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Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, war in der vergangenen Regierung Bundesumweltministerin.

© IMAGO/photothek

Ministerin Schulze über Ukraine-Krieg: „Die Gespräche zum Getreideexport sind ein Hoffnungsschimmer“

Entwicklungsministerin Svenja Schulze spricht im Interview über Kritik des globalen Südens an Industrieländern, Hilfen gegen Klimaschäden und Folgen für die Ukraine.

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Frau Schulze, Ihr Ministerium ist in Schwellen- und Entwicklungsländern fast überall auf der Welt tätig. Warum teilen so wenige Menschen im globalen Süden das westliche Entsetzen über den Krieg Russlands gegen die Ukraine?
Es ist richtig, dass manche Schwellen- und Entwicklungsländer Russlands Krieg gegen die Ukraine nicht die gleiche Bedeutung beimessen wie wir. Für sie ist dieser Krieg weiter weg als für uns. Sie werfen uns vor, dass wir doppelte Standards haben, über Kriege im globalen Süden nicht so empört sind wie über diesen Krieg in unserer Nachbarschaft. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man miteinander im Gespräch bleibt.

Haben wir im Westen denn doppelte Standards?
Hand aufs Herz: Hatten wir nicht bei Kriegen und Konflikten in Afrika oder Asien auch oft das Gefühl, das ist so weit weg, das hat mit uns nichts zu tun? Unser Handeln ist nicht ohne Widersprüche, das kann man an vielen Beispielen sehen. Wir sollten daraus lernen und für eine Welt eintreten, in der Mitgefühl nicht von der Distanz zur eigenen Heimat abhängt. Solidarität von anderen darf man nur erwarten, wenn man sich selbst solidarisch zeigt.

Der indische Publizist Pankaj Mishra warnt, der Westen könnte jetzt wegen des Krieges gegen die Ukraine den Fehler wiederholen, den er nach „Nine eleven“ 2001 gemacht hat, nämlich die Länder des globalen Südens gegen sich aufbringen. Besteht diese Gefahr?
Nein. Dafür arbeiten wir heute zu gut zusammen. Wir werben um die Schwellen- und Entwicklungsländer als Partner. Deshalb waren fünf dieser Staaten ja auch zum G7-Gipfel in Elmau eingeladen. Mit vielen dieser Staaten arbeiten wir zusammen, um weltweit Ernährungssicherheit herzustellen.

Und wir bemühen uns, im direkten Gespräch das russische Narrativ über den Krieg gegen die Ukraine zu widerlegen, das den Westen für alles Böse verantwortlich macht. Putin ist der Verbrecher gegen die Menschlichkeit, das kann man jeden Tag an den schrecklichen Bildern aus dem Krieg sehen. Und ich glaube, das wird auch in anderen Teil der Welt zunehmend so gesehen.

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Was erwarten Sie vom G7-Gipfel in Elmau versprochenen 600 Milliarden Dollar schweren Paket zum Ausbau der globalen Infrastruktur?
Es geht nicht nur um Geld, es geht auch um stabile Partnerschaften zwischen den Industrieländern des Nordens und dem globalen Süden. Die Industriestaaten machen ein partnerschaftliches Angebot, nachhaltige Infrastrukturen auszubauen und hierfür auch unsere Privatwirtschaft zu aktivieren. Dazu zählt das Angebot der EU, über das Programm „Global Gateway“ 300 Milliarden Euro zu mobilisieren.

Der Investitionsbedarf für Infrastruktur ist riesig. Darum ist es so wichtig, dass es Alternativen zu dem gibt, was China den Entwicklungsländern anbietet.

Wie ist nach Ihren Erfahrungen das Angebot des G7-Gipfels zur Zusammenarbeit mit den Schwellen- und Entwicklungsländern dort angekommen?
Unsere Partner schätzen es, dass wir ihre Probleme wahrnehmen und langfristig mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Ein Beispiel: Wir arbeiten mit Südafrika an einer sozial gerechten Energiewende. Wenn Arbeiter in den Minen durch den Kohleausstieg ihre Jobs verlieren würden, kümmern wir uns gemeinsam darum, dass für sie neue, klimaverträgliche Jobs entstehen. Ähnliche Kooperationen wollen wir jetzt auch mit weiteren Schwellenländern starten.

Kann man das G7-Infrastrukturangebot auch als Versuch deuten, den Einfluss Chinas und Russlands in der Welt zu begrenzen oder zurückzudrängen? Wie hoch ist das Volumen der Investitionen von Chinas neuer Seidenstraße im Vergleich?
Die Größenordnung dürfte ähnlich sein wie beim G7-Angebot, aber die Schätzungen gehen stark auseinander, weil China keine verlässlichen Zahlen veröffentlicht. Erkennbar ist in jedem Fall eine stark sinkende Tendenz, auch weil sich zahlreiche Länder schon so sehr verschuldet haben.

Viele unserer Partnerländer sind ernüchtert über die Erfahrungen mit China. Chinas Investitionen sind häufig undurchsichtig, schaffen starke Abhängigkeiten und haben in vielen Ländern dazu beigetragen, dass sie sich jetzt in einer Verschuldungsfalle befinden. Das hat alles seinen Preis. Wir können da punkten mit Nachhaltigkeit, Transparenz, Qualität.

Die Chefin des German Institute for Global and Area Studies (früher Überseeinstitut), Amrita Narlikar, sagt: Die Armen bezahlen für die Sanktionen des Westens gegen Russland. Stimmt das?
Der Auslöser ist nicht der Westen, sondern Russland. Es sind nicht die Sanktionen, die die Ausfuhr von Weizen verhindern, sondern die von Putin blockierten Schwarzmeerhäfen. Präsident Wladimir Putin setzt Hunger ganz bewusst als eine Waffe in diesem Krieg ein.

Diese Ruchlosigkeit verschlägt einem den Atem. Wenn Putins Terror gegen die Ukraine einfach hingenommen würde, dann würden die Armen dauerhaft die Zeche bezahlen. Denn das wäre eine Welt ohne Sicherheit und Werte, in der nur das Recht des Stärkeren zählen würde.

Aber haben die Sanktionen des Westens nicht doch Kollateralschäden, wenn Europa unabhängig werden will von russischer Energie und deshalb auf dem Weltmarkt einkauft, was die Preise in die Höhe treibt, worunter der globale Süden mehr leidet als wir?
Dieser Krieg hat natürlich Folgen für die ganze Welt. Die Steigerung der Energie- und Lebensmittelpreise trifft die Menschen am härtesten, die fast ihr ganzes Einkommen dafür ausgeben müssen. Die Weltbank hat ausgerechnet, dass eine Steigerung der Lebensmittelpreise um ein Prozent zehn Millionen Menschen mehr in Armut stürzt. Das hat also dramatische Folgen.

Deshalb unternehmen wir alles, damit dieser Krieg so schnell wie möglich gestoppt wird. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Putin Russlands Weizen- und Düngemittelexporte als politische Druckmittel einsetzt und vor allem die beliefert, die sich russlandfreundlich verhalten.

Im Herbst steht der G20-Gipfel in Bali an. Indonesien als G20-Präsident hat Putin eingeladen. Finden Sie es richtig, dass Kanzler Olaf Scholz diesen Gipfel trotzdem nicht boykottieren will?
Wir dürfen uns von Russland diese internationalen Formate nicht kaputtmachen lassen. Denn sie sind sehr wichtig, um gemeinsam globale Krisen zu lösen, den Klimawandel, das Artensterben oder die Folgen von Corona. Ohne die Zusammenarbeit mit den G20 kommen wir da nicht weiter. Einige Entwicklungs- und Schwellenländer fürchten, Europa würde sich seit dem Krieg in der Ukraine nur noch um sich selbst kümmern. Genau solche Sorgen würde man mit einem G20-Boykott verstärken.

Diese Woche hat die Welthungerhilfe ihren Bericht vorgestellt, wonach mehr als 800 Millionen Menschen weltweit unter chronischem Hunger leiden. Die zahlreichen Notlagen seien ein „Weckruf, endlich die Anstrengungen gegen den Klimawandel zu verstärken“, heißt es in dem Bericht. Hat die Bundesregierung die Botschaft gehört?
Ich hatte mir während meiner Zeit als Umweltministerin immer gewünscht, dass sich die Bundesregierung als Ganzes mit dem Klimawandel beschäftigt, in der Ampel ist es endlich soweit. Der Klimawandel ist dramatische Realität. Auf der ganzen Welt leiden Menschen unter Dürren oder Überflutungen, sie verlieren ihre Lebensgrundlagen.

Deshalb müssen wir nicht nur den Ausstoß von Kohlendioxid beenden. Wir müssen auch den Menschen helfen, die heute schon von Schäden betroffen sind und denen weitere erhebliche Schäden drohen. Die Länder des globalen Südens brauchen unsere Solidarität.

Die Schwellen- und Entwicklungsländer fordern seit langem, dass die westlichen Industriestaaten sich an der Finanzierung von Klimaschäden beteiligen. Haben Sie dafür Verständnis?
Absolut. Wir werden Anfang der Woche beim Petersberger Klimadialog einen neuen globalen Klimarisiko-Schutzschirm vorstellen. Wir bringen damit ein konkretes Angebot für den Umgang mit künftigen Klimaschäden in Entwicklungsländern in die internationalen Klimaverhandlungen ein. Den Rückhalt der Staats- und Regierungschefs der G7 haben wir Ende Juni in Elmau bekommen.

Mein Ziel ist, diesen Schutzschirm bei der Weltklimakonferenz in Ägypten im November gemeinsam mit den besonders verwundbaren Entwicklungsländern zu starten und dann schrittweise zu erweitern.

Können Sie das etwas anschaulich machen?
Im Ahrtal wurden nach der Flutkatastrophe vor einem Jahr ganz schnell Hilfen zugesagt, was den Schaden zumindest begrenzt hat. Das ging nur, weil bei uns die Strukturen und das Geld dafür vorhanden sind. Strukturen und Geld wollen wir nun auch den verwundbarsten Entwicklungsländern anbieten.

Wenn eine Kleinbäuerin zum Beispiel bei einer Dürre ihre ganze Ernte verliert, dann soll sie schnell und unkompliziert Geld für neues Saatgut bekommen. So kann sie weiterarbeiten, fällt nicht in noch tiefere Armut und kann sich und andere weiter mit Lebensmitteln versorgen. All das spart am Ende Geld, denn humanitäre Nothilfe im Nachhinein ist immer teurer als vorausschauende Unterstützung.

Von welcher Größenordnung sprechen wir hier denn finanziell?
Bevor wir zusätzliches Geld einsammeln, wollen wir uns mit den betroffenen Entwicklungsländern über den Mechanismus verständigen. Aber unabhängig vom Schutzschirm ist klar: Diese Koalition will den Beitrag der Bundesregierung für die internationale Klimafinanzierung aus Haushaltsmitteln bis 2025 von heute vier auf mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr erhöhen.

Damit wollen wir nicht nur vor Klimaschäden schützen, sondern auch die Energiewende in Entwicklungs- und Schwellenländern vorantreiben oder die Anpassung an den Klimawandel verbessern.  Das Versprechen ist, dass die Industriestaaten zusammen jedes Jahr 100 Milliarden Dollar mobilisieren für den Einsatz gegen die Klimakrise in Entwicklungsländern. Und das müssen wir einhalten.

Es sieht momentan nicht danach aus, dass Russland den Krieg beenden will. Wie weit sind Sie mit Ihren Bemühungen um weltweite Ernährungssicherheit unter diesen Bedingungen gekommen?
Dass der Krieg den Hunger auf der Welt verschärfen würde, war schon kurz nach Russlands Angriff absehbar. Ich habe darum ein „Bündnis für globale Ernährungssicherheit“ initiiert und zuerst die Weltbank und die Afrikanische Union dafür gewonnen. Inzwischen machen mehr als 100 Staaten und Organisationen mit.  

Wir wollen vor allem drei Dinge in diesem Bündnis: Mehr Geld mobilisieren, die Unterstützung besser koordinieren und die Agrarsysteme krisenfester machen. Wir müssen mehr Länder in die Lage versetzen, wieder selbst Lebensmittel anzupflanzen. Viele haben sich auf Baumwolle oder Kaffee für den Export konzentriert und darauf verlassen, dass sie die Lebensmittel für den eigenen Bedarf billig importieren können.

Wenn es dann wie jetzt eine Störung  in der Lieferkette gibt, hat das sofort massive Folgen. Es geht also nicht nur um Lebensmittelpakete, sondern vor allem darum, klimaangepasste, nachhaltige Landwirtschaft vor Ort zu ermöglichen.

Kümmert sich nur die EU um den Export von Lebensmitteln aus der Ukraine auf dem Landweg,  oder wird das auch durch das Globale Bündnis koordiniert?
Die Aufgabe ist so groß, dass wir das arbeitsteilig organisieren. Die EU koordiniert das und hält die anderen im Bündnis auf dem Laufenden. Jede Tonne Getreide, die  wir rauskriegen, hilft der Ukraine, aber entlastet auch den Weltmarkt. Es wird kurzfristig nicht gelingen, auf dem Landweg die gleichen Mengen zu exportieren wie über die Schwarzmeer-Häfen.

Zumindest finden nun zwischen der Ukraine und Russland Gespräche zum Getreideexport statt. Das ist ein Hoffnungsschimmer, wie der UN-Generalsekretär gesagt hat. Für eine nachhaltige und klimaangepasste Lösung geht es aber um mehr:

Wir müssen Alternativen zu Weizen, Mais und Reis schaffen, die bisher die Welternährung dominieren, und wir müssen mehr nachhaltige lokale Produktion ermöglichen. Ein Beispiel: In Kenia wird Weizenmehl inzwischen durch Süßkartoffelmehl ersetzt. Das ist ein Projekt, das wir  angestoßen haben, was hilft, weniger Weizen zu verbrauchen und dennoch Brot und Lebensmittel produzieren zu können.

Norbert Lins, der Chef des Agrarausschusses im EU-Parlament, sagt: Der Großteil des Getreides, das aus der Ukraine exportiert werden kann, bleibt in der EU. Wie kann das sein?
Es geht bei diesen Mengen um gewaltige logistische Aufgaben. Derzeit gelingt es schon besser, Getreide aus der Ukraine zum Beispiel nach Rumänien zu transportieren. Aber damit es aus Europa in die Welt verschifft werden kann, sind weitere logistische Hürden zu überwinden.

Wie sieht denn die mittelfristige Finanzplanung für ihr Ministerium aus, können Sie damit die Aufgaben erledigen, die vor ihnen stehen? Für die kommenden Jahre will Ihnen der Finanzminister weniger Geld geben als für das aktuelle…
Der Finanzplan für die nächsten Jahre passt nicht wirklich zu den großen entwicklungspolitischen Aufgaben, das macht mir Sorgen. In diesem Jahr ist es in den Verhandlungen gelungen, deutlich mehr Geld für den Kampf gegen den Hunger, den Ukraine-Wiederaufbau und all die anderen Aufgaben bereitzustellen als im ursprünglichen Plan vorgesehen war.

Für 2023 hat der Finanzminister eine Vorsorge von fünf Milliarden Euro für unvorhergesehene Krisenfolgen eingeplant, auf die das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium schwerpunktmäßig zugreifen können. Angesichts der aktuellen Weltlage ist zu befürchten, dass das auch bitter nötig sein wird.

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