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Will weitermachen: Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsident

© Reuters/Michael Dalder

Mögliche Minderheitsregierung in Thüringen: Wie bastele ich mir eine Koalition?

Der Aufstieg der AfD macht neue Koalitionsmodelle notwendig. In Thüringen wird über eine „Projektregierung“ nachgedacht.

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Wenn Partner sich nicht über den Weg trauen, verfassen sie am besten einen detaillierten Ehevertrag. Union und SPD wollten anfangs ein knappes Koalitionsabkommen, es wurden am Ende 175 Seiten. Bei ÖVP und Grünen in Österreich sind es nun sogar 328 Seiten. Ein Passus auf Seite 199 ist dabei besonders bemerkenswert: Wenn bei Streitfragen zur Begrenzung der Migration Koalitionsausschuss, Kanzler und Vizekanzler keine Einigung erzielen, „so ist jener Koalitionspartner, der die Initiative betreibt, berechtigt, dieses Gesetzesvorhaben im Nationalrat als Initiativantrag einzubringen“.

Will heißen: Dann kann man sich dort andere Mehrheiten suchen, zum Beispiel mit der rechtspopulistischen FPÖ.

Das Beispiel Österreich steht für eine Reihe von Gedankenspielen europaweit, mit denen gesellschaftliche Entwicklungen auf die Politik überschwappen: möglichst unverbindlich soll es sein, der schmerzhafte Kompromiss kommt aus der Mode. Zugleich bringt es der Aufstieg von Parteien wie der AfD mit sich, dass alte Gräben überwunden werden müssen, um ungleiche Partner jenseits der extremen Ränder für Regierungsmehrheiten zusammenzuschweißen.

Parteien der Mitte ohne Mehrheit

In Thüringen lagen erstmals in Deutschland mit Linkspartei (31 Prozent) und AfD (23,4) eine linke und eine rechte Partei bei der Landtagswahl vorne – die Parteien der Mitte hatten keine Mehrheit mehr. Die CDU-Spitze im Bund schließt bisher eine Zusammenarbeit mit der Linken wie mit der AfD aus – sowie eine Tolerierung von Minderheitsregierungen oder andere Kooperationen.

Die nun von Thüringens früherem Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) ins Spiel gebrachte Idee einer Projekt-Regierung (ProRe) würde bedeuten, dass sich CDU und Linkspartei auf 10 bis 15 Projekte einigen und hier gemeinsam abstimmen, bei anderen Initiativen aber wechselnde Mehrheiten möglich sind.

Dieter Althaus (CDU) war von 2003 bis 2009 Thüringer Ministerpräsident.
Dieter Althaus (CDU) war von 2003 bis 2009 Thüringer Ministerpräsident.

© DPA/Martin Schutt

Zum Beispiel könnte man sich über den Haushalt oder den Ausbau des Bahn- und Busverkehrs im ländlichen Raum einigen, in Bildungsfragen aber gegeneinander arbeiten. Es gäbe keine formelle Koalition. Der große Haken wäre bei diesem Modell der Umgang mit der AfD, die dann versuchen würde, im Landtag mit der CDU zu paktieren. So könnte es nach rechts zum Dammbruch kommen.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist grundsätzlich zu Gesprächen auf Vermittlung von Altbundespräsident Joachim Gauck über eine sogenannte Projektregierung mit der CDU bereit, bei der einige gemeinsame Initiativen verabredet werden, es aber nicht zu einer formellen Koalition kommt.

Aber zugleich sagte Ramelow im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Ich strebe die Fortsetzung der von Linkspartei, SPD und Grünen getragenen Landesregierung an.“ Allerdings hat diese keine Mehrheit mehr. „Wenn Herr Gauck mich zu einem Gespräch einlädt, werde ich das selbstverständlich annehmen“, sagte Ramelow. „Verhandlungen über Regierungsbildungen werden in einer parlamentarischen Demokratie aber aus gutem Grund nicht von Ministerpräsidenten, sondern von den dazu legitimierten Vertretern der Parteien geführt.“ Alle würden derzeit irgendwas basteln. „Ich beteilige mich an diesen Basteleien nicht.“

Zugleich warnte Ramelow eindringlich vor einer auch möglichen Regierung aus AfD und CDU. „Eine blau-braun-schwarze Regierung darf es nicht geben, auch wenn das von Teilen der CDU wie der Werte-Union oder Herrn Maaßen erwogen wird.“

„In alten Denkschablonen gefangen“

Die Debatte kommt dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, sehr bekannt vor. „Wir sind zu sehr in alten Denkschablonen gefangen“, sagt Miersch im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er hatte im Dezember 2017 als Alternative zur großen Koalition die Kooperations-Koalition ins Spiel gebracht, im besten Fall hätte sie die Debatten im Land belebt und die SPD vor ihren schweren Turbulenzen bewahrt.

Miersch ahnte damals schon, dass das von vielen so empfundene Gefängnis einer weiteren großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) die SPD zerreißen würde. Statt Stück für Stück den Koalitionsvertrag abzuarbeiten, Politik nach Plan zu betreiben, war die Idee, nur ein Korsett zu vereinbaren, sonst aber auch wechselnde Mehrheiten zu erlauben.

Ausgangspunkt der Überlegung war die interne Euphorie, als man es in der großen Koalition von 2013 bis 2017 einmal wagte, auszuscheren: Gegen die Union setzte die SPD mit anderen Parteien im Bundestag die „Ehe für alle“ durch, das war im Juni 2017. Es kam nicht zum Koalitionsbruch, weil man schon mitten im damaligen Bundestagswahlkampf war.

Matthias Miersch (SPD)
Matthias Miersch (SPD)

© dpa/peter Steffen

Heute sieht Miersch die Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen als ein klassisches Beispiel. „Wieviel Kraft kostet es uns, in Versammlungen zu erklären, warum wir hier aus Koalitionsräson gegen unser eigenes Parteiprogramm stimmen.“ Ständig müssten sich Abgeordnete deshalb Unglaubwürdigkeit vorwerfen lassen.

Aber: Im Bundestag wären neben der SPD nur Grüne und Linke für ein Tempolimit, um den CO2-Ausstoß zu senken – für eine Mehrheit zu wenig. „Je mehr Parteien zusammenkommen müssen, desto schwieriger wird es“, sagt Miersch. Daher sei die Kooperations-Koalition für Deutschland die passende Idee – das Österreich-Modell mit der Ausnahme nur für das Streitthema Migration sieht Miersch kritisch: Ausgerechnet bei einem ihrer Kernthemen würden die Grünen zulassen, dass es eine rechte Mehrheit für harte Gesetze geben könnte. „Das finde ich sehr grenzwertig.“

Modell Dänemark: Wechselnde Mehrheiten

In Skandinavien wird dagegen schon fast traditionell mit wechselnden Mehrheiten regiert, etwa im dänischen Parlament. Seit Juni 2019 führt hier Ministerpräsidentin Mette Frederiksen eine Minderheitsregierung an. Gestützt wird sie von der „Sozialistischen Volkspartei“, der links-grünen „Einheitsliste“ und den sozialliberalen „Radikalen“ – sie bilden mit Frederiksens Sozialdemokraten den „roten Block“, der über eine absolute Mehrheit verfügt. Eine Koalition der vier Parteien gibt es aber nicht, im Kabinett sitzen nur sozialdemokratische Minister.

Regiert in Kopenhagen: Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.
Regiert in Kopenhagen: Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.

© AFP/Niels Christian Vilmann

Das hat einen Grund: Innerhalb des „roten Blocks“ herrscht nicht überall Einigkeit. Zwar gibt es viele Übereinstimmungen in der Sozial- und Klimapolitik. Frederiksen selbst sprach nach ihrem Wahlsieg von einer „Klimawahl“. Die großen Gewinner waren linke Parteien wie die „Radikalen“. Sie verdoppelten ihr Ergebnis, während die Klimaleugner der rechtspopulistischen „Volkspartei“ abstürzten.

Das hat damit zu tun, dass die Rechtspopulisten mit ihrer Migrationspolitik kein Alleinstellungsmerkmal mehr vorweisen können. Unter Frederiksens Führung haben die Sozialdemokraten in der Asylpolitik einen Rechtsschwenk vollzogen. Das spiegelt sich auch im nur 18-seitigen Regierungsprogramm wider: Darin sind neben viel Sozial- und Umweltpolitik strikte Grenzkontrollen und hohe Hürden für den Familiennachzug enthalten. Die härtesten Maßnahmen, wie die Internierung von Migranten auf einer einsamen Insel, kommen aber nicht vor, weil die Linksparteien das nicht mittragen wollen. Umsetzen könnte Frederiksen solche Ideen dennoch. Bei Bedarf kann sie mit Konservativen oder Rechtspopulisten Verschärfungen in der Asylpolitik verabschieden.

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