierenden Regierungschefin in Europa.

Es hätte noch länger so gehen können, die nickenden Köpfe zeigen es an. Sogar beseelte Gesichter bei den aktiven Diplomaten und Politikern, spontaner Beifall und Gelächter, kleine Jubelrufe, die leise verhallen. Die Prominenz ist groß – und schwer begeistert. Nie war sie so frei. Da sprach die Regierungschefin der freien Welt. Barack Obama, ihr Fan, der Präsident vor Donald Trump, hätte seine Freude an Angela Merkel gehabt. Die Gäste applaudieren im Stehen. Wirklich ein „Main Act“.

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